Wege des Todes - Skandinavien-Krimi. Kirsten Holst

Wege des Todes - Skandinavien-Krimi - Kirsten Holst


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war so lächerlich leicht, dass er sich fast unanständig vorkam, das volle Honorar dafür zu verlangen. Als würde man einem Kind Bonbons klauen. Aber die Stimme am Telefon gehörte keinem Kind, verdammt noch mal!

      Die Stimme rief pünktlich um halb elf am Freitagvormittag an.

      »Haben Sie etwas herausgefunden?«

      »Ja, es war schwer, aber es ist mir gelungen. Ihre Karen Jensen ...«

      »Nennen Sie sie nicht meine Karen Jensen«, unterbrach der andere kalt.

      Beck seufzte. »Gut, die bewusste Karen Jensen, Tochter der Sekretärin Aase Jensen und des Direktors Carl Fredrik Bruun, wurde hier in der Stadt geboren und lebt auch noch hier. Sie ist Bibliothekarin, ledig und hat mit ihrer Mutter zusammen in einem Haus im Hybenvej gewohnt. Nach dem Tod der Mutter hat sie das Haus verkauft und ...«

      »Ja, gut. Aber sind Sie sicher, dass sie es ist?«

      »Hundert Prozent. Ich kann Ihnen Kopien von ...«

      »Das ist nicht nötig.«

      Beck zögerte kurz. Es schien fast, als hätte der andere das Interesse verloren. Möglicherweise endete es damit, dass er den Rest seines Honorars in den Wind schreiben konnte.

      »Sie ist, wie gesagt, umgezogen und ihre jetzige Adresse lautet Sandagervej 111. Sind Sie sicher, dass Sie nicht die Kopien haben wollen, die ...«

      »Nein, kein Bedarf«, sagte der andere.

      »Gut, dann ... ich weiß nicht, soll ich Ihnen eine Rechnung schicken?«, fragte Beck nach einer weiteren Pause.

      »Wie viel schulde ich Ihnen?«

      Beck musste kurz mit sich kämpfen. Normalerweise rechnete er nicht mit halben Tagen, er war Montag mit der Sache beauftragt worden und jetzt war Freitag. Fünf Tage.

      »4.500«, sagte er.

      »Sie nehmen auch, was Sie kriegen können«, antwortete der andere.

      Arsch, dachte Beck. Laut fügte er hinzu: »Plus Mehrwertsteuer.«

      »Sie haben nichts von Mehrwertsteuer gesagt, als wir das letzte Mal miteinander gesprochen haben.«

      »Das muss ich getan haben«, sagte Beck. »Darauf mache ich immer aufmerksam. Aber dafür brauchen Sie ja keine Spesen zu zahlen. Das macht dann ungefähr 6.000 Kronen, 6.150, um genau zu sein.«

      »Die Steuer kann doch unmöglich 1.600 Kronen betragen«, protestierte der andere.

      »Fünf Tage zu 1.500 Kronen macht 7.500 Kronen, plus Mehrwertsteuer 1.650, das sind 9.150 minus 3.000 Vorschuss. Ich komme auf nichts anderes als 6.150 Kronen«, beharrte Beck sanft. »Aber ich schicke Ihnen gerne eine Rechnung.«

      »Nein, das ist in Ordnung. Ich schicke Ihnen das Geld.«

      Beck erwog, die Extravergütung zu erwähnen, kam jedoch zu dem Schluss, dass das unklug wäre.

      »Ja, dann ...«, begann er.

      »Ich habe gedacht ...«, unterbrach der andere. »Wenn Sie im Moment nicht zu viel zu tun haben ... ich habe faktisch noch einen Job für Sie.«

      »Noch ein Mädchen?«, fragte Beck.

      »Nein, dasselbe Mädchen. Ich möchte, dass Sie ihre Bekanntschaft machen.«

      Beck nahm den Hörer vom Ohr und starrte ihn an. »Was?«, fragte er ungläubig.

