Einsatz über den Wolken. Jenny Schuckardt
eine Katastrophe ohne irgendeine Feindberührung. Der Gegner hatte einen Sieg errungen, ohne auch nur einen einzigen Schuss abzufeuern. Der Grund für dieses Debakels war die Fehlentscheidung, uns bei viel zu schlechtem Wetter in die Luft zu schicken, nur um einer Falschmeldung nachzugehen.
Permanente Alarmbereitschaft
September 1943, der Herbst hatte begonnen, und raue, beißende Winde fegten über die Niederlande. Das unfreundliche Wetter jener Tage erschwerte die Einsätze enorm. Man munkelte von einer drohenden Gefahr im Westen unter der Tarnbezeichnung »Doktor Gustav«. Aufklärer- und Agentenmeldungen zufolge war der Gegner dabei, Truppen und Schiffe im Süden und Südosten Englands zusammenzuziehen. Wir erhielten den Auftrag, am Kanal ein regelmäßiges Schiffsaufklärungssystem einzuführen. Kurz nach dem Morgengrauen wurde rottenweise gestartet, um dicht über dem Wasser bis vor die englische Küste zu fliegen. Der Tiefflug war nötig, um nicht vom englischen Radar erfasst zu werden. Vor Einbruch der Nacht wurde das Verfahren wiederholt. Von der anderen Seite des Kanals aus machte man übrigens dieselben Erkundungsflüge.
Ich war wieder einmal an der Reihe, als Rottenführer mit der Me 109 von Schiphol aus zu starten, wo wir damals mit der stark dezimierten zweiten Gruppe des JG 3 Udet lagen. Tief hängende Wolken und stürmische See mit Schaumkronen auf den Wellen. Es war ausgesprochen ungemütlich, so eben über die Wellen zu fliegen und damit weiter weg vom Strand Hollands. Da plötzlich tauchten zwei Flugzeuge von der anderen Seite in gleicher Höhe auf, die gerade den Weg zurück nach England antreten wollten, wie mir schien. Ich schnitt den beiden den Weg ab und setzte mich hinter die Nummer zwei.
Als der vordere Flieger bemerkte, dass sein Kamerad in Bedrängnis war, brach dieser sehr geschickt aus, was mich bewog, von Nummer zwei abzulassen, um lieber der überlegen fliegenden Nummer eins entgegenzudrehen. Der war aber schon mit seiner Kurve fertig und es kam zur unerfreulichen Begegnung Nase auf Nase. Ich empfand keinerlei Hass auf den Piloten, der jetzt genau auf mich zuflog. Er zeigte verdammt viel Mut und zwang mich, das Gleiche zu tun.
Beide drückten wir im gleichen Moment auf die Knöpfe. Meine Kanone schwieg: Ladehemmung. Nur die Maschinengewehre feuerten. Das feindliche Flugzeug musste getroffen worden sein, aber eben nicht mit der Wirkung einer Kanonengarbe. Auch meine Maschine hatte Treffer abbekommen. Den Kampf weiterzuführen, war sinnlos. Außerdem war ich mit mir selbst beschäftigt, weil es in meiner Maschine kräftig gekracht hatte.
»Zum Teufel!« Der Kühler war getroffen. Das war gefährlich, weil der Motor sofort heißlief. Meine Hände wurden schweißig. Ich war allein zwischen dem tiefen Meer und ebenso tiefen Regenwolken. Regenschauer berieselten mit dünnen Wasserfäden die Scheiben der Pilotenkanzel. Verzweifelt zerrte ich an der Kühlerabsperrung, aber sie war mit zu dickem Draht gegen ungewollte Betätigung gesichert worden. Meine Kraft reichte einfach nicht aus, um ihn durchzureißen.
»Ruhig Thyben, ruhig!« Als es mir endlich gelang, den dicken Sicherungsdraht durchzureißen, war schon mindestens die Hälfte des Kühlmittels ausgelaufen, und mein Motor begann zu kochen. Jeden Moment musste ich damit rechnen, dass er stehen blieb. Ich flog mit geringster Leistung, um ihn thermisch nicht zu hoch zu belasten. Im Gleitflug schwebte ich bis kurz über die Wellen, gab dann wieder ganz vorsichtig etwas Gas, um erneut etwas an Höhe zu gewinnen. Mit dem Flugzeug wollte ich auf keinen Fall ins Wasser. Per Funkspruch meldete ich meine Situation, der Spruch wurde jedoch nicht gehört.
In 500 Metern Höhe dampfte der Motor wieder so stark, dass ich gezwungen war, zur Abkühlung erneut im Gleitflug tiefer zu gehen. Um jederzeit bereit zu sein, mit dem Fallschirm abzuspringen, warf ich das Kabinendach ab und löste die Gurte. Was ich nicht für möglich gehalten hatte, trat ein: Ich schaffte es noch bis Schiphol zurück, wo ich unangeschnallt auf dem Gras eine glatte Bauchlandung hinlegte.
