Das letzte Gefecht - Tatsachenroman. Will Berthold

Das letzte Gefecht - Tatsachenroman - Will Berthold


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mit russischen Angriffen kaum zu rechnen war.

      »Während Hitler noch auf der Piste stand und sich mit den höheren Offizieren der Heeresgruppe unterhielt«, beschreiben Heinrich Fraenkel und Roger Manvell die Szene, »bevor er sein kugelsicheres Flugzeug bestieg, wechselte Schlabrendorff mit Tresckow einen Blick und zerdrückte mit einem Schlüssel den Säurebehälter der Zündung. Dann überreichte er das harmlos aussehende Paket beim Einsteigen dem Oberstleutnant Brandt.«

      Unter den Augen der SS-Bewacher verstaute der Offizier das Päckchen in seiner Aktentasche und folgte den anderen über die Gangway, ein lächelnder Todesbote, der sich noch einmal umdrehte und den Offizieren der Heeresgruppe Mitte zuwinkte. Der Säurezünder war auf eine halbe Stunde eingestellt. Nach den Berechnungen der Rebellen mußte Hitlers Maschine etwa auf der Höhe von Minsk zerplatzen. Die Höllenmaschine hatte so viel Kraft, daß sie ein riesiges Leck in den Rumpf der Viermotorigen reißen und sie dadurch zum Absturz bringen mußte.

      Die Attentäter fuhren zurück. Sie durchlebten die längste halbe Stunde ihres Lebens, darauf wartend, daß einer der Begleitjäger per Sprechfunk der Bodenstation melden würde, daß die Führermaschine abgestürzt sei. 32 Minuten. 35.40. Noch immer keine Meldung. Noch waren die beiden Offiziere nicht über Gebühr beunruhigt. Säurezünder lassen sich nicht so auf die Minute und Sekunde berechnen wie ein Uhrwerk oder eine elektronische Einstellung.

      50 Minuten. Noch immer blieb es still im Äther. Vielleicht hielt man den Tod Hitlers zunächst geheim. Man konnte sich auf die Clam-Haftminen, made in Great Britain, verlassen. Bei keinem einzigen Experiment hatten sie bislang versagt.

      Die beiden Offiziere hofften und verzweifelten. Sie gingen alle Möglichkeiten durch – bis auf die einzige, bis auf die Nachricht, die nach zwei Stunden eintraf: Führermaschine in Rastenburg gelandet.

      Tresckow und Schlabrendorff behielten die Nerven. Sie mußten sofort etwas unternehmen. Jetzt ging es nicht mehr um Hitlers Leben, sondern um ihren eigenen Kopf. Zunächst verständigten sie die Abwehr in Berlin, daß der Anschlag – warum auch immer – gescheitert sei, um dort voreiliges Handeln zu verhindern. Als nächstes mußten sie versuchen, das Danaergeschenk an Stieff – der erst am 20. Juli 1944 zu den eingeweihten Verschwörern gehören würde – wieder in ihren Besitz zu bringen.

      Tresckow ließ sich mit dem Führerhauptquartier verbinden.

      »Dumme Sache, Brandt«, sagte er. »Mir ist ein Mißgeschick passiert. Ich habe Ihnen versehentlich ein falsches Paket für Stieff mitgegeben. Bitte tun Sie mir einen Gefallen und behalten Sie es bei sich. Morgen kommt ein Ordonnanzoffizier und tauscht es aus.«

      Oberstleutnant Brandt tat Oberst von Tresckow auch diesen Gefallen. Am nächsten Tag flog Schlabrendorff mit der üblichen Kuriermaschine nach Ostpreußen, um das explosive Päckchen auszutauschen. »Es stand noch auf seinem Tisch«, berichtet er. »Ich nahm das Paket an mich und fuhr noch zu Stieff, um den echten Cointreau zu überbringen. Stieff war von ungewöhnlich kleiner Statur, ein fröhlicher, drahtiger Mann, der über den Formen stand und allem Feierlichen abhold war. Früher war er Erster Generalstabsoffizier der 4. Armee unter Kluge gewesen. Er wußte längst, was die Glocke geschlagen hatte, und machte auch mir gegenüber aus seinem Herzen keine Mördergrube. Für Hitler hatte er nur Ausdrücke der Feindseligkeit. Nach Abschluß des Gespräches mit Stieff fuhr ich nach dem Bahnhof Rastenburg. Dort hielt ein nur für die Wehrmacht bestimmter Schlafwagenzug, der abends Ostpreußen verließ und am Morgen Berlin erreichte. Sofort schloß ich mich in das für mich reservierte Schlafwagenabteil ein und öffnete vorsichtig mit einer Rasierklinge das Paket. Ich entfernte den Zünder aus dem Sprengstoff und stellte zu meinem Erstaunen folgendes fest: Der Zünder war ganz schwarz. Die in der zusammengedrückten Flasche enthaltene Flüssigkeit hatte den Draht zerfressen. Der Schlagbolzen war nach vorne geschnellt, aber der Sprengstoff hatte nicht gezündet. Worauf das zurückzuführen war, konnte ich nicht mit Sicherheit sagen. Aber ich ahnte, daß wohl die russische Kälte der wirkliche Grund war. Hatte doch auch in vielen Fällen der Krieg gezeigt, daß die deutsche Artillerie zu kurz schoß, weil unsere Geschosse auf das europäische Klima geeicht waren, aber durch die russische Kälte nicht ihre volle Wirkung entfalteten. Selbst die wieder und wieder geölten Maschinengewehre versagten in Rußland, wenn es Winter war. Rußland war eben nicht nur ein anderes Land, es war auch ein anderer Erdteil mit einem anderen Klima. Der Zug brachte mich pünktlich nach Berlin. Dort begab ich mich in das Haus von Professor Lauter. Er wohnte damals auf dem Kurfürstendamm und hatte eine Wohnung inne, die aus einer Flucht von Zimmern bestand. Zunächst einmal brachten wir die Bombe in einer großen, alten und wunderschönen Kommode unter. Aber schon bald darauf erhielt ich einen Anruf von Tresckow ...«

