Collapse. Bernd Roßbach

Collapse - Bernd Roßbach


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splitterte. Der Stoß, mit dem der Angreifer Kathie das spitze Ende des Stiels unterhalb des Brustbeins in den Körper rammte, erfolgte blitzschnell. Ihre Augen halb geschlossen, wurde sie von dem Holzspeer an die Wand geschleudert. In dem Augenblick, als sie der Speer durchdrang, riss sie die Augen wieder auf, obwohl sie nicht einmal verstand, was passiert war.

      Den Schmerz fühlte sie lediglich als warme Welle, die ihren Körper durchflutete. Sich ihr eigenes Ende unter diesen Umständen vorzustellen, hätte sie vor allem mit der Vorstellung von unerträglichen Schmerzen konfrontiert. Nun aber war es eine gnädige Laune der Natur, die Kathie den Schmerz gar nicht erst wahrnehmen ließ. Es fühlte sich an, als würde eine Meereswoge sie sanft anheben und den Kontakt mit dem Boden verlieren lassen. Das alles geschah in dem Moment, als ihr das mit Adrenalin und körpereigenen Morphinen überschwemmte Gehirn noch das Gefühl eines sich vor ihr schließenden Vorhanges suggerierte, kurz bevor ihr Kreislauf endgültig aussetzte. Blut rann von ihren Lippen und benetzte ihren Kittel, ihr Lebenssaft färbte den Stoff aus lindgrüner Baumwolle dunkel.

      Im Augenblick der Bewusstlosigkeit erschlaffte ihr Körper. Ihre Augenlider schlossen sich, als sie am ausgestreckten Arm ihres Peinigers zu Boden glitt. Sie bemerkte nicht mehr, wie das Türblatt an ihren Körper stieß und der Mann, der sich nunmehr zur vollen Größe aufgerichtet hatte, sie achtlos am Boden zur Seite drückte, als er das Zimmer verließ.

      ***

      Zur selben Zeit fünfundsiebzig Meilen über den Bahamas

      Shuin Sparks beobachtete durch das Visier seines Raumanzugs das nur sehr langsam zurückgleitende Dach des Spacegleiters, hinter dem die blauschwarze Nacht des Alls lautlos auf ihn wartete. Sparks saß nahezu in Liegeposition inmitten der Kapsel, eingepfercht in einen ergonomisch gestalteten Sitz aus Carbon. Die Rohrkonstruktion, aus einer Legierung aus Magnesium und Titanaluminid bestehend, glänzte blasssilbern. Sie diente dem Sitz zur Fixierung, erweckte aber trotz zahlreicher Stabilisierungsstreben einen eher zerbrechlichen Eindruck. Endlich würde der langersehnte Sprung erfolgen. Die Instrumente, die am Armgelenk oberhalb seiner Handschuhe in den High-Tech-Anzug integriert worden waren, zeigten Ready. Sparks erwartete die Absprungfreigabe. Sie würde kontrolliert durch die Bodenstation über eine grüne Farbanzeige erfolgen, die seit wenigen Minuten in fahlem Rot pulsierte.

      Erst der Farbwechsel der Signalleuchte würde seine Glieder auch aus der Umklammerung der Sicherheitsbügel freigeben. Es wäre der Schlusspunkt der Transportphase in siebzig Meilen Höhe, die von der Bodenstation als Package-Flight bezeichnet wurde. Aber noch wurde sein Körper durch das ihn umgebende Plexiglaskorsett und den metallisch glänzenden Gurt zurückgehalten, der seine Brust und die Beine wie eine zweite Haut umschloss. Das Signal zum Absprung stand allerdings unmittelbar bevor, denn die Konstruktion der Abdeckung aus feuerfestem Spezialkunststoff hatte sich bereits einen Spalt weit geöffnet.

      Sparks legte für eine Sekunde den Kopf in den Nacken, schnaufte durch und genoß seinen Erfolg. Der Ausnahmestudent, der sein Studium der Kernphysik aufgrund eines Stipendiums an der Eliteuniversität Berkeley durchführte, fieberte bereits seit zwei Jahren dem Sprung entgegen. Es war eine ungeahnte Erleichterung gewesen, als man ihm die Auswertung der Tests mitgeteilt hatte, aus denen er allein als Sieger hervorgegangen war. Nun war sein Triumph vollkommen. Sich an den Ausbruch der Freude erinnernd, näherte er sich dem Höhepunkt seiner wochenlangen Vorbereitung, für die er so viele Tage im Space-Jump-Vorbereitungszentrum des seinen Sprung finanzierenden Unternehmens Omega Dive zugebracht hatte.

      Der Sprung selbst würde bis zum Erreichen des Erdbodens über dreißig Minuten dauern. Knapp dreißig Minuten freier Fall, denen einige Minuten Schwerelosigkeit vorausgehen würden. Das Geräusch des Einrastens der Sicherungszapfen in der Abdeckung drang an seine Ohren. Der Vierundzwanzigjähige reflektierte in seiner Erinnerung die Gespräche um den Werbeeffekt, den Omega Dive über die Massenmedien auszuschlachten wusste. Weit entfernt auf der Erde verstand es das Unternehmen bereits jetzt, Technologie als Freizeitvergnügen in bare Münze umzuwandeln, denn eine Schar ausgewählter Interessenten verfolgte den Sprung in einer eigens eingerichteten Vip-Lounge zusammen mit den Investoren gegen ein nicht grade geringes Entgelt. Jetzt kostete Sparks das erhebende Gefühl des Jungfernflugs aus, der in diesen Augenblicken für gutbetuchte Abenteuersuchende in Szene gesetzt wurde.

