Sommergäste in Sophienlust. Ell Wendt

Sommergäste in Sophienlust - Ell Wendt


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      Zwei Tage später hießen wir Herrn Amtsgerichtsrat Perlhuhn willkommen. Wir brachten es allmählich zu einer gewissen Routine im Empfang der Gäste. Angefangen bei der besorgten Frage, ob der Gast eine angenehme Reise gehabt habe, bis zum Hinweis auf die Klingel im Zimmer, bestimmt, Rosa oder Frau Windschagl herbeizurufen, klappte alles vorzüglich.

      Amtsgerichtsrat Perlhuhn machte den Eindruck eines leicht zufriedenzustellenden Menschen. Er fand das „Grüne Kabinett“ viel zu schön für einen alten Junggesellen und verzichtete, ohne mit der Wimper zu zucken, auf den Balkon. Außer einem Rucksack und dem Angelgerät führte er kein Gepäck mit sich. Nicht zehn Pferde wären imstande, ihn an einen jener Orte zu bringen, an denen man gezwungen sei, sich mehrmals am Tage umzuziehen, beteuerte er beim Abendessen, da höre für ihn die Gemütlichkeit auf.

      Fräulein Posiegel, die in Herrn Perlhuhn aus unbekannten Gründen einen Gesinnungsgenossen witterte, stimmte beifällig zu. Sie sagte, gerade in der vollkommenen Zwanglosigkeit seien Reiz und Erholung des Ferienaufenthaltes begründet.

      „Sind Sie nicht auch dieser Ansicht, mein lieber Herr Berthold?“

      Johannes schreckte auf. Er hatte sich gerade von Frau Buchholtz erzählen lassen, daß Edithchen ungewöhnlich spät die ersten Zähne bekommen hatte; Frau Buchholtz wollte wissen, ob dies bei Hinz auch der Fall gewesen sei.

      Johannes sah mich fragend an; ich konnte ihm jedoch nicht zu Hilfe eilen, weil Herr Amtsgerichtsrat Perlhuhn eifrig bestrebt war, mich in die Geheimnisse des Angelsports einzuweihen. Zwischendurch war ich gezwungen, Hinz mit mahnenden Blicken zu bedenken, der das Heidelbeerkompott gleichmäßig auf Gesicht, Hände und sein weißes Hemd verteilte.

      Nach Tisch überredete Fräulein Posiegel Herrn Perlhuhn zu einem kleinen Spaziergang am Seeufer. Herr Buchholtz orientierte sich bei Johannes über die Unterhaltungsmöglichkeiten in Seewang und brach anschließend zu einem Abendschoppen in die „Blaue Forelle“ auf. Was Frau Buchholtz betraf, so saß sie, nachdem die kleine Edith zu Bett gebracht war, mit mir unter der Linde und erzählte, an einem Pullover strickend, von ihrem Leben in der mitteldeutschen Kleinstadt.

      Herr Buchholtz war Bankprokurist und obendrein ein Mahn von großen geselligen Talenten. In jedem Kreise war er beliebter und gefeierter Mittelpunkt. Frau Buchholtz fand dies nur allzu verständlich. Sie ließ den Pullover sinken und sah verloren vor sich hin. Es war nur bedauerlich, daß sie selber die Neigungen ihres Mannes nicht so teilen konnte, wie sie es gerne gewollt hätte. Seit Ediths Geburt war sie nicht recht gesund; es fehlte hier und da, der Arzt führte alles auf Blutarmut zurück. Frau Buchholtz hoffte, die Ruhe in Sophienlust werde ihr gut tun. Ein Mann von der strahlenden Gesundheit des Herrn Buchholtz fühlte sich zuweilen gereizt und behindert durch eine kränkliche Frau.

      „Man versteht das ja nur zu gut, nicht wahr?“ sagte Frau Buchholtz mit einem schwachen Lächeln.

      Ich sprach die herzliche Hoffnung aus, daß Frau Buchholtz sich in Sophienlust recht wohl fühlen möge. Vor meinem Auge stand der verführerische Herr Buchholtz mit dem koketten Schnurrbärtchen und den Mandelaugen. Die kleine unscheinbare Frau tat mir auf einmal in der Seele leid!

      11

      Der Sommer meinte es gut mit uns; himmelblau und golden reihte sich ein Tag dem andern an. Im Park von Sophienlust blühte der Heckenrosenstrauch an der Südseite des Hauses mit hundert hellen Röschen, und die Jasminbüsche am Zaun streuten verschwenderisch ihren süßen Duft aus. Xaver Windschagl mähte die Wiese. Heuduft brodelte in der Mittagshitze. Alle Schalen und Krüge im Hause waren voller Margeriten und roter Wiesennelken.

