Das letzte Gefecht - Tatsachenroman. Will Berthold

Das letzte Gefecht - Tatsachenroman - Will Berthold


Скачать книгу
fahrig der Freiherr, der kaum ein Wort mit ihnen wechselte, heute wirkte. Als sie erfuhren, daß er bei der Besichtigung der Beutewaffen Hitlers Lotse sein würde, nahmen sie fälschlich an, der I C leide an Lampenfieber.

      Die Heldengedenkfeier im Zeughaus war eine der ganz wenigen Anlässe, bei denen sich der Führer noch in einer abgestimmten, sorgfältig ausgewählten Öffentlichkeit sehen ließ. Für die Betriebe, Schulen, Kasernen war Gemeinschaftsempfang angeordnet. Alle Reichssender würden die Feierstunde übertragen, und so könnte man in Smolensk bei der Heeresgruppe in Direktübertragung die Detonation der Höllenmaschine erleben.

      Als der Dirigent den Taktstock hob, schluckte Freiherr von Gersdorff das Pervitin. Schon Minuten später spürte er die Wirkung. Sie war so stark, daß die Führerrede an ihm vorüberrauschte, ohne daß er ihren Sinn erfassen konnte. Alles wirkte verschwommen, als der Attentäter – das letzte Orchesterstück nicht mehr abwartend – zu den Ausstellungsräumen ging.

      »Ich stand zwischen Model und dem uniformierten Direktor«, berichtete Gersdorff. »Es dauerte jedoch noch eine ganze Weile, bis Hitler erschien. Neben ihm ging Göring, der in seiner weißen, mit Orden und Schmuck überladenen Uniform und in roten Saffianstiefeln den Eindruck eines Operettenfürsten machte; zudem war er auf grotesk auffallende Weise geschminkt. Hitler wurde von Himmler, Keitel, Dönitz, Schmundt sowie zwei oder drei Ordonnanzoffizieren begleitet. In der Tür wandte Hitler sich plötzlich um und sagte: ›Herr Feldmarschall von Bock, ich bitte Sie, als ehemaligen Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Mitte, sich mir anzuschließen.‹ Bock quittierte mit einer etwas übertriebenen Verbeugung ...«

      Diesen Augenblick, in dem die Anwesenden ein wenig abgelenkt waren, nutzte Gersdorff, um den Zündmechanismus der in seiner linken Manteltasche steckenden Clam-Haftmine einzuschalten. Es war eine groteske Doppelbewegung, denn wie alle Anwesenden hatte er beim Auftauchen des Diktators den rechten Arm zum Hitlergruß hochgerissen, als er mit der linken Hand unbemerkt im Gedränge den programmierten Tod einschaltete: Artistik auf Leben und Tod. Zehn Minuten noch. Allenfalls zwölf. Nach den Erfahrungen der letzten Jahre würde sich der Diktator mindestens eine halbe Stunde mit den Ausstellungsstücken befassen, vielleicht sogar länger.

      »Hitler begrüßte nur Model mit Handschlag«, erinnert sich Gersdorff. »Dann begann der Rundgang, wobei ich mich dicht an Hitlers linke Seite drängte. Als ich Erklärungen zu verschiedenen Ausstellungsstücken abgeben wollte, hörte Hitler offensichtlich gar nicht zu. Auch als ich ihn auf einen napoleonischen Adler aufmerksam machte, den deutsche Pioniere beim Brükkenbau über die Beresina im Flußbett gefunden hatten, erhielt ich keine Antwort. Statt dessen ging, oder besser gesagt, lief Hitler auf kürzestem Weg in die Richtung des seitlichen Ausgangs. Auch Göring, der inzwischen einen Blick in eine Vitrine mit Schriftstücken geworfen hatte und Hitler auf einen patriotischen Aufruf des Metropoliten von Moskau aufmerksam machen wollte, wurde keiner Antwort gewürdigt. Am Ausgang an der Zeughausstelle, in deren Nachbarschaft das Ehrenmal steht, verabschiedete sich Hitler von Model und mir mit dem üblichen rechtwinkeligen Erheben des rechten Unterarms. Hitler hatte während des kurzen Ganges durch die Ausstellung kein Wort gesprochen und sich kaum etwas angesehen. Nach dem Krieg stellte sich heraus, daß die BBC die ganze Feier mitgeschnitten hatte: die Zeit von seinem Eintreffen bis zum Verlassen des Zeughauses hatte nur zwei Minuten gedauert. Mir war sie in der Erinnerung einige Minuten länger erschienen. In jedem Fall wäre das selbst für eine normale Zünddauer von zehn Minuten zu kurz gewesen.«

      Hitler verließ das Gebäude, und mit ihm entschwand dem Attentäter die Möglichkeit, ihn zu töten. Wie ferngelenkt kletterte der Diktator vor dem Haus auf einen russischen Beutepanzer, der zwischen dem Zeughaus und dem Ehrenmal aufgestellt war. Nur das gepanzerte Ungetüm schien ihn an diesem Tag zu interessieren. Und Gersdorff hastete in die Toilette, um schleunigst den Zünder aus der Höllenmaschine herauszuschrauben.

      Auch der zweite Versuch der Heeresgruppe Mitte war an einer Zufälligkeit gescheitert. Der Krieg ging weiter, Millionen von Menschen hatten noch vor Hitler, der das Anlaufen der »Operation Zitadelle«, seiner letzten Offensive im Osten, forderte, zu sterben.