      Der hatte seine Attentatspläne nicht aufgegeben. Bald verfügte der I A über einen neuen Termin und über einen neuen Akteur. Im Berliner Zeughaus fand in Anwesenheit Hitlers eine Heldengedenkfeier statt. Bei der Veranstaltung am 21. März 1943 sollte die Heeresgruppe Mitte russische Beutewaffen ausstellen, die Hitler in Gegenwart des Generalfeldmarschalls von Kluge und seiner Frau besichtigen wollte. Zuständig für die Präsentation der Beutewaffen war der I C der Heeresgruppe Mitte, Oberst von Gersdorff, der Offizier, der, nur halb eingeweiht, den Sprengstoff für die Führermaschine beschafft hatte. Tresckow war entschlossen, den Freiherrn jetzt voll in sein Vertrauen zu ziehen und ihn aufzufordern, die Blutarbeit zu erledigen, weil sich ihm als einzigem die Chance dafür bot.

      Die beiden Offiziere vertraten sich in den riesigen Wiesengründen am Dnjepr – wo nun schon seit zwei Jahren das Hauptquartier der Heeresgruppe Mitte lag – die Beine. »Ist es nicht etwas Ungeheuerliches, daß hier zwei deutsche Generalstabsoffiziere zusammen überlegen, wie sie am sichersten ihren Obersten Befehlshaber umbringen können, Gersdorff?« fragte der I A den I C. »Aber es muß getan werden. Es ist die einzige Möglichkeit, Deutschland vor dem Untergang zu retten. Die Welt muß von dem größten Verbrecher aller Zeiten befreit werden. Man muß ihn totschlagen wie einen tollwütigen Hund ...«

      Freiherr von Gersdorff, ein drahtiger Reiteroffizier, der bei Turnieren geglänzt hatte, war bereit, sich in die Pflicht nehmen zu lassen und dafür in den Sattel zu steigen.

      Dann redete Tresckow seinem Oberbefehlshaber – um ihn aus der Schußlinie zu halten – den Besuch in Berlin aus; an seiner Stelle würde der Oberbefehlshaber der 9. Armee, Generaloberst Walter Model, an der Zeughaus-Veranstaltung teilnehmen.

      Am 15. März flog der Militär, anstelle Kluges, in Begleitung Gersdorffs nach Berlin. Beide Offiziere meldeten sich bei Schmundt. Hier erhielt der I C eine Mitteilung, deren Weitergabe Hitlers persönlichem Adjutanten offensichtlich schwerfiel: Gersdorff sollte zwar die Ausstellung vorbereiten, sich danach aber im Hintergrund halten, da der Führer nur Generäle in seiner Umgebung haben wolle. Generaloberst Model – der als strammer Nationalsozialist galt – protestierte; er erklärte sich außerstande, Hitler die nötigen Erklärungen zu den Beutestücken zu geben, und bestand darauf, daß Gersdorff dies an seiner Stelle besorge. Schmundt war nach kurzem Zögern bereit, Gersdorffs Rolle in eigener Verantwortung zu genehmigen.

      Am 20. März suchte der potentielle Attentäter den Schauplatz des Anschlags erstmals auf. Er besichtigte den Lichthof des Zeughauses, die Arbeiten an der Tribüne, die Proben des Philharmonischen Orchesters. Die Sicherungsbeamten aus dem Führerhauptquartier beobachteten den Obersten argwöhnisch; schließlich gewöhnten sie sich an seinen Anblick.

      Als der Lotse des Führers am nächsten Tag, an dem er die Tat hinter sich bringen mußte, das Zeughaus betrat, wurde er schon freundlicher gegrüßt, aber doch kontrolliert. Nicht gründlich genug. In den Taschen seines Uniformmantels steckten die Clam-Minen, deren Zünder in der Condor-Maschine wegen der Kälte versagt hatte. Aber diesmal herrschten günstigere Temperaturen.

      Gersdorff hatte die Höllenmaschine halbiert: Wenn eine Mine explodierte, würde sie die andere automatisch mitzünden. Der Oberst mußte nur ganz in der Nähe Hitlers stehen, um sich gleichzeitig mit ihm in die Luft zu sprengen. Tresckow hatte vorausgesehen, daß die Tat schwerer fallen müßte als der Entschluß, sie hinter sich zu bringen. Er hatte seinem Vertrauten vorsorglich Pervitin-Tabletten als Aufputschmittel mitgegeben.

      Kurz vor 11 Uhr trafen die ersten Würdenträger des Dritten Reiches ein, zu einem Zeitpunkt, als der genaue Beginn der Veranstaltung


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