Das letzte Gefecht - Tatsachenroman. Will Berthold

Das letzte Gefecht - Tatsachenroman - Will Berthold


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der Zange nach sechs Kampftagen hinter Kursk, war nicht zu denken – das Operationsziel blieb unerreichbar.

      Die gestaffelte Verteidigung, die von russischen Generälen unter Mitwirkung der Zivilbevölkerung in wochenlanger Arbeit aufgebaut worden war, bewährte sich. Wenn auch die einzelnen Auffanglinien dem massierten Angriff nicht immer standhalten konnten, so wurden Einbrüche doch sofort abgeriegelt und bereitgestellte Reserven nach vorne gebracht.

      Der deutsche Vormarsch, für den Verstärkungen von allen Fronten abgezogen worden waren, kam nur langsam voran. Die Zeit der raschen Flügelbewegungen mit motorisierten Verbänden und den von den Geschwadern der Luftwaffe freigebombten Wegstrecken, die Zeit der tödlichen Umklammerung des Feindes, war schon Legende. Beide Seiten hatten jetzt gleichwertige Waffen und gleichwertige Heerführer, ihre Soldaten dieselbe Kampfmoral, nicht zuletzt weil sie meistens auf diesem barbarischen Kriegsschauplatz den Tod der Gefangenschaft vorzogen.

      Die Rotarmisten fürchteten die Überlegenheit des Gegners längst nicht mehr; die Soldaten der Wehrmacht wußten, daß sie nicht mehr für ein fernes Fähnchen auf der Generalstabskarte kämpften, sondern dafür, daß der Feind nicht schon in Monaten vor Breslau, Königsberg, Stettin und Berlin stand. Es ging für sie nicht mehr darum, ob sie sich für oder gegen Hitler schlugen; die militärische Lage forderte ihnen die letzte Tapferkeit ab, fern der Heimat hatten sie bereits das Bewußtsein, daß sie jetzt ihre Frauen, Kinder und Mütter vor einem Feind schützen mußten, der wenig Gründe hatte, sich fair oder menschlich zu benehmen.

      Die 4. Panzerarmee (Hoth) hatte nach drei Tagen 40 Kilometer geschafft. Gemessen an den Geländegewinnen früherer Schlachten war es wenig, doch fast doppelt so viel, wie auf der Nordseite Models 11. Armee erreicht hatte. Es kam zu einem Wettlauf zwischen den sowjetischen Reserven, die aus den Bereitstellungen in die Hauptkampflinie geführt wurden, und den deutschen Schlacht- und Kampfflugzeugen, die sie aus der Luft aufhalten sollten.

      Hoth galt als ein hervorragender Panzerführer, und auf mittlere und lange Entfernung waren die neuen Tiger den sowjetischen T 34 tatsächlich weit überlegen. Sorge machte dem Generalobersten jedoch, daß seine rechte Flanke weitgehend ungedeckt war. Den dafür aufgebotenen Divisionen war es nicht gelungen, ein riesiges Waldstück nördlich Bjelgorod von den Russen zu säubern. Ständig hingen deutsche Aufklärer in der Luft, um die Gefahrenzone zu überwachen. Prompt trat ein, was zu befürchten war: Aus den Wäldern heraus rückten über eine offene Ebene 30,40 und noch mehr Sowjetpanzer, mindestens eine Brigade, heran, begleitet von Infanteristen in geschlossenen Formationen, wie in Exerzierplatzordnung.

      Alarm bei der in Mikojanowka in Bereitschaft liegenden Panzerschlachtgruppe: In 4 Staffeln mit je 16 HS 129, speziell ausgerüsteten Panzerjägern, die erst vor wenigen Tagen eigens für die »Operation Zitadelle« aus Deutschland nach Osten verlegt worden waren, bestückt mit 9 3,7-Zentimeter-Kanonen, gingen die niedrigfliegenden Todesvögel in eine schaurige Premiere. Sie griffen die Panzerkolonne, deren Besatzungen zunächst nicht durchdrehten, weil bislang ihre Panzerplatten immer die Treffer aus den Bordkanonen der Schlachtflugzeuge aufgehalten hatten, an.

      Die ersten HS 129 stürzten sich wie die Habichte nach unten. In Erwartung ihrer Splitterbomben flitzten die russischen Infanteristen auseinander, suchten auf dem übersichtlichen Gelände irgendwo Deckung zu finden. Als die ersten T 34 mit einer Stichflamme in die Luft flogen und die Fahrer der anderen versuchten, in wilder Zickzackfahrt den Luftangriffen zu entkommen, begriffen sie, daß die Angriffe diesmal weniger ihnen als den Panzerbesatzungen galten. In wenigen Minuten waren die ersten T 34 vernichtet und wurden die Flüchtenden weiter von scharfkralligen Raubvögeln gejagt.

      An allen Abschnitten der erbitterten Schlacht bot sich das gleiche Bild: Die eigentlich schon ausgemusterten Stukas waren als Lückenbüßer jetzt oft die einzigen Nothelfer. Beim Anlaufen der Offensive auf den Kursker Bogen hatte die Luftwaffe im Süden 1000 Flugzeuge, im Norden bei Orel 700 an den Start gebracht, was ziemlich genau der Kampfstärke beim Überfall 1941 auf Rußland entsprach. Trotzdem gab es keine deutsche Überlegenheit mehr, auch in der Luft war der Russe ein gleichwertiger Gegner geworden.

