Mörder im Hansaviertel. Frank Goyke

Mörder im Hansaviertel - Frank Goyke


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Fritz-Reuter-Straße, war also so nahe am Meer wie in ihrer Kindheit und anscheinend wirklich glücklich. Natürlich gab es einen Wermutstropfen. Ihr Mann, ein Straßenbauingenieur, hatte noch keinen Job in Rostock oder Umgebung gefunden, und so pendelten die Eheleute an den Wochenenden zwischen Oldenburg und Warnemünde hin und her.

      Barbara und Uplegger näherten sich der kleinen Gruppe, und die Kommissarin bat den Chef, sie kurz und knapp auf den Stand der Dinge zu bringen. Es war ein Ehepaar getötet worden, das wusste sie schon, ein Ehepaar namens Klaas. Und es war eindeutig ein Tötungsverbrechen. So war es schon vom KDD eingeschätzt worden, und das hatte sich inzwischen als korrekt erwiesen.

      Gunnar Wendel deutete auf Breithaupt, der einen Blick aufs Klemmbrett warf, obwohl er die wichtigsten Umstände sicher im Kopf hatte.

      »Dorothee und Michael Klaas, sie 53 und er 51, also zirka zwei Jahre jünger.«

      Das hatte Barbara auch sofort ausrechnen können, aber sie schwieg.

      »Sie sind im Keller ihres Wohnhauses getötet worden. Beide mit einem Kopfschuss. Ein paar Sofakissen wurden als Schalldämpfer benutzt. Sieht wie eine Hinrichtung aus.«

      Ann-Kathrin Hölzel ergänzte: »Auf dem Boden neben den Geschädigten wurde eine Jagdflinte gefunden, die als mögliche Tatwaffe in Betracht kommt.«

      »Eine Beretta Bockdoppelflinte, Modell 686«, sagte Wendel. »So ein Ding kostet mehr als 2000 Euro.«

      »Kein Pappenstiel«, bemerkte Barbara.

      »Die größte Besonderheit der Tat ist allerdings der Umstand, dass die Eheleute Klaas gefoltert wurden«, sagte Ann-Kathrin Hölzel.

      Uplegger riss die Augen auf: »Was wurden sie?«

      »Gefoltert.«

      »Beide weisen Folterspuren auf«, sagte Krüger vom KDD, der sich gemeinsam mit Ramona Brinkhart zu der Gruppe gesellt hatte. »Sie wurden geschlagen. Außerdem wurden ihnen tiefe Ritzwunden zugefügt, wahrscheinlich mit einer zerschlagenen Weinflasche. Eine solche lag neben dem Mann.«

      »Puh«, machte Barbara. »Wo sind die Auffindungszeugen?«

      Die zwei Auffindungszeuginnen hatten sich in die Reihenhaushälfte zurückgezogen, die an das Grundstück der Familie Klaas grenzte. Als sich Hauptkommissarin Riedbiester zu ihnen auf den Weg machte, kannte sie ihre Namen; es handelte sich um eine sehr betagte Frau namens Hagemeister, die Besitzerin der Haushälfte, sowie eine gewisse Annalena Meissner, eine Frau mittleren Alters und nach eigenen Angaben die beste Freundin der geschädigten Dorothee Klaas. An der 1. Erweiterten Oberschule, die von Barbara in grauer Vorzeit besucht worden war und an der sie ein mäßiges Abitur hingeschustert hatte, hatte es damals eine Lehrerin namens Hagemeister gegeben, die Deutsch, Russisch und Latein unterrichtet hatte. Barbara hatte sie zwei Jahre in Deutsch gehabt und in der 11. sowie der 12. Klasse in Latein, ein sogenanntes wahlobligatorisches Fach, dass nur die Schüler ernstgenommen hatten, die Medizin studieren wollten. Nur an eine Grausamkeit der lateinischen Grammatik konnte sich Barbara noch erinnern, an den berühmt-berüchtigten Accusativus cum infinitivo, den nur Masochisten liebevoll AcI abkürzten. Aber diese Frau Hagemeister musste längst tot sein.

      Barbara betätigte die Türglocke neben dem Namensschild. Es dauerte keine zwei Minuten, dann wurde die Tür geöffnet. Eine etwas gebeugte, grauhaarige Frau in einem dunkelblauen Hauskleid schaute sie mit sehr ernstem Gesichtsausdruck an.

      Sie war es. Barbara erkannte sie sofort, trotz des fortgeschrittenen Alters. Das war ihre ehemalige Lehrerin.

      Und auch sie schien Barbara zu erkennen. Davon sprach etwas in ihrem Mienenspiel, eine kaum merkliche Bewegung der Brauen, ein Fragezeichen im Blick.

      »Frau Hagemeister!«, rief Barbara und verbarg die Überraschung nicht.