Wie es dem gegnerischen Piloten nach unserem Luftkampf ergangen ist, habe ich nie erfahren. Oft habe ich mich gefragt, ob auch er noch seine Basis in England erreichen konnte.
Auf unserem Fliegerhorst herrschte permanente Alarmbereitschaft in der Erwartung eines feindlichen Angriffes. Wir Flugzeugführer warteten mit umgehängter Sauerstoffmaske, die Haube mit dem Funkhörer auf dem Kopf, auf den Startbefehl. Diese permanente Einsatzbereitschaft war erforderlich, um bei Feindannäherung in Minutenschnelle aufsteigen zu können. So warteten wir stundenlang bis zur Ablösung und dachten dabei: »Wenn doch endlich der Einsatzbefehl käme!«
Wenn gerade kein Feind gemeldet war, wurde mitunter »Freie Jagd« befohlen. So war es auch einmal im Oktober, das genaue Datum weiß ich nicht mehr. Wir waren zum Platzschutz in Rotten gestartet und sammelten uns zu Schwärmen – ein Schwarm besteht aus zwei Rotten, insgesamt waren wir also vier Flugzeuge. Wir flogen in ca. 7000 Meter Höhe über der holländischen Küste. Das Wetter war zwar etwas diesig, doch die Sicht nach unten war relativ gut. Nach einer Weile entdeckte ich ein feindliches Flugzeug tief unter uns. Es sehen und ihm hinterherzujagen, das war unsere Aufgabe. Es handelte sich um eine amerikanische P-47 Thunderbolt, einen einmotorigen Jagdbomber, der bekannt war für seine außerordentliche Beschussfestigkeit. Also musste ich möglichst nahe herankommen.
Der amerikanische Pilot war so darauf konzentriert, unten am Boden Unheil anzurichten, dass er gar nicht bemerkte, wie sich mein Flugzeug von hinten näherte. Ich hatte etwas mehr Höhe, folglich auch mehr Fahrt und nahm den Gegner ins Visier. Die Treffer mussten sitzen, und zwar schon beim ersten Mal. Unbemerkt pirschte ich mich an den Feind heran. Der war gerade dabei, einen Eisenbahnzug zu beschießen.
Ich wartete und ging noch näher heran. Als ich etwa 100 Meter entfernt war und das Flugzeug groß im Visier hatte, gab ich einen kurzen Feuerstoß ab. Doch das feindliche Flugzeug schien unbehelligt weiterzufliegen. Ich war sehr erstaunt. Bei genauerem Hinsehen merkte ich dann aber, dass zwei meiner Waffen Ladehemmung hatten. Dennoch, einige leichte Treffer aus den Maschinengewehren musste die feindliche P-47 erhalten haben. Eine leichte Rauchfahne hinter sich herziehend, zog sie hoch und nahm Kurs auf England.
Im diesigen Wetter war die Maschine bald nicht mehr klar zu erkennen. Mein Sprit neigte sich dem Ende zu, daher war eine Verfolgung nicht möglich. Und so verschwand das feindliche Flugzeug, sicherlich getroffen, aber eben nicht abgeschossen.
Am 8. Oktober 1943 startete ich mit dem Auftrag, in 8000 Metern Höhe über dem Flugplatz Amsterdam Schiphol auf weitere Anweisungen der Jägerleitstelle zu warten. Als ich in 6500 Metern Höhe mit der Rotte gerade auf den befohlenen Kurs ging, kam plötzlich im Nordwesten von Ijmuiden ein einzelnes Flugzeug ins Sichtfeld, das von Süd- auf Westkurs abdrehte. Auf die große Entfernung war es unmöglich, den Flugzeugtyp oder die Nationalität zu erkennen. Mit Vollgas jagte ich der Maschine in westlicher Richtung nach. Als ich langsam näherkam, erkannte ich in der verfolgten Maschine einen amerikanischen Jagdbomber vom Typ Thunderbolt P-47. Ich hatte den Vorteil der Höhe, also nahm ich das Flugzeug schnell ins Visier. Es war bekannt, wie robust die P-47 war.
Der Feind hatte mich noch nicht bemerkt. Nun musste ich Ruhe bewahren, konzentriert sein, näher heranfliegen. Immer größer wurde die Maschine im Reflexvisier. Schulmäßig zog ich mich von hinten an die Thunderbold heran und schoss sie mit kurzen Feuerstößen in Brand. Teile vom Rumpf und Leitwerk lösten sich, das Flugzeug kippte mit starker Rauchfahne ab und schlug auf See auf. Der Pilot musste wohl schon durch den Beschuss den Tod gefunden haben, da er keinen Versuch unternahm, mit dem Fallschirm abzuspringen. Jahre später erfuhr ich, dass es sich hier um die von 2/Lt. Dover C. Fleming Jr. geflogene P-47 vom 56th Fighter Group gehandelt hatte.
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