Mörder im Hansaviertel. Frank Goyke

Mörder im Hansaviertel - Frank Goyke


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noch in der Auffahrt, was ja wohl bedeuten müsse, dass das Ehepaar Klaas nicht nach Kroatien gefahren war. Das sei doch wohl ein Grund, sich Sorgen zu machen.

      »Wo genau in Kroatien?«, wollte der Dunkelhaarige wissen, während der Blonde an der Klaas’schen Haustür klingelte, was er zuvor bereits mehrmals getan hatte. Er war auch um das Haus herumgegangen und hatte in die Fenster gespäht, vor denen die Außenjalousien nicht heruntergelassen worden waren – genau wie Frau Hagemeister es zuletzt vor einer Dreiviertelstunde getan hatte, doch das verschwieg sie.

      »Ja, wie hieß der Ort noch?« Dass Liselotte Hagemeister auf den Namen nicht kam, ärgerte sie nicht nur, es war vermutlich auch der Grund, dass die Polizisten sie behandelten, als wäre sie dement. Aber vielleicht gingen sie mit allen alten Menschen so um. Sie waren jung, verkörperten die Staatsmacht und strotzten vor Gesundheit. Vielleicht meinten sie insgeheim, dass alle Menschen jenseits der 65 in die Gaskammer gehörten. Oder sie waren Rechtsradikale – man las ja so einiges über solche Typen bei der Polizei.

      »Sie wissen es nicht?« Der Dunkle schaute sie vielsagend an und schloss sein kleines Notizbuch.

      »Es handelt sich um eine Partnerstadt von Rostock«, erwiderte Frau Hagemeister. »Da ist doch so eine Ausstellung in der Kunsthalle …«

      »Ach so, ja!« Der Dunkelhaarige warf einen Blick zu dem Blonden. »Wie heißt noch mal diese Stadt, wegen der sie da eine Ausstellung machen in der Kunsthalle?«

      »Riga, glaube ich.« Der Blonde kam näher.

      »Nicht Riga, sondern Rijeka!« Endlich war es ihr eingefallen. Ein »Heureka« ersparte sie sich, obwohl es ihr auf der Zunge lag. ›Heureka, Rijeka!‹, das war ein arger Kalauer.

      »Herr und Frau Klaas wollten also am Montag sehr früh nach Rijeka fahren«, fasste der Dunkle zusammen. »Mit dem Auto, das sie am Sonntag gepackt haben. Da kann natürlich einiges dazwischengekommen sein. Vielleicht ein Todesfall? Würden Ihre Nachbarn Ihnen Bescheid geben?«

      »Mir?« Die alte Frau lachte. »Wir sprechen wenig miteinander.«

      Der Blonde mischte sich ein: »Aber, dass sie nach Kroatien wollten, das haben sie Ihnen gesagt?«

      »Nein, aber ich weiß es. Sie fahren seit Jahren immer um die gleiche Zeit runter. Das haben sie mir erzählt, als wir noch mehr Kontakt hatten.«

      »Und warum haben Sie jetzt weniger Kontakt?«

      »Sie haben Erfolg und sind mittlerweile so arrogant und zanksüchtig, dass in der Nachbarschaft keiner mehr mit Ihnen etwas zu tun haben will«, sagte Liselotte.

      »Verstehe«, sagte der Blonde, doch war deutlich zu sehen, dass er nicht verstand. »Frau Hagemeister, ich mache Ihnen einen Vorschlag: Lassen Sie uns noch bis zum Wochenende warten. Vielleicht ist ja wirklich jemand aus der Verwandtschaft verstorben. Oder gar nicht so schlimm: Er musste plötzlich ins Krankenhaus. Aber wenn am … sagen wir mal, wenn sich bis Sonnabend nichts tut, oder bis Sonntag … dann rufen Sie einfach noch mal an. Ja, Frau Hagemeister?«

      ›Ja, Frau Hagemeister? Ja, Frau Hagemeister?‹, äffte sie ihn im Stillen nach. Sie hatte schon kapiert.

      »Gut.« Er reichte ihr eine Karte. »Sie können das Revier anrufen und müssen nicht die 110 wählen. Schönen Tag noch.«

      »Wiedersehen«, sagte Frau Hagemeister.

      »Tschüs!«, sagte der Dunkle.

      Liselotte Hagemeister schaute ihnen nach, wie sie zum Streifenwagen gingen. Sie hatten sehr straffe, sehr jugendliche Hinterteile. Erreicht hatte sie nichts, aber hübsch waren die Jungs, wirklich sehr hübsch.

      Jonas Uplegger hatte noch einen Abstecher zum Biomarkt gemacht, und so war es bereits kurz vor sieben, als er zu Hause eintraf. Kerstin wohnte noch nicht lange bei ihm in seiner schönen Wohnung am Puschkinplatz; sie war zu ihm gezogen, als sie von ihrer Schwangerschaft erfahren hatte. Es war sein Wunsch gewesen, diese Zeit gemeinsam intensiv zu erleben. So hatte er sich ausgedrückt und schämte sich inzwischen für seine großen Worte. Doch nun wohnte sie bei ihm, was er genoss. Sie natürlich auch. Ihre Wohnung in Lütten Klein nutzte sie kaum noch; selbst nach langen Abendsitzungen in der Schule kam sie zu ihm.

