Die Legende von Arc's Hill. Michael Dissieux

Die Legende von Arc's Hill - Michael Dissieux


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Haar, das sein herbes Antlitz, einer dunklen Wolke gleich, einrahmte und unter einem albernen, grauen Hut gebändigt wurde, wie man sie in den Städten trug. Eine ebenso verschrobene Feder steckte in einem dünnen Gummiband. Das Gesicht des Mannes wirkte älter als es wohl in Wirklichkeit war.

      Als er Mikes indiskreten Blick bemerkte, legte er die Zeitung beiseite, wischte seine Hände an einer fleckigen Schürze ab, die er um die Taille gebunden trug, und baute sich vor seinem Gast auf. Seine beleibten Armen stützten sich dabei wie Holzpfosten auf der wurmstichigen Theke ab.

      »Es kommt selten vor, dass sich Fremde nach Arc´s Hill verirren«, begann er ohne zu zaudern, wobei seine dunklen Augen Mike mit einer Mischung aus Neugierde und Argwohn betrachteten.

      »Ich bin kein Fremder«, entgegnete Mike mit müder Stimme und erschrak über die tiefe Verwirrung, die seinen Worten inne lag.

      Er griff nach seinem Glas und nahm einen langen kühlen Schluck, der seinen Körper augenblicklich zu erfrischen schien.

      »Ich habe das alte Herrenhaus auf dem Hügel gekauft.«

      Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte Mike, einen tiefen Schrecken in den Augen seines Gegenübers zu erkennen. Tatsächlich schien das Gesicht des Mannes eine Spur blasser geworden zu sein, was aber infolge des trüben, schwindenden Tageslichtes auch eine Täuschung seiner Sinne gewesen sein konnte.

      »Sie meinen das alte Grady-Anwesen?«

      Der Mann griff nach einem Tuch und rieb gedankenverloren über die Theke. Dabei schien sein Blick ins Leere zu gehen. Der Hut warf einen finsteren Schatten über seine Augen.

      »Ich kenne es.«

      Er hielt in seiner Tätigkeit inne.

      »Hat lange leer gestanden, das Haus.«

      »Ich weiß. Ich kenne die Geschichte des Hauses und habe im Moment eine Menge Arbeit, es wieder so herzurichten, dass man guten Gewissens darin wohnen kann.«

      Mike rollte das Glas zwischen seinen Händen und genoss die angenehme Kühle, die sich auf seinen Fingern ausbreitete. Dann stellte er das Bier auf der Theke ab und blickte dem Schankwirt geradewegs in die Augen.

      »Grady … ist das der Name des letzten Besitzers?«

      Seine Gedanken kehrten zu dem alten Tagebuch zurück, in welchem er am Mittag gelesen hatte. Waren es Gradys Worte, die in den vergilbten, pergamentartigen Seiten geschrieben standen?

      Doch der hünenhafte Mann hinter der Theke enttäuschte ihn.

      »Nein. Grady hieß der Mann, der das Haus vor fast einhundertfünfzig Jahren auf dem Hügel vor der Stadt erbauen ließ. Reginald Grady. Hier im Ort nennt man es nur das Grady-Anwesen.«

      Der Mann sah Mike in die Augen, doch lag die Ahnung einer tiefen Furchtsamkeit im Blick des Schankwirtes. Als er weitersprach, schüttelte er den Kopf, als versuchte er sich selbst von erschreckenden Gedanken zu befreien. Die Feder an seinem Hut wippte leicht und drohte aus dem Gummiband zu fallen.

      Plötzlich wirkte der Mann, der auf Mike den Eindruck eines gutmütigen und schwerfälligen Einsiedlers machte, nervös und aufgebracht.

      »Ich will Sie nicht beunruhigen, Mister. Aber Sie haben das Haus eines Wahnsinnigen erstanden.« Er blickte sich hektisch in dem stillen Raum um. »Man erzählt, Grady habe sich mit den Mächten der Finsternis eingelassen und ihnen seine Seele verpfändet. Von seltsamen Dingen und Ritualen ist die Rede.«

      Mike hatte gerade einen weiteren Schluck getrunken.

      Jetzt aber stellte er sein Glas verwundert auf die Theke zurück.

      Er konnte sich eines Lächelns nicht erwehren.

      »Wollen Sie mir erzählen, dieser Grady sei ein Hexenmeister gewesen?«

      Der Mann schüttelte den Kopf, wobei sein Blick den seines Gegenübers zu bannen versuchte.