      »Sie waren meine Schülerin«, konstatierte die Angesprochene mit einer leichten Unsicherheit in der Stimme. »Ach … Barbara? Sie heißen Barbara?«

      Barbara nickte. »Sie haben ein gutes Gedächtnis, Frau Hagemeister!«

      »Vor allem in Bezug auf lange Zurückliegendes. Aber so ist das im Alter. Sie sind wohl bei der Kriminalpolizei gelandet?«

      »Gelandet? Das ist ein schönes Wort dafür«, erwiderte Barbara mit einem flüchtigen Lächeln. »Leider habe ich wenig Zeit für einen Plausch …«

      »Ich verstehe. Bitte, kommen Sie herein!«

      Die Kommissarin trat ein. Nachdem Liselotte Hagemeister die Tür geschlossen hatte, stellte Barbara sofort fest, dass es nicht nach alter Frau roch. Vielleicht wurde jenes charakteristische Aroma von den vermutlich indischen Wohlgerüchen überlagert, die durch eine halbgeöffnete Tür in die kleine Diele strömten.

      Frau Hagemeister schob diese Tür weiter auf und lud ihren Gast mit einer Handbewegung zum Nähertreten ein.

      Der Raum, den Barbara vor der Gastgeberin betrat, war unzweifelhaft das Wohnzimmer. Sie nahm die Einrichtung ganz schnell auf Kriminalistenart, also in Uhrzeigerrichtung wahr: links eine Schrankwand aus DDR-Produktion, vis-à-vis eine Fensterfront mit Tür zur Terrasse, rechts deckenhohe Bücherregale, im Zentrum eine Sitzgarnitur, die aus vier um einen Glastisch herum gruppierten Sesseln im Bauhausstil bestand, in einem dieser Sessel eine totenbleiche Frau. Sie hatte rotgeweinte Augen und hielt ein Taschentuch auf dem Schoß. Barbara schätzte sie auf Anfang 50.

      »Guten A… guten Morgen«, grüßte sie. »Mein Name ist Riedbiester. Kriminalpolizei.«

      »Ach, ja, Riedbiester«, flüsterte Frau Hagemeister in ihrem Rücken.

      »Sie sind Frau Meissner?«

      Die Frau machte Anstalten aufzustehen, sie war aber vom Schock zu sehr geschwächt und ließ sich wieder in den Sessel sinken.

      »Annalena Meissner«, bestätigte sie leise. Erneut rannen Tränen. »Ich bin eine Freundin von Dorothee.«

      Barbara nickte. Auf dem Glastisch standen ein paar farbige Teelichter, die den Duft verbreiteten, den sie inzwischen ein wenig übelerregend fand.

      »Wollen Sie sich nicht setzen?«, fragte Frau Hagemeister. »Darf ich Ihnen etwas anbieten?«

      »Nein, vielen Dank!« Barbara nahm in einem der Sessel gegenüber der Freundin Platz. Frau Hagemeister schickte sich an, einen dritten Sessel zu okkupieren, doch die Hauptkommissarin sah sie mit aufgesetzt bedauernder Miene an. »Es ist natürlich sehr unhöflich von mir, aber ich muss mit jeder von Ihnen getrennt sprechen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass Sie sich gegenseitig beeinflussen. Nicht absichtlich, natürlich. Aber ich kann mit Frau Meissner …«

      »Nein, nein!« Frau Hagemeister machte eine abwehrende Geste. »Ich verstehe das. Sie finden mich in der Küche.« Ohne viel Federlesen verließ sie den Raum und schloss die Tür hinter sich.

      Aber es war Barbara Riedbiester nicht entgangen, dass sie beleidigt war.

      Zur Gruppe vor dem Haus hatte sich Dr. Joachim Geldschläger vom Rechtsmedizinischen Institut gesellt, der mit wichtiger Miene die Ergebnisse seiner Leichenschau referierte. Geldschläger war seit zwei Jahren Privatdozent, und Uplegger teilte Riedbiesters Meinung, dass er seitdem die Nase so hoch trage, es müsse in die Nasenlöcher hineinregnen. In Hinsicht auf ihre Behauptung, ein Privatdozent sei eigentlich kein richtiger Dozent, war er jedoch anderer Meinung.

      Weitgehende Übereinstimmung bestand zwischen ihnen hingegen in Bezug auf den jungen Staatsanwalt Michael Bormann, der auch am Ort des Geschehens aufgetaucht war und sich an Kommissariatsleiter Gunnar Wendel geradezu anschmiegte: Bormann war ein Karrierist. Barbara fand, dass bereits seine Haartolle, die Schweinsäuglein und der fette Hals den rücksichtslosen Aufsteiger verrieten, Uplegger war nicht so radikal und vermochte auch keine Schweinsäuglein zu entdecken. Außerdem hielt er, auch hierin von seiner Kollegin abweichend, nicht alle Staatsanwälte für Karrieristen.

      »Zunächst deuten zahlreiche Hämatome am Körper beider Personen auf Prellungen hin«, sagte Dr. Geldschläger. »Ich erlaube mir zu vermuten, dass sie die Treppe zum Keller hinuntergestoßen wurden – zumindest wäre es eine Möglichkeit. Dann wurden


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