Collapse. Bernd Roßbach

Collapse - Bernd Roßbach


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noch viel größere Überraschung, die allerdings in den Überschriften der Massenmedien noch nicht ihren Platz gefunden hat, ist die Entmystifizierung der Funktionsweise unseres Gehirns, sowie neue Erkenntnisse zu dessen Beeinflussbarkeit. Glaubt man unbestätigten Quellen, dann lassen die Ergebnisse eines russischen Wissenschaftlerteams das Riesenmolekül DNA im Hinblick auf äußere Programmierbarkeit in einem völlig neuen Licht erscheinen.(3) So liegt es nahe, dass unsere DNA auf noch unbekanntem Weg mit anderen Individuen kommuniziert – und dies möglicherweise gar über kosmologische Distanzen. Stellt die DNA damit gar eine Schnittstelle zwischen Mensch und Kosmos dar? Dies zu klären, ist nun Aufgabe der Wissenschaft.

      Das digitale Zeitalter birgt offenbar einen Paradigmenwechsel hin zu direkter Einflussnahme auf unser Gehirn. Denn dass Chemiker an Substanzen und Technologien arbeiten, den menschlichen Geist gefügig zu machen, ist bereits seit der MK-ULTRA Ära bekannt; ein Thema übrigens, das bereits meinen ersten Roman »Schattenwelten« beeinflusste. Aufgrund der militärischen Bedeutsamkeit ist anzunehmen, dass auf diesen Gebieten bis an die Grenzen des Machbaren geforscht wird. Die Frage, ob wir uns durch Willensstärke allein der Angriffe von außen erwehren können oder künftig womöglich so etwas wie ein Virenprogramm gegen Beeinflussungssmog benötigen, wird vielleicht schon die nahe Zukunft beantworten. Unser Gehirn hat jedenfalls keine Firewall, deshalb beginnen bereits die großen Manipulateure in geschützte Privatsphären einzubrechen, um mit neusten Errungenschaften der Technik unsere Meinungsbildung und Wahrnehmung zu verändern(4).

      In meinem Beruf habe ich mich vielfach mit Krisenszenarien und Sicherheitsmodellen beschäftigt. Wobei eine Krise durchaus ein konstruktiver Zustand sein kann. Dieser Meinung war bereits Max Frisch: »Man muss nur verstehen, ihr den Beigeschmack einer Katastrophe zu nehmen«. Um aber zu verhindern, dass sich vermeintlich verheißungsvolle Technologien nicht schon bald gegen uns selbst richten, ist nicht zuletzt die Analyse von komplexen Systemen eine der wichtigsten Aufgaben integrierter Zukunftsforschung. Dabei stehen Fragen im Vordergrund wie: Wird das System demnächst in eine Krise geraten? Oder auch: Welche Folgen hätte eine solche Krise?(5) Und wie viel Risikobereitschaft verträgt ein System? Fragen, die uns schon bald beschäftigen werden. Denn was würde geschehen, wenn Sicherungsnetze aufgrund der Komplexität riskanter Forschungsprojekte versagen, wenn auf diesen Wissensgebieten der größte anzunehmende Unfall eintritt? Gelänge es auch dann noch, die Büchse der Pandora zu schließen, wenn in riskanten Forschungsdisziplinen gleich zwei Super-GAU’s zur selben Zeit zusammenträfen, die einen Kollaps der Systeme bewirken?

      Es wird nicht irgendwann passieren – es passiert jetzt.

      Bernd Roßbach, Beaumont März 2011

      »So lasst uns denn ein Apfelbäumchen pflanzen. Es ist soweit.«

      (Hoimar von Ditfurth, Wissenschaftspublizist)

      Die Anomalie

      Dallas, 08. Juli 2017, neun Tage vor der Alphastabilität

      Katastrophen geschehen nicht einfach, sie sind das Resultat einer Verkettung unglücklicher Umstände. Dies sollte auch Jack Burton, Oberarzt und stellvertretender Direktor des Jefferson Health Medical Centers in Dallas, bald erkennen.

      Burton hatte seit vierunddreißig Stunden keinen Schlaf gefunden und das Krankenhaus mehrere Tage nicht verlassen. Trotz der Strapazen war ihm die Anspannung nicht anzusehen, da er selbst unter Stress eine gleichbleibende Freundlichkeit vermittelte, für die ihn seine Kollegen schätzten. Nun jedoch begann ihn eine aufsteigende Kälte zu schütteln, die ihn immer dann heimsuchte, wenn er lange nicht geschlafen hatte.

      Assistenzarzt Phileas Wuthering blickte verzweifelt auf Burton, der sich das Stethoskop aus den Ohren riss.

      »Schon wieder ein neuer Fall, die Notaufnahme schafft den Ansturm nicht mehr«, sagte Wuthering.