      Uplegger hatte einen Gruß ins Wohnzimmer gerufen und war dann stracks in die Küche gegangen, um die Einkäufe auszupacken.

      Kerstin war ihm gefolgt. Sie stand in der Küchentür, schaute ihm zu und rief, nachdem er die Lebensmittel auf dem Küchentisch ausgebreitet hatte: »Oh Gott, nein, Jonas! Nicht schon wieder dieses Viehfutter!«

      »Aber …« Er wandte sich ihr zu. »Es ist gut für die Gesundheit … auch des Kleinen. Und nicht vergiftet wie die Sachen aus dem Supermarkt.«

      »Wieso des Kleinen? Es kann ja auch eine Kleine werden.«

      »Natürlich.«

      »Weißt du, wovon ich seit Tagen träume?«, fragte sie, kam zu ihm und legte ihm die Hände auf die Schultern. »Von riesigen Koteletts. Ich will Fleisch essen, Jonas! Es muss keine Grillhaxe sein, obwohl ich die einmal im Jahr in der Winterzeit auch nicht ablehne. Aber nein, mir reicht ein Kotelett, groß wie eine Pfanne. Meinetwegen bio und vom Hof nebenan. Aber Fleisch, Jonas! Etwas mit Fasern, die zwischen den Zähnen klemmen bleiben. Und wenn es mein Leben um drei Minuten, drei Stunden oder drei Tage verkürzt: Ich will Fleisch!«

      »Nun ja …« Verlegen senkte er den Blick. »Ich habe nichts im Haus …«

      »Ich weiß. Der Inhalt deines Kühlschranks und deiner Küchenschränke ist mir bekannt.«

      »Wir könnten essen gehen. Vielleicht ins Leon’s in der Kröpi? Wir könnten mit der Straßenbahn …«

      »Wir gehen zu Fuß. Ich bin schwanger, nicht behindert. Wie lange brauchen wir?«

      Uplegger zuckte mit den Achseln. »20, 25 Minuten.«

      »Für ein Steak nehme ich auch eine Stunde in Kauf. Ich mache mich ein wenig frisch.« Fröhlich tänzelnd ging sie ins Bad.

      Uplegger schob die Lebensmittel in die dafür vorgesehenen Fächer von Kühl- und Hängeschrank und warf die Türen zu. Es freute ihn sehr, seine Kerstin zum Essen ausführen zu dürfen, und auf das Steak freute er sich auch.

      Liselotte Hagemeister kam nicht zur Ruhe. Mit Roda Rodas Buch in der linken Hand stand sie am Fenster und starrte auf das Nachbarhaus. Natürlich tat sich dort nichts. Was sollte sich denn auch tun? Ihre Überzeugung wuchs, dass etwas Schreckliches geschehen war: Das Ehepaar war Opfer von Einbrechern geworden.

      Frau Hagemeister hielt seit prähistorischer Zeit die Ostsee-Zeitung, früher um sich zu informieren, heute aus eher sentimentalen Gründen, denn viel Interessantes stand nicht mehr drin. Das war insofern zu bedauern, weil sie sich früher mindestens eine halbe Stunde mit dem Blatt beschäftigen konnte, während sie sich heute in wenigen Minuten durch die Seiten blätterte. Die Artikel über die Einbruchserie, die Rostock im Frühjahr in Atem gehalten hatte, die hatte sie allerdings gelesen, wenn auch mit einem mulmigen Gefühl. Vor allem auf Einfamilienhäuser und Villen hatten es die Diebe abgesehen, und die Handschrift, so hatte es in der Zeitung geheißen, sprach für immer dieselben Täter. Menschen waren allerdings nicht zu Schaden gekommen. Doch wie hieß es so schön: Einmal ist immer das erste Mal.

      Liselotte Hagemeister wollte sich schon wieder ihrer Lektüre zuwenden, als eine Frau das Nachbargrundstück betrat. Es war eine ziemlich füllige Person, die allerdings ihren Körperumfang mit großem Geschick und unter Zuhilfenahme wallender Tücher zu verbergen vermochte, und diese Tücher sprachen nicht nur von Geschmack, sondern auch von einem gut gefüllten Geldbeutel. Es war eine Freundin von Dorothee Klaas, die, wenn sich Frau Hagemeister nicht irrte, Meissner hieß. Die Frau blieb stehen und betrachtete überrascht den vollgepackten Wagen.

      Frau Hagemeister öffnete das Fenster. »Guten Abend!«

      »’n Abend!« Die Besucherin deutete auf den Van. »Wie ist denn das zu verstehen? Sie wollten doch am Montag fahren!«

      »Ich verstehe es auch nicht und habe schon die Polizei gerufen«, entgegnete


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