      Die Gäste fühlten sich zu allerlei Unternehmungen angeregt. Fräulein Posiegel stach eines Nachmittags mit Sigismund Rüstig in See, einem plötzlichen Gelüst nach mondänem 5-Uhr-Tee auf der Terrasse des Strandhotels in Seeried folgend. Amtsgerichtsrat Perlhuhn jedoch, sofern er nicht angelnd am See stand, zog es vor, die Gegend um Seewang in langen Fußmärschen zu durchstreifen. In seinem grüngrau karierten Sportanzug, die Mütze mit einer Klammer auf der Brust befestigt, in der Hand einen mit zahlreichen Erinnerungsnägeln geschmückten Knotenstock, zog er fröhlich pfeifend davon, um erst zum Abendessen wiederzukehren. Der mandeläugige Herr Buchholtz lag den ganzen Tag mit „Rumpelstilzchen“ auf dem See. Von der Sonne goldbraun getönt, glich er mehr denn je einem Sohn des Südens, während seine Frau die kleine Edith bewachte, die in einem geblümten Leinenhöschen artig mit Sand und Steinchen spielte.

      Hinz sah diesem Treiben mit der Überlegenheit des Siebenjährigen zu. „Sie traut sich nicht ins Wasser“, berichtete er, „nur bis dahin“, und er zeigte auf seine zerschundenen Knie. „Beim Räuber-und-Schandi-Spielen würde sie bestimmt schreien“, fuhr er nach einer Weile verächtlich fort.

      Ich gab zu bedenken, daß Edith erst fünf Jahre alt und obendrein ein Mädchen sei.

      „Ich mag keine Mädchen“, erklärte Hinz, „Mädchen sind fad!“

      Einen Hinweis auf die Zukunft, die seine Ansicht über diesen Punkt grundlegend ändern werde, beantwortete er mit der Feststellung, daß er niemals heiraten werde, höchstens Tante Lydia.

      „Aber Herzchen, bis du groß bist, ist Tante Lydia ja uralt mit einer Brille und weißen Haaren wie Fräulein Posiegel!“

      Hinz dachte angestrengt nach und kam zu dem Ergebnis, daß er ganz schnell groß werden wolle, um Tante Lydia einzuholen. Ich streichelte seinen blonden Schopf und forderte ihn auf, Xaver Windschagl ein wenig beim Zusammenrechen des Heus zu helfen.

      Vor mir lag der Speisezettel, eine der schwierigsten Fragen in meiner neuen Tätigkeit als Pensionsinhaberin. Schon im kleinen Haushalt eine mühselige und undankbare Aufgabe, wächst er sich im großen zu einer wahren Sisyphusarbeit aus. Johannes hatte mir ein vegetarisches Kochbuch verschafft, eigens für Fräulein Posiegel, außerdem pflegte ich mir in einem anderen Rat zu holen mit dem verlockenden Titel: „Schmackhaft und bunt, zu jeder Stund.“

      Trotzdem blieb der Speisezettel ein ewiger Alpdruck. Sollte es beispielsweise Rostbraten geben, so war mit Bestimmtheit anzunehmen, daß an dem betreffenden Tage in ganz Seewang nur Kalbfleisch zu haben war. Kalbfleisch, das wir unseren Gästen gerade auf die verschiedenste Art zubereitet — schmackhaft und bunt, zu jeder Stund — vorgesetzt hatten!

      Fanny, obwohl mit Erfolg im Gaststättengewerbe tätig gewesen, verfügte nicht über eine schöpferische Phantasie. Ihre Vorschläge liefen stets auf Schweinsbraten mit Semmelknödeln und Salat hinaus, oder aber sie brachte Schmorfleisch mit Makkaroni in Vorschlag mit der Behauptung, die Gäste im „Wilden Mann“ in Vilshausen hätten solches mit Vorliebe gegessen. Der Ehrgeiz, Sophienlust den Ruf einer gepflegten Küche zu verschaffen, kam mich sowohl in materieller als auch in ideeller Beziehung teuer zu stehen.

      „Wir müssen sparen“, sagte Johannes, über das Wirtschaftsbuch gebeugt, „wenn wir auf unsere Kosten kommen wollen.“

      Ich fragte ihn, ob er jeden Tag Schweinernes mit Knödeln und Kraut essen wolle wie die Gäste im „Wilden Mann“.

      Johannes erwiderte ausweichend, der Speisezettel sei meine Sache; es liege jedoch im beiderseitigen Interesse, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden. Von diesem Tage an beschloß ich, den Vorschlägen der Köchin Fanny ein willigeres Ohr zu leihen.

      12

      Unsere Gäste saßen beim Tee auf der Terrasse, als ich mit Fräulein Aurelius herauskam. Die Unterhaltung stockte; alle Augen wandten sich dem neuen Gaste zu mit jenem abschätzenden Blick, der wie ein Damoklesschwert über dem Neuling hängt, jeden Augenblick bereit, ihn zu zerschmettern.

      Fräulein Aurelius lächelte höflich; sie war es augenscheinlich gewohnt, Staunen in den Augen ihrer Mitmenschen zu lesen. Irgendwie bedeutete sie eine Sensation in unserem schlichten Kreise. Ihre zarte Schlankheit, das silberige Blond ihrer Haare, verbunden mit dem kindlichen Blick großer dunkler Augen, verliehen ihr jenen Nimbus holder Schutzbedürftigkeit, dem das männliche Geschlecht augenblicklich und widerstandslos verfällt, während die Weiblichkeit sich impulsiv zu einer geschlossenen Front der gefährlichen Konkurrentin gegenüber zusammenschließt.


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