      »Decken Sie den hier zu Phil, ich werde es mir mal anschauen.«

      Der stellvertretende Direktor, so wurde Jack Burton von den meisten Mitarbeitern genannt, genoss den Ruf eines Pedanten. Er hasste es, improvisieren zu müssen, obschon gerade deshalb ein Ausnahmezustand bei ihm vermutlich besser organisiert wäre als so manch andere Klinik im Regelbetrieb. Doch selbst Burton wusste nicht mehr, wie die eskalierenden Ereignisse unter Kontrolle zu bringen waren. Der Ansturm von Kranken und Verletzten sprengte alle Kapazitäten der Klinik. Burton fasste in seine Jackentasche, in der er sonst immer sein Notizbuch trug. Seit dem Studium war es ihm zur Gewohnheit geworden, jede Überbelegung mittels Strichlisten detailliert festzuhalten. Er tat dies schon deshalb, um möglichen Abweichungen vorzubeugen und einen peinlichen Mängelzustand erst gar nicht entstehen zu lassen. Jetzt fassten seine Hände ins Leere. Das Buch hatte er schon vor Tagen zur Seite gelegt, zu einem Zeitpunkt, als er aufgehört hatte, die Toten zu zählen. Schließlich deckte er selbst das weiße Laken über den vor wenigen Minuten Verstorbenen, hastete über den Flur und besprach sich mit seinem Assistenten Wuthering, der ihm über den Verbindungsgang zur Ambulanz folgte. Wuthering trat ans Fenster und blickte hinaus auf die Schlange von Unglückseligen, die es noch geschafft hatten, sich bis zur Klinik zu schleppen.

      »Jack, gucken Sie sich das an. Wir müssen Chrichton informieren, jetzt!«

      »Wahrscheinlich ahnt der Alte schon, dass wir zumachen sollten.«

      »Ach, er weiß es doch längst. Machen wir uns nichts vor. Kein Bett frei und in der Notaufnahme stehen sie bis auf die Straße«, fasste Burton zusammen.

      Der Oberarzt stemmte die Hände an die Hüften und sagte: »Klar weiß er das, aber er muss es schließlich auch anweisen. Für mich ist es eine ausgemachte Sache. Gerade jetzt, wo die Medien heißlaufen.«

      »Warum zögert Chrichton?«, wollte Burton wissen.

      »Er wird sich fragen, wo die Menschen hin sollen. Alle Stationen in Dallas sind überfüllt. Und das nicht erst seit gestern.«

      »Okay, ich werde mit ihm reden.«

      Burton versuchte, den Betten und Infusionsständern auf dem Gang auszuweichen. Den mit Verbandsresten übersäten Flur ignorierte er, denn die zunehmende Dramatik im Klinikbetrieb ließ ihn in eine Art Lethargie abdriften, so als wäre ihm das Chaos in den Gängen der Klinik schon zu einer lästigen Gewohnheit geworden. Er würde sich nie daran gewöhnen, das wusste er. Zwar hatte er über die Jahre eine Distanz zum Klinikalltag entwickelt, einen funktionierenden Selbstschutzmechanismus, doch blutverschmierte Körper, Hilferufe oder die in ihrer Totenmaske erstarrten Gesichter jener, die den Kampf verloren hatten; all das würde immer eine Reaktion in ihm auslösen.

      Ihn schauderte. Es bereitete ihm Schmerzen, die verzweifelten Blicke seiner Untergebenen ignorieren zu müssen, die sich zwar aufopfernd, aber mehr und mehr resignierend dem Ansturm der Kranken entgegenstellten. Burton erreichte die Notaufnahme. Dort warteten Überfallopfer aller Altersklassen mit unterschiedlichsten Verletzungen. Das Sicherheitspersonal stieß die Drängelnden zurück, während eine Ärztin versuchte, die besonders schweren Fälle zu identifizieren.

      »Versucht, möglichst viele ambulant zu versorgen! Jennifer, ich brauche Sie gleich drinnen. Lassen Sie sich ablösen.« Oberarzt Burton verschaffte sich noch einen Überblick über die Versorgungssituation, bevor er im Hauptgebäude auf Stationsschwester Kathie traf.

      »Fahren Sie die letalen Abgänge runter, wir brauchen Platz für weitere Patienten«, rief Burton ihr zu. Sie schickte sich an, die Toten, die mittlerweile den Platz auf den Stationen weiter einschränkten, in den Keller zu verfrachten.

      »Jack, die Auswertung der Analysen über die neu Eingelieferten ist da.«

      »Und?«

      »Wie bei den anderen. Blutwerte abnorm, hohe Leberwerte und auch wieder die unbekannte zyklische Kohlenstoffverbindung.«

      »Und die Glycoside?«

      »Die haben wir wieder nur bei den Aggressiven gefunden.«

      »Wie sieht’s mit den Barbituraten aus?«

      »Wir kriegen sie nicht mehr ruhiggestellt. Diazepam, Barbital, nichts schlägt an! Nur


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