Sommergäste in Sophienlust. Ell Wendt
zugehen, wenn wir nicht auf unsere Kosten und sogar ein wenig darüber hinaus kämen!
Während Johannes fort war, fuhr ich nach Sophienlust hinaus. Ohne August erwies, sich die Fahrt nach Seewang a. See als mühseliges Unternehmen. Die Reichsbahn befuhr nur das Westufer des Sees. Von Amsteg aus war man auf den Postautobus angewiesen, der, laut Fahrplan, nur in den Monaten Juni bis Oktober mehr als dreimal täglich verkehrte. Was den Dampfer anging, so überquerte er unter souveräner Nichtachtung der Zuganschlüsse zweimal am Tage den See. Es gelang mir, Seewang mittels Bahn und Postauto in fast dreistündiger Fahrt zu erreichen. Wieder durchschritt ich mit der braven Frau Windschagl das Haus. Es fehlte an allen Ecken und Enden, meine Liste wurde über alle Befürchtungen hinaus lang. Johannes’ Gesicht umdüsterte sich, als er sie zu Gesicht bekam; er schärfte mir immer wieder ein, nur das Allernötigste dürfe angeschafft werden.
Die nächsten Wochen brachte ich in Warenhäusern und auf Versteigerungen zu. Meine Familie sah mich nur bei den Mahlzeiten; Hinz verwilderte zusehends, er trieb sich den ganzen Tag auf der Straße herum; ich hatte ihn im Verdacht, daß er überhaupt keine Schularbeiten mehr machte. Aber ich konnte es im Augenblick beim besten Willen nicht ändern.
Meine Gedanken gehörten einem Eßservice aus Nymphenburger Porzellan, das auf einer Auktion billig zu haben war, weil einige Stücke fehlten. Ich fand Stühle für das Eßzimmer, die den vorhandenen wohl an Pracht, nicht jedoch an Unbequemlichkeit nachstanden. Im Warenhaus liebäugelte ich mit einem Waschgeschirr, das mit Szenen aus Grimms Märchen geschmückt war, entschloß mich jedoch des Preises wegen schweren Herzens zu einem einfarbigen. Ich gedachte, die Waschgeschirre dem jeweiligen Wandanstrich anzupassen, in der Hoffnung, daß eine so feinsinnige Übereinstimmung der Farben die Gäste über das Fehlen fließenden Wassers trösten würde. Es galt, die Bestände an Bett- und Tischwäsche aufzubessern, Möbel für die große Terrasse und Liegestühle mußten gekauft werden. Fünfhundert Mark waren im Nu dahin.
Als wir das nächste Mal hinausfuhren, begleitete uns Tom mit Frieda. Es muß hier zum Verständnis des geschätzten Lesers eingeschaltet werden, daß Frieda weder Toms Frau noch seine Freundin ist. Wir sehen vielmehr in Frieda einen pechschwarzen Hund von gänzlich unbestimmbarer Rasse vor uns. Tom hatte ihn eines Tages halbverhungert auf der Straße aufgelesen; keine Frau konnte seither zärtlicher an ihm hängen als Frieda. Sie besaß unter ihrem düsteren Fell ein Herz voll goldener Treue. Tom hatte sie zur Erinnerung an seine erste Liebe Frieda getauft.
Während wir mit den Handwerkern verhandelten, wandelte er, von Frieda gefolgt, durch die Räume und brach angesichts der Hirschgeweihe, der Bilder und des ganzen verstaubten Hausrats in helle Begeisterung aus. Ihm zufolge gehörte Sophienlust einer Epoche an, die schon fast klassisch zu nennen war.
„Alles wiederholt sich“, predigte er entflammt, „unsere Generation läßt Biedermeier und Barock neu erstehen, oder sie huldigt der modernen Sachlichkeit. Unsere Kinder und Kindeskinder jedoch werden wieder in Plüschportieren und quastengeschmückten Polstermöbeln schwelgen. Ein paar Jahrzehnte höchstens, und Sophienlust ist, so wie es dasteht, hochaktuell. Ich für mein Teil bin heute schon so weit, diese ganze verstaubte Behaglichkeit zu genießen, ohne mich allerdings in ihren Besitz zu wünschen. Aber denkt an mich! Wenn Hinz einmal heiratet —“
„Halt ein“, riefen wir lachend, aber Tom war in großer Form wie immer, wenn er eines seiner Steckenpferde ritt.
Zum Schluß zeigten wir ihm das verfallene Gartenhäuschen; es brachte ihn vollends außer Rand und Band. Er konnte nicht genug davon bekommen, die Welt vermittels der bunten Scheiben in rotem, blauem und grünem Licht zu sehen. Dies Gartenhäuschen sei ein Stück wiedererstandener Kindheit, sagte er und versank in Erinnerungen an den Park seiner Großmutter, in dem es einen Irrgarten und ein „Persisches Zelt“ gegeben hatte.
