Das letzte Gefecht - Tatsachenroman. Will Berthold

Das letzte Gefecht - Tatsachenroman - Will Berthold


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rauchten Zigaretten, hörten Nachrichten und warteten auf das Stichwort. Sie warteten und warteten – und dann schlug ihnen die Nachricht vom Münchener Abkommen, dem die Engländer und Franzosen zugestimmt hatten, die Waffen aus der Hand. Ein Putsch hätte keinen Sinn mehr gehabt, die Rebellen liefen auseinander.

      Der nächste Offizier, der Hitler erschießen wollte, war sein eigener Generalstabschef Franz Halder. Der Generaloberst steckte sich, wenn er zum Führer gerufen wurde, eine Pistole ein und haderte hinterher mit sich, daß er wiederum nicht gewagt hatte, sie zu ziehen. »Bringt doch endlich den Hund um!« forderte er seine Vertrauten auf.

      Später wollte ein Offizierskreis um den Generalfeldmarschall Erwin von Witzleben den Diktator bei der Siegesparade in Paris erschießen. Drei Offiziere aus dem Stab des Oberbefehlshabers, der Rittmeister Graf von Waldersee sowie Major Alexander von Voß und der Hauptmann Graf Schwerin von Schwanenfeld, erklärten sich bereit, ein Pistolenattentat auf der Tribüne in der Nähe der Place de la Concorde zu inszenieren. Sollten die Offiziere nicht durch die Abschirmung kommen, wollte Graf Schwerin auf Hitlers Hotelflur einen Handgranatenanschlag riskieren.

      Die Verschwörer hatten ihren Umsturzversuch mit ihren Freunden beim Ersatzheer in Berlin abgesprochen. Sowie die Nachricht aus Paris einginge, wollten diese in der Reichshauptstadt nach Osters Besetzungsplan losschlagen.

      Und wieder entging Hitler der Falle. Am 28. Juni 1940 um 5 Uhr morgens landete er – erst im letzten Moment angemeldet – auf dem Flughafen Le Bourget, stieg sofort in seinen gepanzerten Mercedes-Wagen und fegte mit seiner Kolonne durch das noch schlafende Paris. Er fuhr durch den Arc de Triomphe die Champs-Élysées hinunter, besichtigte kurz die Oper, den Louvre und den Eiffelturm, ließ sich dann zum Invalidendom bringen, wo er am Grab Napoleons für die Kamera posierte. Drei Stunden später war er schon wieder in Le Bourget und flog in sein Hauptquartier »Tannenburg« bei Freudenstadt zurück. Viel schlimmer war, daß er sich während seines Blitzbesuches entschlossen hatte, die Siegesparade in Paris ausfallen zu lassen.

      1941 sollte sie nachgeholt werden. Wieder stellten sich die verschwörerischen Offiziere bereit, aber der Balkanfeldzug verhinderte »Emils« – so lautete Hitlers Tarnname bei den Frondeuren – Paris-Besuch. Kurze Zeit später erkrankte Witzleben und mußte sich einer Operation unterziehen. Hitler nutzte die Gelegenheit, seinen unbequemen und undurchschaubaren Oberbefehlshaber im Westen loszuwerden.

      Im Zeitalter der Blitzsiege fand Hitler einen solchen Rückhalt bei der Bevölkerung, daß die Verschwörer Anschläge für sinnlos hielten. Erst nach dem Rückschlag vor Moskau 1941 hatten ihre Umsturzpläne wieder eine Chance.

      Die Offiziere im Hauptquartier der Heeresgruppe Mitte waren vom Fach, und spätestens seit Stalingrad erkannten die meisten von ihnen, daß der Krieg unausweichlich verloren war und Millionen von Opfern fordern würde, falls er sich noch Jahre dahinzöge. Darüber konnte man offen sprechen, denn nahezu alle Offiziere um den Generalfeldmarschall Fedor von Bock kamen aus dem Infanterieregiment 9, einer Adelsdomäne, die von Spöttern »von 9« genannt wurde. Der exklusive Kreis schloß es aus, daß einer den anderen denunzierte, selbst wenn er anderer politischer Meinung war. Bezeichnend dafür war ein Zwischenfall, der sich vor mehreren Zeugen ereignet hatte.

      Die Sowjets waren wieder einmal durchgebrochen. »Was schlägst du vor?« fragte der Oberbefehlshaber seinen ersten Generalstabsoffizier.

      »Es gibt nur einen Weg«, erwiderte Tresckow salopp. »Wir müssen Hitler beseitigen.«

      Der Generalfeldmarschall fuhr hoch, brüllte Tresckow nieder. »So was lasse ich mir nicht sagen! Das hör’ ich mir unter keinen Umständen an.« Er stürmte aus dem Raum, lief im Freien herum, bis sich sein Zorn gelegt hatte.

      Die Kontroverse blieb ohne Folgen. Bock wurde kurze Zeit später abgelöst und durch den zugänglicheren Generalfeldmarschall Günther von Kluge ersetzt, den Tresckow sofort in seine Attentatspläne einzuspannen versuchte. Der I A war der Meinung, daß ein Attentat bei der deutschen Bevölkerung einen ganz anderen Rückhalt fände, wenn ein Generalfeldmarschall, der sich im Krieg einen Namen gemacht hatte, an der Spitze des Aufstandes stünde.

