Einsatz über den Wolken. Jenny Schuckardt

Einsatz über den Wolken - Jenny Schuckardt


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unter meinesgleichen war ich weibliche Gesellschaft kaum noch gewohnt. Tanja hieß sie. Sie hatte helles, leicht gewelltes, weiches Haar, leuchtend gelbgrüne Augen und wirkte ebenso elegant wie sympathisch. Sie hatte eine dunkle, etwas rauchige Stimme und sprach zu meiner Überraschung Deutsch.

      »Wie kommt es, dass Sie unsere Sprache sprechen, Tanja?«, fragte ich.

      »Meine Mutter ist Wolgadeutsche, mein Vater halb Russe, halb Ukrainer, und als ich zehn Jahre alt war, haben wir drei Monate in Deutschland gelebt.«

      Eigentlich fand sie den Einmarsch der Deutschen in Russland unerhört, doch unter Stalin sei es noch viel schlimmer, gerade für die nicht gebürtigen Russen.

      Die Nacht brach allmählich herein, die Behandlung war zu Ende, und Tanja lächelte lieb. »Nun sind Sie wieder bereit zu fliegen.«

      »Danke, Tanja, danke.«

      Nur zögerlich erhob ich mich von der Behandlungsliege. Meine Kameraden waren weg, die Aussicht, die Nacht in den improvisierten Unterkünften mit den Mechanikern zu verbringen, schien mir wenig verlockend. Ich fühlte mich einsam und allein in der Fremde. Also fragte ich Tanja, wo ich denn unterkommen könne – natürlich mit der leisen verstohlenen Hoffnung, sie würde die Nacht mit mir verbringen wollen. Unsere Blicke trafen sich – und es waren keine Worte mehr nötig. Tanja nahm mich mit zu sich, sie servierte mir köstliche Piroggen mit Pilz-Zwiebel-Füllung und erzählte mir von ihrem Land. Irgendwann landeten wir zusammen im Bett, es wurde eine wunderbare Nacht voll Zärtlichkeit und Liebe.

      Bis mein Flugzeug repariert war, blieben wir zusammen – wenige kostbare Tage. Danach habe ich nie wieder von Tanja gehört. Oft habe ich mich gefragt, was aus ihr geworden ist, und hoffe inständig, dass sie es in den Westen geschafft hat. Denn »Arbeit für den Feind« galt nach Stalins Definition als Vaterlandsverrat, was dazu führte, dass die Geschichte des Arbeitseinsatzes russischer Freiwilliger unter deutscher Besatzung in der Sowjetunion ein weißer Fleck in den Geschichtsbüchern geblieben ist.

      Im Mai 1943 wurde ich nach Odessa ans Schwarze Meer verlegt. Mit meiner eigentlichen Aufgabe, dem Luftkampf Jäger gegen Jäger, wollte es immer noch nicht so recht klappen, bis ich schließlich am 8. Mai, genau zwei Jahre vor meinem letzten Luftsieg, den richtigen Dreh dafür herausbekam: Alarm! Alle Motoren brüllten auf. Auf die Sekunde nach Plan startete die ganze Gruppe. Der Stabsschwarm hob ab. Hinter ihm folgte Staffel um Staffel die erste Gruppe. Zehn Minuten später startete die erste Maschine der zweiten Gruppe. Das Geschwader war in der Luft, eng aufgeschlossen in den Formationen. Und dann wurden wir in einen Luftkampf verwickelt. Im Gewirr fiel mir plötzlich auf, wie sich eine Spitfire an unseren Staffelkapitän, Major Kurt Brändle, heranpirschte. Dieser Typ war der beste Jäger der Royal Airforce und vielleicht das schönste Flugzeug des Zweiten Weltkrieges, und die Westalliierten hatten über 1300 davon an die Russen geliefert.

      Es war eine extem brenzlige Situation, denn Brändle konzentrierte sich auf einen anderen Feind und war sich der Gefahr nicht bewusst. Eine gezielte Garbe aus der Feindmaschine, und unser Gruppenkommandeur wäre erledigt. Mir war klar, dass sein Leben in meinen Händen lag. Dieses Flugzeug musste abgeschossen werden.

      »Meine Herren, drückt erst auf den Auslöser, wenn das Ziel die gesamte Frontscheibe ausfüllt!«, hörte ich die Stimme meines Jäger-Ausbilders Friedrich Sonnenfelder. Als es so weit war und die Entfernung stimmte, spannte ich alle Muskeln an, feuerte aus allen Waffen und traf. Der feindliche Jäger rauchte, verlor Teile seines Leitwerks und stürzte brennend zu Boden. Ja! Ja! Mein erster Luftsieg gegen einen feindlichen Jäger! Ich schlug mit den Fäusten gegen die Rückenpanzerung des Führersitzes und brüllte vor Begeisterung lautstark durch das Funkgerät, bis Brändle mich zurechtwies. »Mensch Thyben, lassen Sie die Schreierei, ich hab’s gesehen, gut gemacht!«

      Von Ausbilder Friedrich Sonnenfelder hätte ich kein Lob, sondern eine dicke Rüge kassiert. Denn in meiner Begeisterung hatte ich seine weiteren Anweisungen schlichtweg vergessen: »Meine Herren, wenn Sie getroffen haben, sollten Sie an Ihr Überleben denken. Umsehen, ob jemand hinter Ihnen erscheint, abdrehen und wenden.«