      »Ich möchte, dass Sie sie kennen lernen.«

      »Wie?«

      »Darüber können Sie sich den Kopf zerbrechen.«

      »Das gleiche Honorar?«

      »Ja.«

      »Darf sie wissen, wer ich bin?«

      »Das ist egal. Gehen Sie so vor, wie Sie es für richtig halten. Aber vielleicht sollten Sie sich als Berater ausgeben.«

      »Und wenn es klappt?«

      »Finden Sie heraus, ob sie weiß, wer ihr Vater ist.«

      »Ist das alles?«

      »Ja. Schaffen Sie das?«

      »Ich habe ein paar Aufträge, die ...«

      »Können die nicht warten?«

      »Vielleicht. Muss es direkt sein?«

      »So schnell wie möglich.«

      »Okay. Ich fange an, sobald ich das erste Honorar bekommen habe.«

      »Das bekommen Sie heute. Und ich rufe Sie an und erkundige mich, wie es läuft. Übrigens, was für ein Auto fahren Sie?«

      »Einen Ford Escort.«

      »Neu?«

      »Nein. In meinem Job muss man ...«

      »Ja, verstehe. Aber für diesen Job sollten Sie etwas Schickeres mieten, denke ich. Schreiben Sie es aufs Spesenkonto.«

      »Der Prinz auf dem weißen Ross?«

      »So ungefähr, ja. Etwas in der Richtung. Ich melde mich.«

      Dann wurde der Hörer aufgelegt.

      Beck schüttelte den Kopf.

      Der Mann war verrückt.

      Er zog die unterste Schublade auf, nahm die Flasche heraus, schenkte sich einen Whisky ein und prostete sich zu.

      War es so seltsam, dass er seinen Job liebte? Hier war alles möglich.

      3.

      »Ach, du meine Güte«, flüsterte die Bibliothekarin der Kinderbuchabteilung und stupste ihre Kollegin aus der Erwachsenenabteilung, Linda Warming, in die

      Seite, als L. O. Beck die Bibliothek betrat. »Es gibt doch verdammt viele Sorten Leser.«

      Linda warf Beck, der mitten in der Tür stehen geblieben war und jetzt den halb geschmolzenen Schnee von sich abschüttelte, einen schnellen Blick zu.

      »Der da?«, sagte sie. »Der will nichts ausleihen. Vielleicht will er in den Lesesaal.«

      Hätte man Linda gefragt, woher sie das wissen wollte, hätte sie mit der Antwort Schwierigkeiten gehabt. Wahrscheinlich hätte sie gesagt, dass er nicht wie jemand aussah, der Bücher auslieh, aber, da musste sie ihrer Kollegin Recht geben, es gab viele Sorten Leser. Weder der grüne Lodenmantel, der passende Hut, die braune, gut gebügelte Hose noch die teuren Schuhe gaben den Ausschlag. Auch nicht die Tatsache, dass Beck wie ein Mann aussah, der genug Geld hatte, sich die Bücher zu kaufen, die er lesen wollte, das hatten schließlich viele ihrer Kunden. Und auch nicht, dass er nicht einmal wie jemand aussah, der überhaupt Bücher las.

      Würde Linda wirklich gefragt – aber das wurde sie nicht –, hätte die Antwort wohl gelautet, dass Beck wie ein Mann aussah, dem nichts daran lag, etwas umsonst zu bekommen, das alle anderen genauso leicht bekommen konnten. Und damit hätte sie Recht gehabt.

      Beck blieb mit dem Hut in der Hand stehen und ließ den Blick durch den Raum wandern. Er streifte uninteressiert die beiden Frauen in der Ausleihe, registrierte kurz den kleinen eingefallenen Mann, der an einem Schreibtisch saß und versuchte, sich hinter einem Schild zu verstecken, auf dem BIBLIOTHEKAR stand, und erblickte schließlich die Tür zum Lesesaal. Die Bibliothek war klein und überschaubar, die kleinste Filiale der Stadt mit nur fünf, sechs Angestellten, sein Glück, denn so war die Wahrscheinlichkeit groß, dass er Karen Jensen hier finden würde.

      Er wusste, dass sie hier war. Er hatte sie zwei Tage lang beschattet und war ihr vor ein paar Stunden bis zur Tür gefolgt.

      »Was hab ich gesagt!«, flüsterte Linda triumphierend ihrer Kollegin zu, als Beck im Lesesaal verschwand.

      Karen Jensen sah fragend auf, als Becks Schatten über den Schreibtisch fiel, an dem sie Karteikarten bearbeitete.

      Der


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