Sommergäste in Sophienlust. Ell Wendt

Sommergäste in Sophienlust - Ell Wendt


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Posiegel mit Betonung, „ihre schlichte Herzlichkeit gibt jedem etwas.“

      „Gewiß“, sagte Johannes höflich. Ich warf ihm einen mißbilligenden Blick zu; seine Einsilbigkeit überstieg jedes Maß. Es wunderte mich durchaus nicht, als Fräulein Posiegel mir später scherzhaft anvertraute, mein „lieber Gatte“ scheine dem ob seiner Schweigsamkeit berühmten Feldmarschall Moltke nachzueifern.

      „Du könntest wirklich auch einmal den Mund auftun“, sagte ich vorwurfsvoll im Anschluß an diese Unterhaltung, „warum sagtest du nichts über diesen — Hinrichs — oder wie er hieß, da du ihn doch zu kennen scheinst?“

      Johannes stellte die empörte Gegenfrage, ob es mir vielleicht angenehm gewesen wäre, wenn er Fräulein Posiegel gesagt hätte, daß er seinerseits Hinrich Dirk für einen banalen Schwätzer halte, dessen Manuskripte er mit Entsetzen zurückgewiesen habe.

      „Hast du übrigens an Frau Professor Aurelius geschrieben?“ fragte er, im Begriff, August zu besteigen.

      Ich seufzte. Der Fall Aurelius drohte, sich zu einem Problem auszuwachsen. Frau Professor Aurelius hatte mir einen acht Seiten langen, von mütterlicher Sorge durchbebten Brief geschrieben. Es handelte sich um ihre Tochter Irmgard, die, von einer heftigen Bronchitis genesen, einer gründlichen Erholung bedurfte.

      Frau Professor Aurelius schrieb, unser Haus sei ihr durch Frau Rechtsanwalt Schade, eine entfernte Verwandte von Johannes, aufs wärmste empfohlen worden, so daß sie hoffen dürfe, ihr zartes Vögelchen bei uns in bester Obhut zu wissen. Allerdings müsse sie darauf bestehen, daß Irmgard ein Südzimmer mit Balkon bekomme, da ihr ärztlicherseits Liegekur verordnet worden sei. Hier lag das Problem. Nur die „Arena“ und das „Handtuch“ hatten einen Balkon. Im ersten residierte Fräulein Posiegel, das zweite war Herrn Amtsgerichtsrat Perlhuhn versprochen, der ebenfalls Wert auf einen Balkon legte.

      „Es hilft nichts, wir müssen Herrn Perlhuhn das, Grüne Kabinett‘ geben“, sagte ich zu Johannes, „obwohl es sich viel besser für ein junges Mädchen eignen würde.“

      Das „Grüne Kabinett“ lag im zweiten Stock und war mit einem chintzbezogenen Alkoven und lichtgrünen Wänden besonders kokett ausgefallen.

      „Angenommen, Sophienlust wäre ein wirkliches Schloß “, hatte Tom gesagt, „so würde der Fremdenführer an dieser Stelle sagen: ,Hier, meine Herrschaften, sehen Sie das Grüne Kabinett Ihrer Durchlaucht der Erzherzogin Bonaventura! Die Deckengemälde sind von Tiepolo. Beachten Sie, bitte, jene Aurora mit den anmutigen Formen. Dieselbe stellt ein Meisterwerk der Malkunst dar, insofern, als sie dem Besucher überall mit den Blicken zu folgen scheint. Wollen sich die Herrschaften bitte überzeugen‘.“ Und Tom hatte uns in die Ecke beim Waschtisch genötigt, dort, wo der Toiletteneimer stand, um uns die imaginäre Aurora mit der Eindringlichkeit eines alten Schloßkastellans vor Augen zu führen.

      Ich konnte mir Herrn Amtsgerichtsrat Perlhuhn beim besten Willen nicht im „Kabinett der Erzherzogin Bonaventura“ vorstellen. Johannes jedoch erklärte, auf meine Phantasie komme es in diesem Fall nicht an. „Schreibe nur gleich an Frau Professor Aurelius“, sagte er und brauste nach einem ehelichen Kuß auf meine Stirn davon.

      In der Haustür trat mir Fräulein Posiegel entgegen, zum täglichen Spaziergang gerüstet. Über dem schwarzen Kleid mit dem Spitzenjabot trug sie den grauen Staubmantel; obwohl die Sonne heiß und strahlend vom Himmel brannte, führte sie einen Regenschirm mit sich.

      „Meine liebe Frau Berthold“, begann Fräulein Posiegel und lächelte mir leutselig zu, „es ist soo entzückend bei Ihnen, und Sie wissen, nicht wahr, wie überaus wohl ich mich in Ihrem Hause fühle! Aber wenn ich Sie auf eine Kleinigkeit aufmerksam machen darf —?“

      „Aber bitte sehr“, sagte ich von trüben Ahnungen erfüllt; Vorreden dieser Art pflegten nichts Gutes im Gefolge zu haben. Schließlich stellte es sich heraus, daß ein Geräusch Fräulein Posiegels Nachtruhe beeinträchtigt hatte. „Ürgendwo“ hatte es geklappert, ein Fensterladen vielleicht.