      Örtliche Erfolge, teuer erkaufte Einbrüche konnten den ungünstigen Gesamtverlauf der Offensive nicht verdecken. Im Führerhauptquartier jagten sich die Hiobsbotschaften. In der Führungsspitze der Wehrmacht mehrten sich die Stimmen, die für einen sofortigen Abbruch der Offensive eintraten. Hitler befahl, sie fortzusetzen und alle verfügbaren Reserven in die Schlacht zu werfen. Aber fünf Tage nach der deutschen X-Zeit traten die Sowjets in Richtung Orel und Charkow zu ihrer Gegenoffensive an und rissen endgültig das Gesetz des Handelns an sich.

      Am 12. Juli kam es zur größten Panzerschlacht des Zweiten Weltkriegs. Freund und Feind bewegten sich in zwei endlosen Kolonnen aufeinander zu, 850 Kampfwagen des sowjetischen Generals Rotmistrow, vorwiegend T 34, und 700 der Panzerarmee Hoth, deren Gros aus dem SS-Panzerkorps Hausser bestand. Beide Generäle hatten sich bei dem gescheiterten Entlastungsangriff auf Stalingrad schon einmal gegenübergestanden; beide führten die Schlacht persönlich, der Russe von einem Hügel aus, der einen ausgezeichneten Blick auf die unübersehbare Zahl von Kampffahrzeugen ermöglichte, die am Psel-Fluß auf einem überfüllten Schlachtfeld in den Angriff rollten, vorbei an Waldparzellen und Obstplantagen. Generaloberst Hoth war von seinem Gefechtsstand auf den Führungspanzer umgestiegen; er wußte bereits, daß bei der mit furchtbarer Wucht losgebrochenen Gegenoffensive bei Orel Models Truppen direkt in das russische Messer gelaufen waren und daß die anglo-amerikanische Invasion auf Sizilien vor zwei Tagen begonnen und Fuß gefaßt hatte.

      Die T 34 waren auf Schußentfernung herangekommen. Die Tiger eröffneten das Feuer, schossen die vorderen Sowjetpanzer in Fetzen. Aber im Schutz des Rauchvorhangs und unter Ausnutzung ihrer größeren Beweglichkeit rollten weitere Rudel der Panzer mit dem roten Stern heran und durchbrachen unter schweren Verlusten die vordere Reihe der deutschen Kampfwagen. Sie waren auf kurze Entfernung den 60-Tonnen-Ungetümen auf einmal überlegen. Die ersten Tiger, deren verblüffte Besatzungen von den T 34 unterlaufen worden waren, wurden abgeschossen.

      Die Gegner verkeilten sich ineinander. Im blutigen Durcheinander verloren sich Angriff und Verteidigung, Freund wie Feind. Die Konturen der feuerspuckenden Kampfwagen verschwanden im Qualm. Gelegentlich landete ein Volltreffer in der mitgeführten Munition, dann zerriß eine hohe Stichflamme den Rauchvorhang. In diesem kurzen Aufleuchten konnte keiner mit Sicherheit sagen, ob es einen T 34 oder einen Tiger erwischt hatte. Bald bedeckten Hunderte ausgebrannter Wracks das Schlachtfeld, über dem russische und deutsche Flugzeuge kreisten, versuchend, aus Flammen und Rauch ein Angriffsziel zu erspähen.

      Erst am Abend flaute der Gefechtslärm ab, verzogen sich die Qualmwolken. Bilanz des grausamen Geschehens: Die Panzerschlacht hatte unentschieden geendet. Jede Seite mußte etwa 300 Panzer von der Kampfstärke abbuchen, aber die Russen waren die eigentlichen Sieger, weil ihre Gegner das Angriffsziel nicht erreicht hatten. Die Sowjets verfügten jetzt noch über 500 Panzer, der SS-Gruppenführer Hausser noch über etwa 350. Die Sowjets wußten nun auch, daß sie dem neuen deutschen Wunderpanzer beikommen konnten und im Nahkampf seine Tigerkrallen weniger tödlich waren als befürchtet.

      »Für die Deutschen zählten die tatsächlichen Ausfälle weniger als der Verlust an Stolz und Selbstvertrauen«, stellt Geoffrey Jukes fest. »An einem Tag hatte das SS-Panzerkorps fast die Hälfte seiner Kampfwagen verloren ... Die Elite des nationalsozialistischen Deutschlands, ausgerüstet mit modernstem Gerät und in dem Glauben rassischer Überlegenheit, hatte sich eine Schlacht mit dem ›Untermenschen‹ geliefert und dabei erkannt, daß er ihr gleichwertig war.« Auf dem Schlachtfeld, das auf der einen Seite durch den Psel und auf der anderen durch einen Bahndamm begrenzt wurde, hatte – wie der Sowjetmarschall Koniew später feststellte – der »Schwanengesang der deutschen Panzertruppe« stattgefunden.

      Einen Tag später ließ Hitler die »Operation Zitadelle« abbrechen. Fast alle Truppen mußten Verstärkungen für die Orel-Front abtreten, wo mittlerweile um das schiere Überleben gekämpft wurde. Der Orel-Bogen mußte geräumt werden. Die Russen stürmten weiter vor. Gleichzeitig lähmte eine Partisanen-Aktion größten Stils für 28 Stunden jeglichen Nachschubverkehr auf den Eisenbahnstrecken.

      Zum zweiten Mal mußte Charkow aufgegeben werden. Brjansk und Stalino wurden vom Feind freigekämpft und genommen.


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