Dem Licht entgegen. Liane Sanden
ohne Ordnung. Zerfallene Holzgitter trennten Gehöft von Gehöft. Dazwischen kamen Strecken Wiesen, wild und üppig. Dann wieder kleine Wasserläufe, tiefe Löcher, in denen es geheimnisvoll von tausend Käfern summte. Die ersten Lerchen stiegen in den erwachenden Morgen. Keinem Menschen begegnete Nasid, der ins Unbekannte wanderte.
Taktmässig marschierte er. Seine nackten Füsse gaben einen leisen, klatschenden Ton auf dem Boden.
„Leid dort, Freude hier!
Kleie dort, Mehl hier!
Meinen Sattel liess ich in Mzchet,
Der schönen Stadt an der Aragwa. —
Allen verleih euch Gott den Segen, die ihr zuhört“,
sang Nasid, um sich Mut zu machen. Es hörte ihm zwar keiner zu. Aber schon, dass er seine eigene Stimme hörte, gab ihm Zuversicht.
Tamara stand in der Morgenfrühe am Backofen. Die Morgensonne lag golden auf ihrem braunen Gesicht. Der Brotteig war fertig zum Backen. Wo war Nasid? Aufs Feld hinaus war er nicht, denn die Arba und die Ochsen standen noch im Stall. Drinnen im Hause hörte sie die Mutter in der Küche klappern.
Wo war Nasid? Sonst half er ihr stets beim Backen. Der Brotteig war fertig, der Ofen nun angesteckt. Er war wie eine Tontonne halb in die Erde hineingelassen. Tamara blickte hinein. Unten am Grund brannte das trockene Holz schon knatternd. Tamara hielt den Brotteig in der Hand. Mit einem Schwung klatschte sie die zähe Masse an die Wandung des Ofens. Es war ein ganz besonderer Schwung. Nasid hatte ihn schön heraus. Nun mochte der Teig mit Gottes und der Heiligen Hilfe backen.
Tamara deckte den Ofen zu. Nach einiger Zeit würde sie ihn aufmachen. Dann würde das Brot herauskommen. Es würde aussehen wie ein Schiffchen, das auf dem Flüsschen fuhr — Tamaras Brot war berühmt. Locker war es wie Kuchen, den man zum heiligen Osterfest bäckt, und aussen braun und herbe wie Nasid, wenn er verbrannt vom Felde heimkam.
Nasid, wie sie ihn liebte! Es brannte in ihr.
„He, Tamara“, rief es vom Nachbargehöft. Es war Thawisi, der junge Nachbarssohn. Sein braunes, verschmitztes Gesicht lachte zu Tamara hinüber: „Guten Morgen, Seelchen — wie hast du geschlafen?“
„Gut“, sagte Tamara kurz. Thawisi war ein hübscher Junge, aber Tamara dachte nur an Nasid.
„Täubchen“, sagte Thawisi halb singend, halb sprechend, „wie gut erst hättest du geschlafen, hätte ich deinen Schlaf behüten dürfen.“
Tamara drehte sich kurz um: „Da würde ich dich gerade dazu aussuchen, Thawisi. Ich brauche keinen Beschützer, ich habe Nasid im Hause.“
Thawisis Gesicht bekam einen verschmitzten Ausdruck: „Schau einmal die Fusstapfen an, Tamara, die von dem Hause deines Vaters hinausführen auf die Landstrasse!“
Tamara sah Thawisi verständnislos an.
„Wer ist in der Morgenfrühe vom Hause Wachtangs fortgegangen? Tamara, es sind nicht die Fusstapfen eines Diebes. Dazu sind sie zu gleichmässig. Es sind nicht die Fusstapfen eines verliebten Mädchens, dazu sind sie zu gross. Sieh zu, ob es nicht die Fussspuren Nasids sind!“
Angst flog in Tamara hoch. Nasids Streit mit dem Vater gestern, seine Drohung, fortzugehen?! Aber das war ja nicht möglich, Nasid fort von hier? Das wäre gerade, als stürzte der Himmel über die Erde. Unsinn, Thawisi wollte ihr nur Angst machen!
Und wenn es Nasids Schritte gewesen sind, Thawisi — vielleicht hat er die Arba zum Felde geführt?! Umzupflügen ist das ganze Feld am Flüsschen. Nasid ist fleissig, kein Langschläfer und Tagdieb wie du. Sicher, er ging früh hinaus!“
Sie log es. Ganz genau wusste sie, die Ochsen und die Arba standen im Stall.
„Ach“, sagte Thawisi, und tausend Spottlichter funkelten in seinen braunen Augen, „dann ist es vielleicht Väterchen Wachtang, der drin im Stalle muht, oder Mütterchen Mariat? Oder habt ihr einen Geist aus den Bergen im Hause, der bläken kann wie eine Kuh?“
Zornbebend fuhr Tamara aus. Ihre Hände krallten sich zusammen. Aber ehe ihre Nägel Thawisis Gesicht erreichten, war er mit einem Sprung zurück und an seinem Häuschen.