Während der ganzen Rückfahrt schwärmte er davon und nahm uns zum Schluß feierlich das Versprechen ab, das Gartenhäuschen nicht abbrechen zu lassen.
5
Wie zieht man zahlende Gäste in sein Haus?
Wir sagten es allen Freunden und Bekannten, außerdem beschlossen wir, es mit einer Anzeige in den großen Tageszeitungen zu versuchen. Eines Abends legte ich Johannes einen Entwurf vor. Er hatte mich viel Kopfzerbrechen gekostet, und ich beobachtete mit geheimem Stolz Johannes’ Gesicht, während er halblaut las:
Sommer in Sophienlust
Zahlende Gäste finden Erholung in Landhaus an
schönstem oberbayerischem See. Jeder moderne
Komfort! Schöne Balkonzimmer mit herrlichem
Blick auf See und Gebirge! Sehr gute Verpfle-
gung! Lärm- und staubfrei. Idealer Aufenthalt
für geistige Arbeiter!
Preise von 6,50 Mk. bis 7,50 Mk.
Anfr.: Berthold, Landhaus Sophienlust,
Seewang a. See, Oberbayern
Johannes ließ das Blatt sinken. „,Jeder moderne Komfort‘ ist gut“, bemerkte er trocken.
„Du suchst mit Fleiß immer die Schwächen heraus“, rief ich ärgerlich, „so paradox es klingt: das ist nun einmal deine Stärke.“
Johannes verwies mich milde auf das Fehlen fließenden kalten und warmen Wassers und auf den schiefen Turm von Pisa. Wir ersetzten den modernen Komfort durch die unverbindlicheren Worte: komfortabel eingerichtet.
„Und wie kommst du auf den Idealaufenthalt für geistige Arbeiter?“ fuhr Johannes lachend fort.
Ich setzte ihm wortreich auseinander, daß geistige Arbeiter angenehme Mieter seien; von ihrer Mission erfüllt, pflegten sie blind zu sein für kleine Mängel in ihrer Umgebung.
„Na schön“, sagte Johannes, „hoffen wir also auf einen Zustrom an geistigen Arbeitern! Ein wenig Blindheit kann in Sophienlust nicht schaden.“
Die Arbeiten in Sophienlust gingen ihrer Vollendung entgegen. Herr Wunderl, der Malermeister, machte seinem Namen Ehre; er vollbrachte Großes im Verfertigen zartfarbiger Wandbemalungen. In den unteren Räumen hatten wir es aus pekuniären Gründen bei der dunkeln Wandvertäfelung gelassen. Wir machten aus der Not eine Tugend, indem wir feststellten, daß sie, im Verein mit den Geweihen, dem Ganzen das Ansehen wohlhabender Gediegenheit verlieh. Nur in Tante Sophiens Jugendstilsalon hatte die olivgrüne Tapete einem elfenbeinfarbenen Anstrich weichen müssen; Sofa und Sessel verbargen ihre stilisierten Seerosen unter Hüllen aus geblumtem Stoff. In diesem Zimmer würden sich unsere Gäste zu harmonischer Geselligkeit vereinen!
Soweit es möglich war, hatten wir in den Schlafgemächern die Muschelaufsätze und gedrechselten Kugeln an den. Betten entfernen lassen; Vorhänge und Decken aus heiterem Cretonne taten das Ihre, einen freundlichen Eindruck hervorzurufen.
Allmählich kam es dahin, daß wir uns mit Stolz als Besitzer von Sophienlust ausweisen konnten. Dieses Bewußtsein mußte uns über die betrübliche Tatsache trösten, daß der von Johannes ausgesetzte Tausender nicht unbeträchtlich überschritten worden war.
„Die Gäste werden es wieder hereinbringen“, sagte ich tröstend, „ein Unternehmen ohne Risiko gibt es bekannt lich nicht!“ Johannes konnte nicht umhin, diesen Ausspruch zu belächeln; seine Meinung von meinen geschäftlichen Fähigkeiten war außerordentlich gering.
Am ersten Mai übersiedelten wir nach Sophienlust. Ich hatte mich für die Sommermonate einer Köchin namens Fanny versichert, die laut Zeugnis „mit Erfolg im Gaststättengewerbe tätig gewesen war“. Außerdem nahmen wir unsere brave Rosa mit; seit Hinz’ Geburt stand sie unserem kleinen Hauswesen mit Umsicht vor. Sie würde mit Hilfe von Frau Windschagl die Hausarbeit verrichten und bei Tisch servieren, während Xaver Windschagl sich bereit erklärt hatte, im Nebenamt den Posten eines Hausmeisters zu übernehmen.
Unser Einzug gestaltete sich dank Tom und Lydia triumphal. Über der Haustür prangte, umrahmt von Girlanden, ein Transparent mit der verschnörkelten Inschrift: „Es lebe die Schloßherrschaft!“ In der Diele, die ihren