      Es kam zu einem harten, zähen Ringen zwischen Tresckow und Kluge, zwischen einem Pragmatiker, der den kürzesten Weg zur Tat suchte, und einem Zauderer, der ihre Notwendigkeit erkannt hatte, doch nicht seine Haut riskieren wollte.

      Ein ungewöhnlicher Umstand kam dem Verschwörer zu Hilfe. Der Führer, der die meisten seiner Generäle verachtete und selbst den bevorzugten noch mißtraute, hatte einen Weg gefunden, sie fester an sich zu binden: Er versuchte sie zu korrumpieren und überschüttete sie mit steuerfreiem Zusatzsold, mit wertvollen Gemälden, schenkte ihnen Rittergüter und dazu noch einen Scheck in Höhe von einer Viertelmillion Reichsmark.

      »Sehen Sie, Herr Feldmarschall«, schrieb er als stehende Floskel in den jeweiligen Begleitbrief, »es daher nur als ein kleines Zeichen meiner persönlichen und der Dankbarkeit des deutschen Volkes an, wenn ich in seinem Namen versuche, Ihnen dafür bei der Gestaltung Ihres privaten Lebens etwas behilflich zu sein. Mit herzlichen Grüßen, Ihr ergebener Adolf Hitler.«

      Nun war es zwar auch schon früher üblich gewesen, daß ein siegreicher Feldherr – nach dem Krieg – mit Dotationen wie Latifundien beschenkt wurde, aber zuerst mußte er ihn einmal gewonnen haben. Es galt als undenkbar und mit dem soldatischen Ehrbegriff unvereinbar, wenn ein General schon den Lohn des Sieges einheimste, während seine Soldaten noch um ihn kämpften und für ihn starben.

      »Was macht man eigentlich«, überraschte Generalfeldmarschall von Kluge seine Tischrunde mit der Frage, »wenn man ein Trinkgeld von zweihundertfünfzigtausend Mark erhält?« Er berichtete den Offizieren, daß er »zur Gestaltung seines privaten Lebens« einen Scheck in dieser Höhe von Hitler erhalten habe.

      Seine Offiziere machten dem Oberbefehlshaber rasch klar, daß sich die Annahme des Geldes mit dem Ehrbegriff eines deutschen Offiziers nicht vereinbaren lasse. Kluge wußte es selbst: Er hatte durch die Überweisung an das Rote Kreuz die Summe wieder loswerden wollen, fürchtete aber, sich den Unwillen des Obersten Feldherrn zuzuziehen, wenn er ihn brüskierte. Der Generalfeldmarschall hatte offensichtlich Gewissensbisse, obwohl er sich damit hätte verteidigen können, daß eine ganze Reihe von Offizieren zu ihrem – ohnedies steuerfreien – Sold von 4000 Mark monatlich (Generaloberste 2000 Mark) den Viertelmillion-Scheck angenommen hatte, Männer wie Großadmiral Raeder, Generalfeldmarschall Ritter von Leeb, Generalfeldmarschall von Rundstedt, Generalfeldmarschall Milch, Generalfeldmarschall Keitel – dazu noch ein Rittergut im Wert von 480000 Mark (Generalfeldmarschall von Kleist), von 739000 Mark (Generalfeldmarschall Keitel), von 123000 Mark (Generaloberst Guderian), von 1100000 Mark (Familie des Generalfeldmarschalls von Reichenau).

      Es war Günther von Kluge offensichtlich peinlich, zu diesen neureichen Privilegierten zu gehören, deren Schatulle Hitler so reichlich aufgefüllt hatte. Hier setzte seine konspirative Umgebung den Hebel an, zerschlug Einwände, ließ keine Ausreden gelten, bis Kluge eines Tages sagte: »Ihr habt mich, Freunde, ich bin euer Spießgeselle.«

      Der I A wußte sehr wohl, daß er zunächst nur eine verbale Rückendeckung hatte, aber sie war immer noch besser als überhaupt keine. Nachdem man sich nunmehr einig war, daß Hitler getötet werden müsse, ergab sich die Frage, wie es geschehen könne. Freiherr Philipp von Boeselager – gleich seinem Bruder Georg ein hochdekorierter Offizier und dazu noch einer der bekanntesten Fünfkämpfer – bot sich an, mit seinem Reiterverband von 450 Kosaken Hitler bei seinem Besuch in einer klassischen Attackte über den Haufen zu reiten und dabei umkommen zu lassen. Wiewohl man dem Freiherrn – der mit seinen ihm blind ergebenen Soldaten häufig hinter den russischen Linien operierte – den tollkühnen Ritt zutraute, kam man davon ab, weil Erkundungen ergeben hatten, daß der Diktator schwer bewacht war und meistens in einem gepanzerten Fahrzeug saß.

      Nach dem Prager Attentat auf Heydrich, den gefürchtetsten Mann Deutschlands, waren alle Sicherheitsvorschriften noch einmal verschärft worden. Sie wurden von Hitler – im Gegensatz zu früher – jetzt auch weitgehend eingehalten. Er zeigte sich kaum mehr in der Öffentlichkeit. Zivilisten hatten keine Möglichkeit mehr, an ihn heranzukommen. Selbst für die Militärs war es schwieriger geworden – wenngleich in der Ecke des Speiseraums im Führerhauptquartier,


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