„Wenn du deinen Nasid noch fängst, will ich mir die Nase abschneiden lassen, wie ein ehebrecherisches Weib.“
Tamara rannte schon über den Hof. Ihre schwarzen Zöpfe flogen. Sie riss den Vorhang von Nasids Verschlag auf. Dann hörte Thawisi einen gellenden Aufschrei.
Joachim von Retzow hatte Beate tatsächlich vor ihrer Abreise nicht mehr gesehen. Das Frühstück nahm sie im allgemeinen sowieso oben in ihrem Zimmer ein.
Er sass Meredith gegenüber, der neben seinem Frühstück einen Haufen Zeitungen, Privatbriefe und Geschäftspapiere liegen hatte. Immer wieder las er, während er hastig frühstückte. Die Art, in der er ass, war Joachim immer wieder schauderhaft. Er stopfte grosse Bissen in den Mund und schluckte sie, kaum gekaut, hinunter. Es war eine wilde und unkultivierte Art, zu essen. Zwischendurch besprach er mit Joachim schon die notwendigen Dinge.
Es war noch so viel bis zur Abreise Merediths zu tun, dass Joachim der Kopf schwirrte. Wie angeschmiedet sass er dann in Merediths Zimmer, nahm dessen Diktat auf, ordnete Akten ein, führte Telephongespräche, die unaufhörlich kamen. Dann hatte er für Meredith noch verschiedene Besorgungen zu erledigen. Dann Besprechungen mit ein paar Geschäftsfreunden, ein paar Besorgungen persönlicher Art. Kaum, dass er zwischendurch Zeit hatte, in einer Schnellimbisshalle ein paar Brötchen und eine Tasse Tee zu geniessen.
Eine Stunde vor Abfahrt des Zuges war er mit allen Briefen fertig und brachte sie Meredith zur Unterschrift. Meredith war gerade beim Anziehen. Er war noch ohne Weste. Aus dem kragenlosen Hemd kam der mächtige, stiernackige Kopf heraus.
Während er sich fertigmachte, gab er Joachim noch die letzten Befehle.
Der Diener kam herein, packte die letzten Toilettensachen zusammen. Dazwischen schrillte das Telephon. Ambarzum Tschaltikjanz rief an, dass er die Herrschaften auf dem Bahnhof erwarte, da er selbst noch einige Besprechungen hätte. Joachim stand inmitten des Durcheinanders, legte Meredith einen Brief nach dem andern zum Unterschreiben vor.
Meredith, die schwarze Brasil schief im Mundwinkel, sprach in seiner nuscheligen, nachlässigen Art. Es ging wie eine Welle von Brutalität von ihm aus. Joachim fühlte einen geradezu körperlichen Widerwillen gegen diesen massigen Menschen, an dem alles Gewalt schien. Gut, dass er nicht denken konnte, keinen Augenblick Zeit hatte, sonst hätte er immerfort das Bild vor sich gesehen: Beate Meredith und dieser Mann, die nun zusammen fortreisten. Und er blieb hier zurück.
Erst auf dem Bahnhof sah er Beate wieder. Meredith war mit ihr vorgefahren. Joachim hatte sich noch um das letzte Gepäck zu kümmern. Nun er auf den Bahnsteig kam, sah er vor dem Schlafwagenabteil Beate, Meredith und Ambarzum Tschaltikjanz auf und ab gehen.
Beate trug einen Reisemantel, in dem er sie noch nicht gesehen hatte. Es war ein Mantel aus Leopardenfell, der sich weich und eng um sie schmiegte. Das blonde Haar lag unter einer goldbraunen Kappe. Ein kleiner Schleier verhüllte Augen und Nase. Sie sah sehr bleich und müde aus. Merediths Erscheinung erdrückte sie fast. An ihrer anderen Seite stand schmal und dunkel der Armenier.
Es war Joachim plötzlich, als wäre Beate, durch diese beiden Männer flankiert, ihm unendlich weit entrückt. Es war nicht mehr die Beate, mit der er abends zuvor in der dunklen Loge gesessen, gemeinsam hingegeben der Magie der unsterblichen Musik. Sie war jetzt Mistress Meredith und schon jetzt meilenweit fern von ihm.
„Ah, da sind Sie ja, Retzow. Also machen Sie alles gut, erledigen Sie alles richtig! Vergessen Sie nicht die Besprechung bei der Bank! Wenn irgend was los ist — Telegramm nach Borschom.“
Meredith sprach laut und ungeniert. Er warf seine Worte Retzow gleichsam hin. Ambarzum Tschaltikjanz hatte ihn nur mit einem kurzen, hochmütigen Kopfnicken begrüsst.
Der Zugbeamte kam, die Türen wurden schon geschlossen.
„Na los, los, Beate — Zeit!“ Meredith schob Beate dem Abteil zu.
„Darf