Julian und der Hexenrekord. Bodil El Jørgensen

Julian und der Hexenrekord - Bodil El Jørgensen


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ein Tier in einen Menschen verhexen will, braucht sie zuerst etwas, das der Mensch berührt oder in das das Tier hineingebissen hat“, antwortete Julian. „Mit einem Tropfen Hexenschnodder verwandelt sie den Gegenstand in Pulver. Und das Pulver bläst sie demjenigen in die Augen, den sie verhexen will, wobei sie eine Formel aufsagt. Denn ohne Hexenpulver wirkt die Hexenformel nicht.“

      Posemuckelmats stimmte ein leises, aber zufriedenes Lachen an.

      „Du hast es wirklich ganz faustdick hinter den Ohren“, sagte er lachend. „Schon möglich, dass ich deine Hilfe noch mal in Anspruch nehme, da du zufällig gerade hier bist.“

      Er legte seine Hand schwer auf Julians Schulter.

      „Willst du noch einmal mein Gehilfe sein oder nicht?“, fragte er.

      „Allzeit bereit“, sagte Julian und streckte den Rücken. Es gab nichts auf der Welt, was er lieber wollte.

      Posemuckelmats beugte sich mit einer blitzschnellen Bewegung zu ihm runter. Sein sichtbares Auge funkelte im Lichtschein einer Fackel.

      „Hast du sie gesehen?“, flüsterte er.

      „Äh, wen?“, fragte Julian verwirrt.

      Posemuckelmats’ Auge sah aus, als ob es aus der Höhle treten würde. „Die Hexe natürlich“, platzte er ungeduldig heraus. „Wen denn sonst?“

      Julian zuckte zusammen und sah sich hastig nach allen Seiten um, ohne dass ihm etwas Verdächtiges aufgefallen wäre.

      „Die Hexe?“, murmelte er. „Was für eine ...?“

      „Hast du nicht gesagt, du wärest eben in der Zirkusvorstellung gewesen?“

      „Äh, doch, ja, aber ...“

      „Verflixt gerissene Hexentarnung“, unterbrach Posemuckelmats ihn mit einem von einem Kopfschütteln begleiteten Schnaufen und zeigte mit einer ausladenden Bewegung zum Zirkuszelt hinüber. „Ein Wanderzirkus! Äußerst gerissen. Mit das Gerissenste, was mir seit langem untergekommen ist. Wir haben es hier mit einem ganz besonders gerissenen Exemplar der Hexengattung zu tun. Hexen sind natürlich grundsätzlich gerissen. Aber einige sind eben noch gerissener als andere. Eine Zirkushexe! Also wirklich! Was wird sie sich wohl als Nächstes einfallen lassen!?“

      Er schüttelte den Kopf so heftig, dass sein Hut herunterfiel. Julian beeilte sich, ihn aufzuheben und Posemuckelmats zurückzugeben. Im gleichen Augenblick fasste sich der Hexenspezialist mit einem unterdrückten Fluch ans Ohr und zog Julian blitzschnell mit sich in den Schatten eines kunterbunten Wohnwagens.

      Da ging jemand durch die von Fackeln erleuchtete Dunkelheit. Es war die Zirkusdirektorin in ihrem Paillettenkostüm. Sie pfiff eine Melodie und balancierte den Silberzauberstab elegant auf der Spitze ihres Zeigefingers. Dann verschwand sie in einem großen, leuchtend roten Wohnwagen, der mit hohen, schwarzen Zauberzylindern bemalt war, aus denen weiße Kaninchen hüpften.

      Gleich hinter ihr kam noch jemand: der Glückspilz, der während der Zaubernummer den silbernen Zauberstab hatte halten dürfen. Er sah sich suchend um, bevor er auf den roten Wohnwagen zuging.

      „Verdurrichnocheins“, murmelte Posemuckelmats. „Genauso war es gestern auch.“

      Er sprang mit einem großen Satz hinter dem Jungen her, der just in diesem Moment laut gegen die Tür des roten Wohnwagens klopfte, worauf Posemuckelmats sich mit einem großen Satz zurück in den Schatten rettete.

      „Verdurrichnocheins“, murmelte er zum zweiten Mal.

      Die Tür des Wohnwagens öffnete sich, und aus dem Innern des Wagens fiel Licht auf die dunkle Treppe.

      „Verdurrichnocheins“, murmelte Posemuckelmats zum dritten Mal, diesmal ganz langsam.

      In der offenen Tür stand die Zirkusdirektorin. Sie hielt noch immer den Silberzauberstab in der Hand. Julian blieb fast das Herz stehen. Er sah von dem Jungen zu dem silbernen Zauberstab und wieder zurück zu dem Jungen. Und plötzlich ahnte er, mehr als dass er es wusste, was als Nächstes geschehen würde.