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      Seite aus der Fibel der Jagdflieger

      Mein geschätzter Lehrmeister hatte mir aber auch noch etwas anderes auf den Weg gegeben: »Meine Herren, das Wichtigste für einen Jagdpiloten ist der erste Sieg. Wenn Sie diesen ohne Trauma erringen, sind Sie auf dem Weg, ein guter Jagdflieger zu werden. Wenn nicht, nistet sich die Furcht vor dem Kampf in Ihrem Unterbewusstsein ein und wird zu Ihrem ständigen Begleiter.«

      Major Brändle spendierte an diesem denkwürdigen Tag eine Runde feinsten Branntweins für alle. Nach meinem ersten Luftsieg, im Kreis meiner Kameraden, fühlte ich mich unbesiegbar. Ja, es sollte meine Bestimmung sein, die Jäger der anderen Seite vom Himmel zu holen. Es kam mir nicht vor wie Krieg, vielmehr wie eine Art sportlicher Wettkampf, den der bessere Pilot gewinnt.

      An der Ostfront diente der Einsatz der russischen Luftstreitkräfte vorwiegend der Unterstützung der Roten Armee. Anfangs hatten sie den Auftrag, den Vormarsch der deutschen Wehrmacht aufzuhalten, später unterstützten sie die Gegenoffensive bis zur Besetzung Deutschlands. Daher wurde den Erdkampfflugzeugen besonders große Bedeutung beigemessen. Diese »fliegende Artillerie« wurde im Tiefflug gegen Infanterie und Panzerverbände eingesetzt.

      Bei diesen »Schlachtflugzeugen« handelte es sich in erster Linie um zweisitzige Iljuschin IL2, in denen der Pilotensitz, aber auch der Motor und das Kühlersystem so stark gepanzert waren, dass die Maschine nur schwer abzuschießen war. Der Rückenpanzer des Piloten hielt auch 2-cm-Munition stand. Der Heckschütze dagegen war ziemlich ungeschützt und versuchte, das Flugzeug mit seinem MG zu verteidigen. Die IL2 gilt mit weit über 30 000 Exemplaren als das meistgebaute Flugzeug des Zweiten Weltkriegs.

      Eines Tages meldete mir die Bodenstation über Funk den Standort einer »IL2« auf dem Gitternetz meiner Karte in dem von mir zu sichernden Planquadrat. Ich wählte die Richtung und die geeignete Angriffshöhe und pirschte mich mit Vollgas so dicht wie möglich an den Gegner heran. Mein Angriff kam überraschend, innerhalb von wenigen Sekunden war der Heckschütze außer Gefecht gesetzt. Es war ein füchterliches Gemetzel. Ich konnte erkennen, dass die Glaskuppel, hinter der der Heckschütze saß, blutverschmiert war. Seine Eingeweide klebten überall. Ein eiskalter Schauer packte mich bei diesem Anblick. Für den Bruchteil einer Sekunde stieg Brechreiz auf, aber gleichzeitig musste ich hochkonzentriert bleiben.

      Bei diesem Angriff wurde mir zum ersten Mal richtig bewusst, dass in den feindlichen Flugzeuge Menschen saßen, dass ich auf Menschen schoss. Bis zu diesem Abschuss hatte ich noch niemanden von meiner Hand sterben sehen. Der Gedanke verursachte mir in diesem Augenblick tiefes Grauen und Übelkeit. Doch mir war klar, dass ich nicht weiterdenken durfte, dass ich diesen entsetzlichen Anblick verdrängen musste, um weitermachen zu können. Und ich musste weitermachen, denn der von seiner Rückenpanzerung geschützte Pilot war noch am Leben und hielt die Maschine in der Luft.

      Friedrich Sonnenfelders Worte hallten durch meinen Kopf: »Meine Herren, das Ziel eines jeden Jagdfliegers besteht darin, zu überleben. Dies ist Ihr Ziel und Ziel Ihres Feindes. Und in der Regel wird nur einer von Ihnen dieses Ziel erreichen.«

      Ich flog zum zweiten Angriff an, zielte und feuerte aus allen Rohren, bis das Flugzeug in der Luft zerbrach. Es war Krieg, und wir haben aufeinander geschossen – eine furchtbare Tatsache. Nach Kriegsende habe ich mir geschworen, nie wieder auf Menschen zu schießen. Und ich habe mich daran gehalten, auch als ich Jahre später in Kolumbien in eine Situation kam, in der man mich dazu aufforderte.

      Schnell mehrten sich meine Abschüsse, denn ich hatte jetzt begriffen, worauf es im Luftkampf ankam, und eine gewisse Geschicklichkeit entwickelt. Die meisten Luftsiege errang ich, wenn ich in großer Höhe mit der Sonne im Rücken von unten angriff, denn so konnte ich den Feind selbst aus weiter Enfernung gut erkennen. Zwischen Mai und Juni holte ich 15 feindliche Maschinen vom Himmel: Airacobra, Jak-1, Jak-4, LaGG-3 und La-5.

14_Mein_8._Abschuss_einer_Lagg_5_in_Russland_am_3._Juni_1943.tif
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