Der Moment der Wahrheit. Karen Stivali

Der Moment der Wahrheit - Karen Stivali


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bin seit vier Tagen nicht mehr gekommen.«

      Tanner lachte. »Wir waren sieben Tage bei meiner Mutter.«

      »Ich habe mir eines Morgens unter der Dusche einen runtergeholt.«

      »Ich wäre mit dir mitgekommen.« Er zwinkerte mir zu. Seine Augen funkelten wie gottverdammte Edelsteine. Als ob sie dachten, sein Witz sei das Witzigste, was sie je gehört hatten.

      »Ich weiß, dass du mit mir gekommen wärst. Deshalb bin ich an dem Morgen so früh aufgestanden.«

      »Aber nur das eine Mal? Die ganze Zeit, die wir dort waren?«

      Ich schaute wieder auf den Boden und nickte.

      »Nun, das werden wir wiedergutmachen. Und du wirst dich hier nicht so fühlen müssen. Das ist unser Haus, den ganzen Sommer lang. Und wir sind ganz sicher nicht die einzigen Menschen, die darin Sex haben werden.«

      Schon der Gedanke, dass wir Sex haben würden, brachte mich zum Lächeln. »Sag mir noch einmal, wer hier wohnt.«

      Meine neuen Mitbewohner mit einer heftigen Erektion zu treffen, gehörte nicht zu meinem Plan, also musste ich mich auf etwas anderes als Tanner konzentrieren.

      »Suzanne und Bill besitzen das Haus. Sie sind Ende zwanzig, verheiratet seit etwa fünf Jahren, glaube ich. Mein Vater kennt sie aus der Theaterszene. Bill ist Bühnenbildner und Suzanne ist Schriftstellerin. Sie können sich dieses Haus und ihre Wohnung in der Stadt nicht leisten, es sei denn, sie vermieten die anderen Zimmer.«

      »So hast du letzten Sommer hier gewohnt?«

      »Ja. Die letzten beiden Sommer. Mein Dad hat gehört, dass sie Mieter suchten, also nahmen Wendy und ich jeweils ein Zimmer. So kam Wendy mit Dex zusammen, der auch wieder hier wohnt.«

      »Sie sind also seit zwei Jahren zusammen?«

      »Fast auf den Tag genau. Letzten Sommer haben sie sich dieses Zimmer geteilt, aber dieses Jahr haben sie eines der kleineren Zimmer unten, da Wendy nur an den Wochenenden hier sein kann.«

      Sie hatte mir gesagt, dass sie deswegen enttäuscht war, aber sie hatte ein Praktikum bei einem Modemagazin bekommen – ihr Traumjob – und das konnte sie nicht ablehnen. »Arbeitet Dex mit uns im Restaurant?«

      »Nein. Er ist eine Treuhandfonds-Göre. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er nur an seiner Bräune arbeiten wird. Ich glaube, ich habe ihn noch nie etwas anderes tun sehen als lesen und Gitarre spielen, und ich habe zwei Sommer bei ihm gelebt.«

      »Magst du ihn nicht?«

      »Er ist nett genug. Wir haben nur nichts gemeinsam.«

      Abgesehen davon, dass ihr beide mit Wendy geschlafen habt. Ich behielt den Kommentar für mich. »Ist das alles? WG-mäßig, mein ich?«

      »Nein. Da ist Bryan. Er ist Suzannes jüngerer Bruder. Ziemlich sicher ist er in unserem Alter. Er geht auf die NYU. Er studiert Fotografie, aber er ist auch ein klasse Musiker. Seine Band spielt überall, aber im Sommer bucht er eine Reihe von Auftritten hier draußen. Er wird also hier sein, wenn er nicht gerade auf Tournee ist.« Tanner hielt inne, ein Lächeln spielte auf seinen Lippen. »Oh, ja. Und er ist schwul.«

      Meine Augen wurden groß. »Wirklich?«

      »Ja. Und sehr out. Als ich sagte, niemand hier würde zweimal über uns nachdenken, meinte ich es ernst.«

      Das klang zu schön, um wahr zu sein, aber ich hoffte wirklich, dass es so war. »War es das?«

      »Nein.« Da war ein Unterton in Tanners Stimme, die ich noch nie zuvor gehört hatte. »Da ist Maggie.«

      Irgendetwas an seinem Tonfall ließ mich an »Ex-Freundin« denken. War es das? Gab es zwei Frauen in dem Haus, mit denen Tanner geschlafen hatte? »Wie ist sie denn so?«

      »Maggie ist …«

      Ein Kichern hallte durch das Treppenhaus. »Maggie ist was?«

      Ein Elfenmädchen mit schwerer schwarzer Ponyfrisur und einem hohen Pferdeschwanz auf dem Kopf spähte um die Ecke unserer Tür.