      Die Leere des Alls rief in ihm die Erinnerungen an die sternklaren Nächte in Berkeley wach. Als Student hatte er sich am nicht weit entfernten Ufer des San Pablo Reservoirs aufgehalten und im Gras liegend stundenlang in den Himmel geblickt. Schon damals hatte er versucht, sich einen Fallschirmspringer vorzustellen, der aus großer Höhe die Erdoberfläche betrachtet. Jetzt allerdings war es ganz anders als in seiner Vorstellung. Jetzt nahm er die Sterne durch das doppelte Visier seines mit Carbonfasern verstärkten Kevlarhelms wahr, die seine Umgebung durch den Filtereffekt einer Goldbeschichtung in ein fahles Gelb tauchte. Andere Fixpunkte gab es nicht.

      Endlich öffnete sich auch die Halterung des Brustgürtels. Sparks zögerte. Erst jetzt, in einer gewaltigen Inszenierung durch die Neigebewegung des Gleiters, geriet der Planet kopfüber in sein Blickfeld. Grün leuchtete die Anzeige Go. Einige Sekunden ließ er sich durch das atemberaubende Schauspiel beeindrucken, auf das er so lange gewartet hatte.

      Noch tags zuvor, als er von Mitarbeitern auf dem Abfluggelände von Omega Dive in Florida in den silberglänzenden Gleiter befördert worden war, kannte Sparks den Anblick aus dem Weltall lediglich von Fernsehaufnahmen oder Bildern virtueller Space-Jump-Animationen, die er bereits als Jugendlicher in sich aufgesogen hatte. In den Abbildungen erschien ihm die Erde als zweidimensionale Scheibe, der er wenig Aufmerksamkeit schenkte. Schon damals glaubte er zu ahnen, dass ein Weltraumsprung einmal zu einem seiner Lebensziele werden würde.

      Nun hielt er einige Sekunden lang inne, berührt von dem Schauspiel, dessen Schönheit und majestätische Erhabenheit ihm bis zu diesem Augenblick verwehrt geblieben war. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er die Erde eigentlich für unspektakulär gehalten, als seine Heimat irgendwo in der Michstraße, auf der es sich zwar angenehm leben ließ, die er jedoch gleichzeitig als eine selbstverständliche Einrichtung der Natur empfand. Erst jetzt, nachdem sich sein Traum zu erfüllen begann, nahm er sie als jene wundersame blaue Kugel wahr, deren Anblick ihn atemlos machte. Eine, aus der Ferne betrachtet, einzigartige Diva im Planetensystem des Alls. Gebannt blickte er auf den unbeweglichen Ball, dessen Wölbung sich im Horizont über ein schwachglänzendes Lichtband in der dahinterliegenden Schwärze des Alls verlor.

      Unten auf der Erde, auf dem Gelände von Omega Dive, lief unterdessen die Liveübertragung. Dem ausgewählten Publikum eröffneten sich in diesen Augenblicken atemberaubende Bilder des Weltalls, begleitet von Sparks Ansprache.

      »Glaubt ihnen nicht«, sprach er die Worte ins Mikrophon, die er zuvor auswendig gelernt und immer wieder geprobt hatte.

      »Glaubt ihnen nicht, wenn sie euch erzählen wollen, wie sie von hier oben aussieht. Vergesst es. Vergesst alles, was man euch erzählt hat. Es ist anders. Ganz anders. Es ist viel größer, viel beeindruckender – Ihr werdet es selbst erleben.«

      Im Augenblick, als die Leuchtanzeige von rot auf grün wechselte, wusste Sparks, dass dies das Startsignal zu einem Ziellauf bedeutete, auf den er so lange hingearbeitet und auf dessen Realisierung er lange Zeit nicht in seinen kühnsten Träumen zu hoffen gewagt hatte. Jetzt war es für ihn Wirklichkeit geworden. Sparks schwelgte in Gedanken, die er bereits tausende Male, wie ein nicht enden wollendes Déjà-vu‚ wieder und wieder durchlebt hatte. Würde es sich anfühlen wie ein Fallschirmsprung, wie er ihn so oft in den Zeiten seines Dienstes bei der Army absolviert hatte? Die Erdanziehung, die ihn wie durch das Saugrohr eines Staubsaugers in die Tiefe ziehen würde, wirkte erst einige Meilen weiter unten, deshalb würde er Minuten in völliger Schwerelosigkeit genießen können.

      Sein Ziel einer sanften Erdlandung schien für ihn jedoch noch in unerreichbarer Ferne. Lautlos stieß er sich ab und glitt Zentimeter für Zentimeter über die Schwelle seines Sitzes hinaus in die Schwärze des allumfassenden Vakuums. Sekundenlang fühlte er Zufriedenheit, als fände er zwischen zwei Welten durch ein nicht näher zu erklärendes Gleichgewicht einen schwebenden Ausgleich. Tief atmete er durch seinen Helm das vorbereitete Luftgemisch ein. Das All vermittelte ihm ein Gefühl von absoluter Ruhe und Entspannung, wie in grenzenloser Macht über den Dingen zu schweben, um doch


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