      Die Zirkusdirektorin lächelte. Ihre weißen Zähne strahlten im Schein der nächsten Fackel.

      „Herzlich willkommen, mein Guter“, sagte sie mit übertriebener Freundlichkeit. „Jetzt sollst du, wie versprochen, deine Belohnung dafür bekommen, dass du den silbernen Zauberstab für mich gehalten hast.“

      Der Junge nickte erwartungsvoll.

      „Was ist denn das!“, platzte die Direktorin plötzlich heraus und zeigte mit ihrem sehr langen Zeigefinger auf den Boden. „Hast du dir etwa Ketschup auf die Schuhe gekleckert?!“

      Der Junge blickte erstaunt auf seine Schuhe, und die Zirkusdirektorin nutzte den Augenblick, um eine kleine Flasche mit einem Tropfenzähler aus ihrem Kostüm hervorzuzaubern. Julian schluckte entsetzt, als die Direktorin einen Tropfen aus der Flasche auf den Zauberstab träufelte, der sich augenblicklich in braunes, leicht phosphoreszierendes Pulver verwandelte.

      Als der Junge wieder nach oben schaute, blies sie ihm das Pulver mit einem koketten Puster direkt in die Augen. Dann murmelte sie ganz langsam ein paar unverständliche Worte, worauf der Junge in einer grün-violetten Rauchwolke verschwand, die sich aber schnell wieder auflöste.

      Im Gras vor dem roten Wohnwagen im Schein der Fackel saß jetzt neben einem Paar großer, ausgelatschter Sportschuhe eine weiße Maus, die augenblicklich begann, gehetzt im Kreis herumzulaufen.

      „Husch, zu den anderen“, tirilierte die Hexe und zeigte zu einem großen grünen Wohnwagen mit einer Stalltür.

      Sie gab ein abgehacktes, aber perlendes Lachen von sich und verschwand in ihrem eigenen Wagen. Die Maus trippelte auf unsicheren Beinen in die Richtung, in die die Hexe gezeigt hatte. Julian starrte wie gelähmt hinter ihr her. Auf einmal beneidete er den Jungen überhaupt nicht mehr, der den silbernen Zauberstab hatte halten dürfen.

      Geschmeiß zu Gewürm und Gewürm zu Geschmeiß

      Während Julian glotzend im Schatten des kunterbunten Wohnwagens stehen blieb, rannte Posemuckelmats mit lautlosen Riesenschritten hinter der weißen Maus (oder richtiger dem verhexten Jungen) her, um sie einzufangen. Danach sprang er im Zickzack von einem Schatten zum nächsten, murmelte etwas vor sich hin und warf immer wieder hektische Blicke zum Wagen der Hexe.

      „Genauso war es gestern auch“, murmelte Posemuckelmats leise. „Ein verflixt hinterhältiger Trick, eine völlig ahnungslose Person dazu zu bringen, den silbernen Zauberstab zu berühren. Aber mein Gefühl sagt mir, dass die Mäuse nur Teil eines viel größeren Plans sind. Eines über alle Maßen bösartigen Plans natürlich.“

      Posemuckelmats blieb kurz stehen, um die Maus in seiner Hand mit einem traurigen Kopfschütteln zu betrachten. Dann wandte er sich an Julian.

      „Schlag mir bitte schnell viermal hart auf den Schädel“, befahl er, nahm seinen Hut ab und beugte sich runter.

      Julian tat auf der Stelle und ohne zu zögern, was von ihm verlangt wurde. Er wusste nämlich aus Erfahrung, dass ein paar ordentliche Kopfnüsse eine überaus positive Wirkung auf die Denktätigkeit des Hexenspezialisten hatten.

      „Grandios“, sagte Posemuckelmats nach der vierten Kopfnuss. „Du bist kräftiger geworden seit unserem letzten Treffen.“ Er stand ein paar Sekunden still da, dann blitzte sein Auge auf. „Selbstverständlich“, murmelte er. „Höchst simpel, das Ganze.“

      „Was?“, fragte Julian, der nicht ganz folgen konnte.

      Es wurde ihm allerdings sehr schnell klar, dass Posemuckelmats im Moment keine Zeit hatte, irgendwelche Fragen zu beantworten. Er war vollauf damit beschäftigt, in seinem weiten Umhang nach etwas zu suchen. Eine große Zange. Wie man sie zu feineren Anlässen verwendet, um sich Kleingebäck vom Kuchenteller zu nehmen.

      Posemuckelmats drückte Julian die Maus in die Hand, ging auf den Wohnwagen der Hexe zu und warf sich direkt davor der Länge nach auf den Bauch. Zwei Sekunden später war er wieder auf den Beinen. Er hielt


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