Das letzte Gefecht - Tatsachenroman. Will Berthold

Das letzte Gefecht - Tatsachenroman - Will Berthold


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noch auffallend geringen Vorsicht vor Attentaten. Jeder Führerhauptquartier-Angehörige oder jeder FHQ-Gast hätte Hitler damals ohne Schwierigkeiten umbringen können, wenn er es gewollt hätte.«

      Hitlers Hofschranzen wollten das natürlich nicht. Das Attentat konnte nur bei Smolensk über die Bühne gehen, aber dazu mußte Hitler erst einmal kommen. Er hatte seinen Besuch wiederholt angesagt und immer wieder verschoben. Tresckow beschwor seinen alten Regimentskameraden Schmundt – der ihn immer wieder vertrösten mußte. Der I A drängte, behauptend, daß es unerläßlich sei und der Führer sich persönlich ein eigenes Bild von der Frontlage machen müsse. Der Adjutant stimmte ihm zu und versprach zu tun, was nur möglich sei.

      Inzwischen hatten sich die aufrührerischen Offiziere im Hauptquartier entschlossen, »Emil« durch ein gemeinsames Attentat im Kasino zu erledigen. Rittmeister Schmidt-Salzmann, Oberst von Kleist und der Schwadronschef König waren bereit, ein zehnköpfiges Offizierskommando anzuführen. Auf ein Zeichen von ihnen wollten alle gleichzeitig die Pistolen ziehen und ohne Vorwarnung den Diktator und seine Bewachung zusammenschießen.

      Da ihr Oberbefehlshaber als Gastgeber neben Hitler sitzen würde, mußte er aus der Schußlinie gehalten werden. Als die Verschwörer Kluge einweihten, erschrak der hohe Militär über ihren Plan und wandte ein, daß außer ihm auch noch andere Tafelgäste gefährdet wären. Schließlich stellte er fest, daß es ihm gegen den Strich gehe, einen Mann bei Tisch zu töten.

      »Der einzige Mensch, der die Verschwörer im Stich ließ, war Kluge selbst«, stellen in ihrem »Canaris«-Buch die Autoren Heinrich Fraenkel und Roger Manvell fest. »Er brachte jedes nur mögliche Argument vor, um den Anschlag zu verschieben. Daraufhin beschloß Tresckow, auf eigene Faust, wenn auch in enger Zusammenarbeit mit den Verschwörern in Berlin, vorzugehen. Sie griffen auf den Alternativplan zurück, der nur Tresckows und Schlabrendorffs direkte Mitwirkung erforderte und der Kluge im Falle des Gelingens zwingen würde, sich auf ihre Seite zu stellen. Es schienen kaum Zweifel daran zu bestehen, daß Kluge – sobald Hitler tot war – den Putsch unterstützen würde.«

      Die Verschwörer bastelten eine Höllenmaschine mit Zeitzündung. Wiederholte Versuche hatten bewiesen, daß das Mordgerät einwandfrei funktionierte. Schlabrendorff war bereit, den lautlosen Tod an Bord der Führermaschine zu schmuggeln.

      Hitler brauchte nur noch zu kommen.

      Endlich war es soweit. Am 12. März 1943 herrschte in Kluges Hauptquartier auf einmal hektische Geschäftigkeit. Hitlers vorausgefahrene Autokolonne war, begleitet von SS-Männern mit umgehängten Maschinenpistolen, aus Rastenburg eingetroffen. Männer vom Führerbegleitkommando besichtigten die Sicherheitseinrichtungen. Kurze Zeit später teilte Generalfeldmarschall von Kluge seinen Vertrauten mit, daß der Führer seinen Besuch angesagt habe, um die Frühjahrsoffensive von Kursk zu besprechen.

      Es war ein kalter, schöner Wintertag. Die Toten lagen noch aufgestapelt an den Sammelplätzen. Sie konnten erst beigesetzt werden, wenn der frostklamme Boden aufgeweicht war. Sie boten keinen schlimmen Anblick, eine dicke Schneeschicht bedeckte sie wie ein Leichentuch.

      Hans Rattenhuber, der Führer der SS-Sicherungsgruppe, hatte befohlen, daß Soldaten vom E-Hafen bis zur Blockhütte des Feldmarschalls als Postenkette Spalier zu stehen hätten. Der Oberbefehlshaber witterte die Spannung unter seinen Offizieren. Unmittelbar vor Hitlers Eintreffen sagte er zu seinem I A: »Sie werden doch um Gottes willen am heutigen Tag nichts unternehmen, Tresckow. Es ist noch viel zu früh dazu.«

      Der Oberst schwieg; er fürchtete, daß es schon zu spät sei. Gleich danach fragte er seinen Adjutanten: »Was ist, Schlabrendorff, wollen wir’s wagen?« Es war eine theoretische Frage – die beiden Offiziere waren längst entschlossen zu handeln.

      »Wir müssen es tun«, erwiderte der Kurier und Rechtsanwalt.

      Kluge war schon unterwegs zum Feldflughafen, um Hitler bei der Landung zu begrüßen.