      Über Nacht wechselte das Wetter. Dem strengen russischen Frost folgte – wie erwartet – die Schlammperiode. Im Morast erstickten alle Bewegungen der ineinander verbissenen Gegner. Zuvor war es dem unbestreitbaren Geschick des Generalfeldmarschalls von Manstein in äußerster Bedrängnis gelungen – die sowjetischen Panzerspitzen, nur noch 200 Kilometer von der Stadt Dnjepropetrowsk entfernt, hatten zwei Drittel dieser Distanz in einer Woche geschafft –, in einer Gegenoffensive die katastrophale Lage noch einmal zu meistern und im Kampf die Oberhand zu gewinnen: 866 Panzer und 1198 Geschütze wurden erbeutet; 23000 russische Soldaten waren gefallen, doch nur 9000 in Gefangenschaft geraten. »Die Russen starben, aber sie ergaben sich nicht mehr.« (Raymond Cartier)

      Die aufgerissene deutsche Ostfront war wieder geschlossen, und Hitler trieb mit den Operationsbefehlen Nr. 5 und Nr. 6 vom 13. März und 15. April seine vorgezogene Sommeroffensive voran. Sie sollte bereits am 3. Mai anlaufen. Aber dieser Termin war utopisch und das ganze Unternehmen mehr als fraglich. »Der Kursker Keil verleitete Hitler dazu, eine weitere Schlappe zu riskieren und zu erleiden, die genauso schwerwiegend war wie seine Niederlage bei Stalingrad«, kommentiert Mark Arnold-Forster. »Es war nicht so, daß die Russen ihn bewußt in die Falle gelockt hätten: sie besetzten den Landkeil bei Kursk einfach, weil sie dieses Gebiet erobert hatten. Doch wie die Sowjets wußten, stellte ein Gebietsvorsprung für einen deutschen General eine große Versuchung dar. Zumindest war das damals so. Die klassische Reaktion des deutschen Generalstabs auf einen vorspringenden Keil in den feindlichen Linien, einen vom Feind gehaltenen Vorposten, der über den allgemeinen Frontverlauf herausragte, hatte von jeher darin bestanden, diesen Vorsprung durch einen gleichzeitigen Angriff auf beide Flanken abzuknipsen. Eben dies beschloß Hitler im Fall von Kursk denn auch zu tun, genau wie die Sowjets es erwartet hatten.«

      Ziel der Operation war es, die Straße von Orel an der Nordostecke des Keils nach Moskau frei zu machen; es war örtlich begrenzt, aber: »Der Sieg bei Kursk muß für die Welt wie ein Fanal wirken«, hieß es in Hitlers Angriffsbefehl.

      Beide Seiten rüsteten zur größten Schlacht des Rußlandfeldzuges; beide Seiten wollten – nach Beendigung der Schlammperiode – wieder offensiv werden. Die Russen waren – was ihre deutschen Gegenspieler nicht wußten – durch den Schweizer Agentenring »Lucy« über alle Pläne und Vorbereitungen ihrer Feinde informiert. Hinwiederum blieb den Sowjets unbekannt, daß die Deutschen durch das neue Freya-Gerät die Möglichkeit hatten, ihre Bomberanflüge schon aus großer Distanz zu orten und dann im Alarmstart ihre Jäger loszuschicken.

      Manstein schlug vor, die russische Offensive »federnd aufzufangen« und mit bereitgestellten Kräften massiv zurückzuschlagen, wenn ihr erster Schwung sich totgelaufen hätte. Hitler jedoch befahl – wie immer – die offensive Lösung, und auch sein fähigster Generalfeldmarschall hielt eine solche für machbar, falls es gelang, dem Sowjetangriff zuvorzukommen.

      So freilich sah es nicht aus.

      Zwar hatte der neue Rüstungsminister Albert Speer die Anstrengungen ins Gigantische gesteigert und schon im Winter 1942/43 eine Produktionssteigerung von 56 Prozent erzielt – bis zum Sommer 1944 sollte sie, ungeachtet der Schäden des Luftkriegs, auf das Dreifache anwachsen ‒ aber davon merkte man im Osten wenig.

      Die Wunderwaffen, die Hitler versprochen hatte, waren ohnedies ausgeblieben, aber selbst mit den konventionellen Waffen klappte es nicht so, wie es die massierten Rüstungsanstrengungen erhoffen ließen: Henschel konnte bis zum 25. März nur 330 Tiger und 25 Panther liefern, Porsche schaffte bis Mitte März 90 Tiger. Zwar wurden die 556 B-3- und B-4-Kampfwagen mit zusätzlichen Stahlplatten ausgerüstet, aber die »Schürzen« behinderten ihre Beweglichkeit noch mehr. Die Panther, von denen bis zum Juli insgesamt 200 geliefert wurden, wiesen oft schadhafte Getriebe auf, ihre Optik war mangelhaft. Der Typ war noch lange nicht frontreif, ging aber in Serie. Der Panzerjäger »Ferdinand« hatte zwar stabile Stahlplatten auf der Frontseite, aber er war untermotorisiert und wirkte im Nahkampf, für den er geschaffen war, wie ein hilfloser Riese, 70 Tonnen schwer.

      Neue Panzer kamen nur selten an die Front, sie wurden zur Ausrüstung neu aufgestellter Einheiten benötigt. »Die Kommandeure gaben daher nur unwillig beschädigte Panzer


Скачать книгу