Collapse. Bernd Roßbach
zu einem einzigartigen, für diese Region so typischen Geruch vermischte.
»Riechst du das, Judy?«
»Ja, ich hatte den Duft schon heute Morgen auf dem Balkon in der Nase.«
»Das liebe ich so an Galveston«, sagte Sparks.
»Wollen wir heute Abend einen Abstecher nach Houston in die Galleria machen? Du kannst shoppen gehen.« Sparks strahlte über das ganze Gesicht. »Es gibt da übrigens auch eine Eisbahn und die Cheesecake Factory, das ist der beste Käsekuchen in Texas.«
»Eine Eisbahn?«
»Du kannst doch Eislaufen? Hast du mir jedenfalls erzählt.«
Judy zwinkerte. »Was mich betrifft, ja. Aber kannst du’s auch?«
»Mich musst du vor dir herschieben.«
»Klar, natürlich zu schwierig für einen, der mit dem Gleitdrachen vom South Rim des Grand Canyon springt.« Sparks gab seiner Freundin einen leichten Stupser und küsste sie auf dem Mund.
Als sie sich voneinander lösten, nahm Judy die Konversation wieder auf: »Sag mal, hast du dir das mit der neuen Wohnung eigentlich mal überlegt? Ich könnte in Frisco den Job im Sender bekommen.«
Sparks deutete ein Nicken an, in seiner Gegenfrage klang Unverständnis an. »Verdienst du da mehr?«
»Nein, aber dann ist es von LA aus nicht so weit, und wir könnten uns öfter sehen. Nicht nur am Wochenende.«
Sparks verharrte einige Sekunden. »Ach, lass uns später darüber reden, wenn ich den Kopf wieder frei habe. Okay?«
»Aber der Job wartet nicht. Was meinst du?«, insistierte Judy.
Sparks klang gelangweilt. »Wir sind doch noch nicht so lange zusammen. Müssen wir uns jetzt schon darüber Gedanken machen?«
»Nun ja, wann denn?«
»Du weißt doch, ich bin im Sudienstress wegen des Masters.«
»Klar, aber so oft kommen solche Chancen nicht.«
»Es ist alles ein bisschen viel im Moment. Lass uns erst mal die Zeit hier genießen.«
Judy antwortete nicht, und die nächsten Minuten verbrachten sie wortlos, bis Sparks plötzlich das Schweigen brach. »Schau dir das an. Was ist denn da los?«
Er lenkte Judys Aufmerksamkeit zur Auffahrt des Hotels, vor der sich eine lange Wagenkolonne gebildet hatte. Mehrere Polizeifahrzeuge und ein Rettungswagen blockierten die Zufahrt.
»Da muss was passiert sein. Wir parken besser um die Ecke.«
Während die Journalistin zu ihrer Kamera griff, begannen mehr und mehr Regentropfen auf die Scheiben zu prasseln.
»Ich geh schon mal vor. Das guck ich mir mal aus der Nähe an«, sagte Judy.
Sparks hielt an und ließ Judy aussteigen. Wenige Augenblicke später fand er einen Parkplatz auf der Straße. Den Wagen stellte er quer in der Lücke ab, als der Platzregen losbrach. Er hastete den Weg zur Hotelauffahrt hinauf. Binnen weniger Sekunden watete Sparks durch eine Wasserflut, die sich die Einfahrt hinunter zur Straße ergoss.
Als er die Unglücksstelle erreichte, lichtete Judy bereits die Bilder des Geschehens ab. Die Kamera versuchte sie mit ihrer Handtasche vor dem Platzregen zu schützen. Jetzt erblickte auch Sparks die mit Markierungen versehene Blutlache am Boden, die im Regen bereits zu einer konturlosen Brühe mit kontrastierenden Rottönen verschwommen war.
Polizisten drängten die Schaulustigen hinter die Absperrungen zurück. Auch Judy wurde von einem der Officer mit ausgebreiteten Armen in die Menge zurück gedrängt. Als sie sich widersetzte und er sie daraufhin anherrschte, fingerte sie ihren Journalistenausweis aus der Tasche.
»RSCN Television Los Angeles«, ließ sie verlauten und hielt dem Uniformierten das Dokument vor die Nase.
»Was ist hier passiert?«
Der Officer befestigte ein weiteres Absperrband, während er antwortete.