      »Schlimmer, Mister. Viel schlimmer. Man sagt, er habe seine gesamte Familie einem Dämon geopfert, den er in seinem Irrsinn anbetete. Seine Frau und fünf Kinder. Und zu guter Letzt verschwand Grady selbst. Spurlos, ohne dass ihn jemand dabei beobachtet hätte, wie er das Dorf verließ. Lediglich seine Familie fand man noch in dem alten Haus vor.«

      Der Mann legte eine theatralische Pause ein.

      »Abgeschlachtet in ihren Betten.«

      Ein kalter Schauer schien Mikes Körper in Eis verwandeln zu wollen. Es gelang ihm nur schwerlich, seiner Stimme einen festen Klang zu verleihen.

      »Aber das Ganze ist fast einhunderfünfzig Jahre her. Das sind sicher nur Ammenmärchen, wie man sie sich wohl in jedem abgeschiedenen Landstrich auf der ganzen Welt erzählt.«

      Der Wirt schüttelte bedächtig den Kopf. Sein Blick war noch ernster und finsterer geworden.

      »Man erzählt sich die seltsame Geschichte des alten Grady seit Generationen. Die Alten erzählen sie ihren Kindern, wenn sie denken, dass diese alt genug für die schreckliche Sage ihrer Heimat seien. Und diese erzählen sie wiederum ihren Kindern. Nein, Mister …« Er trat einen Schritt zurück und musterte Mike kritisch. Fast empfand es dieser, als begutachtete der Schankwirt einen Aussätzigen. »Das, was dort oben in dem Haus geschah, ist kein Ammenmärchen. Es gab viele Familien, die nach dem Verschwinden von Reginald Grady in das Anwesen zogen. Viele verschwanden nach kurzer Zeit ebenso spurlos, wie der alte Mann damals. Und diejenigen, welche das Glück besaßen, nicht der Teufelei zum Opfer zu fallen, die zweifelsohne in den Zimmern dort oben umhergeht …« Der Mann schlug mit der freien Hand ein Kreuz vor seiner Brust. »… waren dem Wahnsinn verfallen und haben das Haus und Arc´s Hill bei Nacht und Nebel verlassen.«

      »Aber in den letzten zwanzig Jahren hat das Haus leer gestanden.«

      Mikes Stimme hatte sich in ein heiseres Flüstern verwandelt, was ihm, in Anbetracht der ungeheuerlichen Geschichte, die er gerade gehört hatte, als durchaus angemessen erschien.

      »Der Letzte, der dort oben wohnte, war ein Mann namens Charles Ward, der mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern das Haus bezogen hatte.«

      Der Wirt deutete mit einem Kopfnicken auf das Glas und füllte es dann nach, ohne eine Antwort seines Gastes abzuwarten.

      »Und ist er ebenfalls … wahnsinnig geworden?«

      Mike überkam das absurde Gefühl, sich in den Fängen eines skurrilen Traumes zu befinden. Die Frage hatte sarkastisch klingen sollen, doch die Stimme, die diese Worte sprach, schien nicht mehr seine eigene zu sein.

      Der Schankwirt nickte. »Als man Charles Ward eines Nachts schreiend und mit fiebrigem Wahn in den Augen auf dem Marktplatz des Dorfes aufgegriffen hatte, war man zu der Überzeugung gelangt, dass es für alle das Beste sei, das unheimliche Haus zu meiden und dem Zerfall preiszugeben.«

      »Aber was war mit der Familie von Ward? Seiner Frau und seinen beiden Töchtern?«

      Der Mann schloss die Augen. Sein Antlitz, ungeschlacht und roh, verzerrte sich zu einer harten Maske, deren Lippen bebten, als er weitersprach.

      »Ich war damals dabei, als einige Männer zum Haus hinaufgingen. Denn Ward hatte im Fieberwahn und mit einem hässlichen Lachen, das nie und nimmer aus einer menschlichen Kehle hatte stammen können, erzählt, dass er seine Familie in ihren Betten niedergemetzelt hätte. Wir waren zum Hügel hinaufgegangen, nachdem man Ward in Polizeigewahrsam genommen hatte. Und wir fanden tatsächlich die zerstückelten Körper von Wards Frau und seiner beiden Mädchen. Glauben Sie mir, es war ein schrecklicher Anblick. Besonders die Kinder.«

      Der Mann stieß ein tiefes Stöhnen aus. Dann herrschte Schweigen zwischen den beiden. Kaum, dass die Worte des Wirtes verstummt waren, legte sich eine beängstigende und lähmende Stille über den Raum, als hätte sich etwas Finsteres von draußen ins Haus geschlichen. Mike wurde mehr denn je von dem Gefühl beherrscht, sich in einem düsteren Traum zu befinden, ähnlich jenem, der ihn in der Nacht heimgesucht hatte.

      Wie konnte in einer Zeit wie dieser, die von Hektik und Karrieredenken geprägt war, eine derartige


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