Sommergäste in Sophienlust. Ell Wendt
und Wandsprüche.
„Unsinn“, sagte Johannes ärgerlich und verharrte mit gerunzelter Stirn in Tante Sophiens Wohnzimmer.
Hier feierte der Jugendstil Orgien! Wiederum waren es Seerosen, die sich auf dem verschossenen graugrünen Plüsch der Möbel wanden; sie wiederholten sich auf dem Fries, mit dem die olivenfarbene Tapete abschloß, und kehrten in kunstvoller Holzarbeit auf einer Vitrine wieder, die, ehemals gewiß voll zierlicher Nippes, uns nun aus blinden Glasscheiben anstarrte. Über dem Sofa hing in schwerem Goldrahmen ein Reigen bacchantischer Mädchen in griechischen Gewändern, mit Rosenkränzen im Haar.
Tante Sophiens Wohnzimmer war der erste Raum im Hause, in dem es keine Hirschgeweihe gab. Aber man wurde dessen nicht recht froh.
„Laß uns einen Augenblick hinausschauen“, bat Johannes und trat ans Fenster. Vor uns lag, nur durch eine Wiese mit einem großen Lindenbaum getrennt, der See in grausilberner Weite. Hinter Regenschleiern ahnte man am anderen Ufer die zarten Umrisse sanft geschwungener bewaldeter Hügel. Es war ein Bild von großer geruhsamer Schönheit. Der Druck, der mein Herz umklammert hielt, seitdem wir das Haus betreten hatten, begann sich zu lösen.
Während wir die geschwungene Treppe zum ersten Stock hinaufstiegen, sagte ich zu Johannes: „Wir werden natürlich etwas hineinstecken müssen.“
Johannes sagte nichts; er ging, von unheildrohendem Schweigen umhüllt, durch die Räume. Es waren lauter Schlafzimmer. Wer Onkel Theodors Hang zur Einsamkeit nicht kannte, mußte den Eindruck gewinnen, daß er einer ausschweifenden Gastlichkeit gehuldigt hatte. Betten bekamen wir auf jeden Fall genug. Auch sie wiesen eine verwirrende Fülle kunstvoll gedrechselter Kugeln und zackiger Muschelaufsätze auf, und über Waschtischen und Kommoden hingen wiederum Geweihe.
„Wenn wir die Wände hell anstreichen lassen, wird es gleich freundlicher aussehen“, sagte ich tröstend zu Johannes.
Er schüttelte nur trübe den Kopf. Männer haben keine Phantasie. Johannes’ Blick haftete am trübselig Gegenwärtigeh, ohne die Möglichkeit, es kraft seiner Vorstellungsgabe in ein freundlich Zukünftiges zu verwandeln.
Zuletzt führte uns Frau Windschagl in den Turm, der unverhofft ein rundes Stübchen barg. Hier hatte Onkel Theodors Liebe zu verschnörkelten Möbeln und Hirschgeweihen haltgemacht; die Wände waren weiß gekalkt, und die Leere des kleinen Raumes legte sich besänftigend auf unsere Nerven. In Gedanken stellte ich helle Möbel hinein und versah die Fenster mit Vorhängen aus buntem Chintz.
„Dies wird unser schönstes Gastzimmer werden!“ rief ich frohlockend. Aber Johannes goß Wasser in den Wein meiner Begeisterung. Er behauptete, der Wind werde durch alle Fugen blasen und den jeweiligen Bewohner mit unheilbarem Rheumatismus schlagen. Ich schalt Johannes einen unverbesserlichen Pessimisten und wandte mich mit der Frage an Frau Windschagl, ob sie Lust verspüre, gegebenenfalls die Rolle einer Zugeherin in Sophienlust zu übernehmen.
„O mei“, verwunderte sich die Brave, „a Pension wollen S’ machen da heraußen?“
„Nicht ganz“, verbesserte ich, „wir werden hier wohnen und Gäste aufnehmen, zahlende Gäste.“
„I sog’s ja, a Pension“, beharrte Frau Windschagl und äußerte Zweifel an der Rentabilität eines derartigen Unternehmens. Ich zog es vor, das Gespräch nach einem Blick auf Johannes abzubrechen. Er sah genau so aus, als stimme er Frau Windschagl aus vollem Herzen zu.
Nachdem wir bei einem Gang durch den Park noch ein verfallenes Gartenhäuschen mit bunten Fenstern entdeckt hatten, das die Reste einer tönernen Zwergenfamilie und ein ebenfalls tönernes Reh mit abgebrochenen Vorderläufen barg, verabschiedeten wir uns erschüttert von Frau Windschagl. Wir bestiegen August den Starken und fuhren unter einem gewaltigen Aufwand an Lärm davon.
Auf der Landstraße tat Johannes endlich den Mund auf. Was dabei herauskam, klang nicht sehr ermutigend. Er nannte Sophienlust eine alte Bruchbude, die es verdiene, vom Erdboden zu verschwinden.