»Vermutlich einer dieser Amokläufer. Mit denen haben wir es seit Wochen zu tun.«
»Und wer ist das Opfer?«
»Ein Überfall auf einen der Hotelgäste. Als er nicht gehorchte, hat man ihm vermutlich den Hals aufgeschnitten.«
»Den Hals aufgeschnitten? Warum?« In Judys Stimme klang Entsetzen mit.
»Keine Ahnung. Warum bringen Menschen andere Menschen um? Einen Grund gibt’s vermutlich immer.«
»Hat man ihn gefasst?«
»Ja, die Security vom Haus war so freundlich.« Er wies auf eine Gruppe ebenfalls Uniformierter, die sich am Eingang des Hotels unter dem Vordach postiert hatten und ihre Hände demonstrativ an den Schlagstöcken ruhen ließen.
»Die haben ihn ganz schön zugerichtet. Aber verdient hat er’s ja, vermutlich.«
»Sie meinen, es war einer von diesen Creeps?«
»Ja, vermutlich wieder einer dieser Verrückten. Wir haben immer mehr Probleme mit denen. Scheinen sich vermutlich wie die Karnickel zu vermehren.«
»Können Sie schon etwas zur Person des Täters sagen? Wie alt war er?«
»Vielleicht fünfundzwanzig Jahre. Keine Ahnung. Das Opfer war älter, vermutlich. Also Lady, Sie sehen doch, ich habe alle Hände voll zu tun. Wenn Sie noch Fragen haben, wenden Sie sich an unser Office. Okay?«
»Ja, vermutlich!« Judy verdrehte die Augen, während der Regen ihr die Kleidung durchnässte. Sie schoss noch einige Fotos von der Trage, auf die der Tote unter eine glänzende Metallfolie gelegt und in den Rettungswagen verfrachtet wurde.
Sparks befand sich hinter den Absperrbändern. Durchnässt winkte er Judy zu. Nachdem er Judy wieder in seine Arme geschlossen hatte, liefen sie zusammen in Richtung des schützenden Eingangsportals.
»Hast du gehört, was hier los war?«
Judy schüttelte den Kopf. »Es war wohl einer von den Creeps. Mehr konnte ich nicht in Erfahrung bringen.«
»Gibst du die Bilder heute noch an deinen Sender?«
»Ja, online. Das geht schnell. Aber ich werde nachher nochmal mit der Polizei telefonieren, um Details zu bekommen. Der Cop hier war komisch drauf.«
»Gut, lass uns erstmal ins Hotel gehen«, entgegnete Sparks.
Im Hotelzimmer ordnete Judy ihre Notizen und informierte ihren Sender, am Abend überfiel sie eine ungewohnte Unruhe. Kurzentschlossen machten sie und Sparks sich doch noch auf den Weg zur Galleria in Houston.
Nach dem Platzregen am frühen Abend brachte der landeinwärts aufkommende Wind etwas Abkühlung. Sparks, der das südtexanische Klima in der Region um Houston mit Nähe zum feuchten Louisiana eigentlich liebte, schwitzte mehr als sonst. Anders als in den zurückliegenden Jahren, schien ihn eine Unruhe zu überfallen.
Auf dem Weg in die Stadt bog Sparks in die Westheimer Avenue ein. Das Klingeln seines Mobiltelefons ließ ihn mürrisch in die Tasche greifen.
»Sparks«, beantwortete er hastig den Anruf, während er mit der rechten Hand das Steuer hielt.
»Leighland hier«, vernahm er die Stimme seines Professors. »Wo treiben Sie sich schon wieder rum? Haben Sie sich nicht den Hals gebrochen bei Ihren Drachenfliegereien? Man sprach schon davon hier auf dem Campus.«
»Wie Sie sehen, ich lebe noch«, antwortete Sparks belustigt.
»So. Also mit anderen Worten, Ihr Flugexperiment ist für uns unerwartet schiefgelaufen. Welch ein Jammer.«
»Oh, danke Herr Professor, dass Sie so besorgt um mich waren.«
»Sie haben hier andere Aufgaben. Nun, da Sie noch leben, kommen Sie mal bei mir im Büro vorbei. Wir sollten darüber reden, wie es nun mit Ihnen weitergeht. Am besten gleich morgen.«
Sparks