      Tanner rollte mit den Augen.

      Das Elfenmädchen flatterte mit ihren langen, falschen Wimpern und gab ihm ein übertrieben unschuldiges Gesicht. »Maggie ist was, Tanner? Und wer ist dein Freund? Er ist süß.«

      Tanner warf mir einen Blick zu, den ich nicht ganz lesen konnte – eine Mischung aus Ärger und Besorgnis. Er holte tief Luft. »Maggie ist Tänzerin, Sängerin und Schauspielerin und spielt in vielen Produktionen meines Vaters mit.«

      Maggie grinste. »Ich bevorzuge den Begriff Ingénue.«

      Nichts an ihr sah für mich auch nur im Geringsten unschuldig oder naiv aus.

      Ein Muskel in Tanners Kiefer zuckte, aber er hielt seine Stimme gleichmäßig. »Und sie ist seine Ex-Freundin.«

      Warte. Von der hatte er gesprochen, als er gesagt hatte, sein Vater würde mit einer in unserem Alter ausgehen? Heilige Scheiße.

      »Siehst du?«, sagte sie und schaute mich mit ihren cartoonhaft großen, schwarz umrandeten Augen direkt an. »Ingénue. Die femme fatale hat ihn mir weggenommen.«

      »Kein neuer Regisseur zum Verführen?«, stichelte Tanner, aber ich hörte den Hauch von Schneidigkeit in seinen Worten.

      »Noch nicht. Ich stecke mitten in ... Projekten.« Ihr Blick huschte zwischen Tanner und mir hin und her. »Ich glaube, ich orientiere mich diesmal jünger. Vielleicht ein Schüler aus meiner Klasse.«

      »Du unterrichtest?«, fragte ich. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie etwas unterrichtete.

      »Yoga und Tai Chi. Am Strand. Drei Morgen in der Woche. Du solltest kommen.« Die atemlose Pause, bevor sie das Wort »kommen« sagte, brachte Tanner ein weiteres Augenrollen ein.

      Die Tür schlug wieder zu. »Jemand zu Hause?«

      Maggies Augenbrauen hoben sich. »Wer ist da? Er klingt heiß.«

      Tanner ging einen Schritt auf die Tür zu und führte Maggie in den Flur. »Es sind über dreißig Grad draußen und das Haus ist nicht klimatisiert. Allen ist heiß.«

      »Zumindest jeder in diesem Raum.« Sie zwinkerte mir zu und trottete die Treppe hinunter.

      »Das ist die Ex deines Vaters?« Ich hatte Tanners Dad kennengelernt. Er war wie eine ältere graue Version von Tanner. Unbekümmert. Schlau. Filmstar-attraktiv. Und eindeutig in der Lage, Mädchen zu kriegen, bei denen ich zu viel Angst für ein Gespräch gehabt hätte, selbst wenn ich auf sie gestanden hätte. Vor allem, wenn ich auf sie gestanden hätte.

      »Ja. Bereit, den Rest des Hauses kennenzulernen?«

      »Na, dann auf.« Nach Maggie würde wohl nichts mehr eine Überraschung sein.

      Kapitel zwei

      Das Erdgeschoss des Hauses war zu einem Meer aus Kisten und Koffern geworden. Ich war erstaunt, wie viel Zeug dort lag. Nach der »Keine-Autos-erlaubt-Politik« von Fire Island musste alles vom Dock per Handwagen zu den Häusern gebracht werden. Es war nicht förderlich, viele Sachen mitzunehmen. Tanner hatte mich gewarnt, sodass ich nur einen Rucksack mit meinem Laptop und einen Koffer voller Kleider mitgebracht hatte. So ziemlich alles andere, was ich besaß, war in der Autowerkstatt eingelagert, die nach dem Unfall Karosseriearbeiten an meinem Auto durchführte. Ich hatte ein paar Mal für den Besitzer gearbeitet und er hatte gesagt, es mache ihm nichts aus, meine Sachen über den Sommer hinweg aufzubewahren.

      Tanner und ich gingen um die Kisten herum, als wir uns auf den Weg in die Küche machten. »Wie haben die den ganzen Scheiß hierher bekommen?«, fragte ich.

      »Diese Kinder am Dock mit den Wagen sind wie Inselpagen. Sie schleppen dein Zeug für ein paar Dollar. Außerdem besitzt Suzanne einen dieser großen Wagen, die auf dem Parkplatz am Dock standen.«

      Verrückt. Ich hätte nie gedacht, dass ich irgendwo leben würde, wo es


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