      Ich versprach, mit Xaver Windschagl dem Übelstand nachzuforschen. Nachdem wir heftige Versicherungen gegenseitigen Wohlwollens getauscht hatten, wandelte Fräulein Posiegel befriedigt davon.

      Es war ein Morgen der Mißhelligkeiten. Hinz kam vorzeitig aus der Schule, blutig Und zerschunden wie ein Krieger nach der Schlacht. Er erklärte stolz, es habe ihn beim Räuber-und-Schandi-Spiel so „hingehaut“, daß er vom Lehrer heimgeschickt worden war, seine Wunden verbinden zu lassen.

      In der Küche jammerte Fanny, weil Fräulein Posiegel zum Mittagessen Mangoldgemüse wünschte, das Fanny nirgends bekommen hatte. Es sei ein Kreuz mit dem „Vegetarischen“, und sie begreife überhaupt nicht, daß ein Mensch sich nur mit Grünfutter ernähre wie das liebe Vieh.

      Ich schlug vor, Fräulein Posiegel Spinat vorzusetzen; vielleicht merkte sie den Unterschied nicht. Aber Fanny war anderer Ansicht. „Die?“ rief sie und sah mich funkelnd an, „dees is oane, die wo alles spannt!“

      10

      Am Tage von Buchholtzens Ankunft regnete es in Strömen. Es konnte ihnen nicht zugemutet werden, den Weg nach Sophienlust zu Fuß zurückzulegen. So wendete ich mich auf Xaver Windschagls Anraten an den Fuhrwerksbesitzer Grüneigl, der ein ausgedientes Taxi sein eigen nannte, das er gegen angemessenes Entgelt in den Dienst der Allgemeinheit stellte. Generationen hatten auf seinen erbsenfarbigen Plüschpolstern gesessen, und der Duft, der seinem Innern entströmte, erinnerte lebhaft an den eines Raubtierkäfigs. Herr Grüneigl steuerte sein Taxi persönlich den steilen Weg nach Sophienlust herunter; es klang, als bräche ein Lastwagen mit Anhänger über uns herein!

      Buchholtzens kamen bleich und hohläugig zum Vorschein. Sie mußten mit Tee und Kuchen gelabt werden, bevor sie ein wenig aus sich herausgingen. Herr Buchholtz war das, was man einen schönen Mann nennt. Groß und gut gewachsen, mit glänzenden schwarzen Haaren, einem koketten Schnurrbärtchen und Mandelaugen, mußte er für Frauen, die südländisches Aussehen lieben, unwiderstehlich sein. Daß er Frau Buchholtz zum Bund fürs Leben erkoren hatte, war ein Beweis für die Anziehungskraft der Gegensätze. Frau Buchholtz besaß jene fahlblonde Unscheinbarkeit, hinter der man unablässig nach inneren Werten zu forschen bestrebt ist. Zweifellos war sie eine Gattin und Mutter von Format.

      Die kleine Edith, fünfjährig und sehr schüchtern, schien der Mutter nachzugeraten. Sie tat am ersten Tag den Mund nicht auf und weigerte sich stumm aber hartnäckig, Hinz zu folgen, der sich auf meinen strengen Befehl hin mürrisch erbot, ihr das Gartenhäuschen mit den bunten Fenstern zu zeigen.

      Buchholtzens hatten ihr Faltboot mitgebracht; sie gedachten bei Sonnenschein den ganzen Tag auf dem Wasser zu liegen. Als es gegen Abend aufhörte zu regnen, begaben sie sich an den See, um das Boot klarzumachen. Herr Buchholtz führte ein strammes Kommando, sogar die kleine Edith mußte heran, und nach einer halben Stunde war, wie der Schmetterling der Raupe, dem unscheinbaren Paket aus grauem Segeltuch ein stattliches Boot entschlüpft, das den Namen „Rumpelstilzchen“ in weißen Buchstaben am Bug führte.

      Abends, beim Schlafengehen, pflegten Johannes und ich die Eindrücke des Tages auszutauschen. Eigentlich handelte es sich dabei weniger um einen Austausch als um einen Monolog meinerseits, den Johannes mit mehr oder weniger sparsamen Randbemerkungen begleitete.

      Wir bewohnten jetzt ein Nordzimmer mit sehr wenig Platz, und Johannes war gereizt, weil er an allen Ecken und Enden anstieß. Trotzdem war ich sehr gespannt zu erfahren, wie ihm Buchholtzens gefielen. Johannes stand am Waschtisch und bearbeitete sein spärliches blondes Haar zur Förderung des Wuchses eifrig mit zwei Bürsten.

      „Hm“, knurrte er mißmutig.

      „Was willst du damit sagen?“ forschte ich wißbegierig.

      „Er sieht wie ein Maronihändler aus“, tat Johannes endlich kund. Man mußte es ihm lassen: wenn er sich entschloß, seine Meinung zu äußern, traf er meist den Nagel auf den Kopf.

      „Und wie findest du sie?“ Während Johannes ins Bett kroch, brummte er, kein Mensch könne von ihm nach dreistündiger Bekanntschaft einen geschlossenen Vortrag über die Familie


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