„Wie undankbar du bist“, schalt ich, „wenn das der gute Onkel hörte! Natürlich muß im Hause dies und jenes gerichtet werden.“
„Dies und jenes!“ höhnte Johannes. „Tausende wären nötig, um dieses Raubritterschloß in einen menschenwürdigen Zustand zu versetzen.“
Ich mußte lachen; die Vorstellung von Onkel Theodor als Raubritter entbehrte nicht der Komik. „Mit heller Farbe und Cretonne ist schon viel getan“, nahm ich das Gespräch wieder auf.
„Vor allen Dingen müßten Türen, und Fensterrahmen gestrichen werden“, sagte Johannes, dessen Sinn stets in erster Linie auf das Praktische gerichtet war, „und glaubst du etwa, daß unsere Gäste beim Anblick des Badezimmers jubeln werden?“ Nein, das glaubte ich keineswegs! Das Badezimmer war in der Tat ein dunkler Punkt. Es enthielt nichts außer einer verbeulten Blechwanne auf hohen Füßen und einem alten Ofen, der mit Holz zu heizen und schief wie der Turm von Pisa war. Auf Badekultur hatten unsere Altvorderen offenbar keinen Wert gelegt!
„Man müßte einen Waschtisch anbringen“, erwog ich nachdenklich.
„Man müßte, man müßte“, spottete Johannes.
„Mit deinem Pessimismus um jeden Preis kommen wir auch nicht weiter“, sagte ich böse.
Wir waren auf dem besten Wege, in Streit zu geraten. Eine Weile fuhren wir schweigend dahin. August schnob die Straße entlang wie ein Drachen; es war ein Wunder, daß er nicht auch Feuer spie.
„Nun, wir werden sehen, was sich tun läßt“, lenkte Johannes endlich ein.
Wir ließen das Innenarchitektonische vorläufig ruhen und wandten uns der Frage zu, ob Sophienlust gegebenenfalls umzutaufen sei. Es gab allerlei, was dagegen sprach, in erster Linie die Tatsache, daß das Haus unter dem Namen in der Gegend bekannt war. Außerdem hatte der Name etwas von lavendelduftender Altertümlichkeit. Er erinnerte mich an ein altes Schlößchen; es war in einem wundervollen Park gelegen, verwunschen wie Dornröschen, und hatte Sibyllenort geheißen.
„Wie werden sich unsere Gäste freuen, wenn sie sich etwas Ähnliches unter Sophienlust vorgestellt haben und dann der Wirklichkeit ins Auge sehen müssen“, bemerkte Johannes und steuerte August durch die Gefahren des städtischen Verkehrs unserer Wohnung zu.
4
Einige Tage später fuhr Johannes nach L., um die Formalitäten der Erbschaft mit Onkel Theodors Rechtsanwalt zu erledigen. Ich verhieß ihm bei seiner Rückkehr eine genaue Liste der neu anzuschaffenden Gegenstände. Johannes hatte sich bereit erklärt, der Instandsetzung von Sophienlust einen Tausender zu opfern. Die Summe kam mir riesengroß vor. Damals ahnte ich noch nicht, daß Sophienlust ein Moloch war, unersättlich im Verschlingen von Zahlungsmitteln.
Abends erschien zuweilen Tom; auch meine Freundin Lydia stellte sich ein und bot ihren Beistand an. Jeder für sich allein mochte noch angehen; wenn sie jedoch zusammentrafen, war es aus mit ernsthafter Beratung. Tom hatte ein Auge auf Lydia geworfen; er war von Stund an für den Ernst des Lebens verloren. Es blieb mir nichts übrig, als die beiden, mit Wein und Zigaretten versehen, in der Sofaecke sich selbst zu überlassen.
Eine Frage von entscheidender Bedeutung war die Festsetzung der Pensionspreise gewesen. Johannes und Tom hatten den von mir vorgeschlagenen Tagespreis von zehn Mark für die Ausgeburt einer größenwahnsinnigen Phantasie erklärt. Sie ließen auch einen schüchternen Hinweis auf den Nachmittagstee, der im Gegensatz zu anderen Pensionen in Sophienlust verabreicht werden sollte, nicht gelten.
„Mehr als 7 Mark 50 können wir auf keinen Fall verlangen“, erklärte Johannes und hielt mir alle Mängel, einschließlich des Badezimmers mit dem „schiefen Turm“ eindringlich vor Augen.
„Du vergißt die persönliche Behandlung, die wir unseren Gästen angedeihen lassen werden“, wandte ich ein.
„Dafür zahlt kein Mensch auch nur einen Groschen mehr“, sagte Johannes pessimistisch und fügte hinzu, daß wir Nordzimmer und Turmgelaß nur mit 6 Mark 50 in Rechnung bringen dürften.
Wir