      Die beiden Condor-Maschinen setzten am 13. März in kurzem Abstand hintereinander auf. Nach einem Händedruck lud der Genralfeldmarschall seinen Gast in seinen Wagen ein, aber der Diktator lehnte ab; er legte die kurze Strecke in seiner eigenen, gepanzerten Kolonne zurück; sie näherte sich langsam der Blockhütte des Generalfeldmarschalls. Über das Gelände fegte ein eisiger Wind, während die Sonne die Schneekristalle funkeln ließ. Hitler, Kluge und einige Offiziere zogen sich für ein paar Stunden in das Innere zurück.

      Mittags fand im größeren Kreis ein Essen statt. Obwohl Hitler nur auf einen Blitzbesuch gekommen war, hatte er seine Diätköchin und seinen Leibarzt Professor Theo Morell – den Göring als »Reichsspritzenmeister« zu verspotten pflegte – mitgebracht. In der Tischrunde saßen die Offiziere, die sich bereit erklärt hatten, den Diktator zu erschießen. Sie waren ihm, soweit er sie noch nicht kannte, vorgestellt worden. Obwohl sie sich zusammennahmen, gingen ihre Blicke immer wieder zu Oberst von Tresckow, der ihren Anschlag – ohne weitere Erklärung – abgesagt hatte. Sie kannten den I A gut genug, um zu wissen, daß er – wie auch immer – die Gelegenheit wahrnehmen würde.

      Sonst war Tresckow ein blendender Unterhalter. Heute wirkte er verschlossen, in sich gekehrt, als machte ihm Hitlers Anwesenheit zu schaffen.

      »Was ist denn mit dem Oberst heute los?« fragte einer der jüngeren Offiziere einen Vertrauten des Ersten Generalstabsoffiziers.

      »Sie wissen doch, daß der Herr Oberst zur Zeit ständig an Zahnschmerzen leidet«, erhielt er zur Antwort.

      Alle Speisen, die Hitler zu sich nahm, wurden von Professor Morell zuvor abgeschmeckt. Hitler wirkte auf die Offiziere wie ein orientalischer Satrap, der sich gegen ein Giftattentat absichert. Tatsächlich fand die Prozedur nicht aus Angst vor einem Anschlag statt, sondern weil sein schwacher Magen Gewürze nicht vertrug. Der Diktator aß hastig, fast unappetitlich. Der Mann, der sich selbst zum Obersten Feldherrn erhoben hatte, war stark gealtert. Er litt in dieser Zeit bereits an Schwächeanfällen, Schüttelfrost, Unwohlsein; an seinen Unterschenkeln hatten sich Ödeme gebildet. Morell spritzte Sulfonamide, Drüsenstoffe, Traubenzucker und Hormone. Sein Patient nahm 28 verschiedene Medikamente, bis zu 150 Pillen pro Woche.

      Die Stimmung der Tischrunde war gedämpft. Hitler sprach gelegentlich vom Durchhalten und von Wunderwaffen, aber es war nicht die Tageszeit für seine endlosen Monologe, und irgendwie schien er – wie jeder andere – darauf zu warten, daß die Tafel endlich aufgehoben würde.

      Die Frondeure hatten sich die Baupläne der Führer-Condor verschafft. In geduldiger Arbeit waren von ihnen zwei Bomben englischer Herkunft gebastelt und mit einem Zeitzünder versehen worden. Mit Geschenkpapier umkleidet, lag das brisante Päckchen in einer Kiste, in der sonst das Kriegstagebuch der Heeresgruppe aufbewahrt wurde. Unmittelbar vor dem Abflug sollte das Danaergeschenk scharf gemacht und an Bord geschmuggelt werden. Tresckow fragte den neben ihm sitzenden Oberstleutnant i. G. Heinz Brandt von der Operationsabteilung des OKH, ob er in der Führermaschine mitfliegen werde.

      »Und ob«, antwortete der Offizier. »Der Führer hat ja nie Zeit, und so muß ich ihm im Flugzeug meinen Vortrag halten.«

      Tresckow bat den Oberstleutnant um einen Gefallen: »Ich hab’ eine Wette gegen Oberst Stieff vom Führerhauptquartier verloren. Zwei Flaschen Cointreau. Ich habe sie zu einem Päckchen verschnüren lassen – es dürfte keine große Mühe machen, sie zu transportieren. Würden Sie es bitte mitnehmen und dem Obersten mit meinen besten Grüßen überreichen?«

      »Selbstverständlich, Herr Oberst«, erwiderte Brandt. Er würde in unmittelbarer Nähe des Führers sitzen, und so mußte die Explosion ihn gleichzeitig mit dem Führer zerfetzen, aber es würde ohnedies keine Überlebenden geben. Es war ein bitterer Gedanke für Tresckow, aber er selbst hatte sich und seinen Freunden beständig die Maxime eingeschärft, daß man die Waffen nicht selbst bestimmen könne, sondern daß diese von dem skrupellosen Gegner bestimmt würden. »Wer einen Tyrannen stürzen will, darf sich in der Wahl der Mittel keine Scheu auferlegen«, hatte er seinen Mitverschwörern eingetrichtert.

      Unter riesigem Aufwand an Sicherheitsmaßnahmen fuhr Hitler nach Tisch zum Flughafen zurück. Wiederum bewachte ihn eine Postenkette im Schulterschluß. In einem Wagen folgten Tresckow und Schlabrendorff.


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