Einsatz über den Wolken. Jenny Schuckardt

Einsatz über den Wolken - Jenny Schuckardt


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Flügen. Über jeden Flug wurde akribisch Buch geführt, wie sich der Schüler beim Fliegen benommen hatte, woran es ihm fehlte, was er besonders gut konnte. Meine Vorgesetzten erkannten schnell meine Abneigung gegen den Instrumentenflug und teilten mich zu den Tagjägern ein, wo der Blindflug, also der Flug nach Instrumenten, nicht so wichtig war. Man flog meistens auf Sicht, half sich mit dem Vergleich von Karte und Landschaft. Bei bewölktem Himmel war es wichtig, für diesen Abgleich einen Blick nach unten zu finden, um nicht vom Kurs abzukommen. Das konnte ich, das liebte ich.

      Mitte September 1941 wurde ich in das besetzte Frankreich an die Jagdfliegervorschule 2 zur weiteren Ausbildung zum Jagdflieger versetzt. Zunächst ging es in die Hauptstadt Paris, die die Deutschen am 14. Juni besetzt hatten. Mein Jagdflieger-Ausbilder Friedrich Sonnenfeld war ein hochgewachsener, stattlicher Herr mit einem aristokratischen Gesicht und einer imposanten Narbe über der Wange. Ich hing an seinen Lippen. Hein Bolle hätte seine Freude gehabt.

      »Meine Herren, das Ziel eines jeden Jagdfliegers besteht darin zu überleben. Dies ist Ihr Ziel und das Ziel Ihres Feindes. Und in der Regel wird nur einer von Ihnen dieses Ziel erreichen«, bläute er uns ein. »Sie müssen sich mit allen Sinnen auf Ihr Ziel konzentrieren, egal welche Gefahr hinter Ihrem Rücken lauert. Es gilt, den Überblick zu behalten. Der Pilot, der den anderen zuerst sieht, hat schon halb gewonnen. Und Sie dürfen nie vergessen, dass auch die Gegenseite über ausgezeichnete Piloten verfügt. Ihre Taktik besteht in der richtigen Entscheidung im richtigen Moment: Sie sehen den Feind, entschließen sich dazu, sofort anzugreifen, oder Sie warten auf eine günstigere Gelegenheit oder Sie greifen überhaupt nicht an. Diese Entscheidung müssen Sie mitunter im Bruchteil einer Sekunde treffen.«

      Bei so manchem Luftkampf habe ich später an seine Worte gedacht. Einstweilen aber realisierten wir immer noch nicht, dass auch für uns jetzt tatsächlich Krieg war. Denn wir hatten in der wunderschönen französischen Hauptstadt das Gefühl, uns gehöre die Welt. Wir waren blutjung – ich war 18 – und voller Tatendrang. Die Nächte in Paris waren lang, die Mademoiselles sehr hübsch und elegant, der französische Rotwein schmeckte herrlich, und nur allzu gerne prahlten wir mit unserer Ausbildung zum Flugzeugführer.

      Im Großen und Ganzen schienen uns die Franzosen durchaus wohlgesinnt zu sein – so empfand ich das jedenfalls. Dass wir in ihr Land eingefallen und Besetzer waren, das war uns damals nicht bewusst. Außerdem ging es mir einfach nur ums Fliegen, egal, wo und was.

      Meine weitere Jagdfliegerausbildung absolvierte ich im Dezember 1941 an der Jagdfliegerschule 5 bei Toussus-le-Noble, einer französischen Gemeinde in der Nähe von Versailles gegenüber von Guyancourt. Und hier entschied ein gnädiges Schicksal über meinen weiteren Werdegang.

      Von Natur aus sind meine Zähne nicht besonders gut, und eines Tages plagten mich höllische Zahnschmerzen. Aber ich wollte wegen so einer Banalität nicht den fliegerischen Dienst versäumen und wartete also einen Tag ab, an dem das Wetter keinen Flugbetrieb zuließ. Es war schon Herbst, und daher musste ich nicht allzu lange auf einen Tag warten, an dem selbst die Vögel zu Fuß gingen, wie man bei uns sagte.

      Die Praxis des Luftwaffenzahnarztes befand sich in Guyancourt, genau gegenüber von den Barackenlagern unseres Fliegerhorstes. Es war nicht gestattet, über das Flugfeld zu laufen, man musste es umrunden: sieben Kilometer statt drei. Auf dem Hinweg hielt ich mich an die Vorschrift. Mein kranker Zahn wurde behandelt, und erleichtert machte ich mich auf den Weg zurück zu unseren Baracken.

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      Tägliches Antreten vor der Betriebsaufnahme in der Jagdfliegerschule Frankreich

      Der Nebel lag wie festgeklebt auf dem Boden, sodass keinerlei Flugbetrieb möglich war. Ich hatte keine Lust, wieder den langen Umweg zu machen, und lief also diesmal quer über das Flugfeld. Die Unterkünfte kamen auch bald durch den Nebel in Sicht. Doch genau in diesem Moment stand der Staffelkapitän am anderen Ende vor den Unterkünften, um nachzusehen, ob sich das Wetter bessern würde.

      Mist! Prompt entdeckte er mich, als ich aus dem Nebel kam. Sofort schickte er den Gefreiten vom Dienst auf einem Fahrrad los, um mich abzufangen. »Sie sollen sich unverzüglich beim Staffelkapitän melden«, teilte mir mein Kamerad mit, der mich plötzlich siezte, obwohl er den gleichen Dienstgrad hatte wie ich.

      Ich meldete mich also beim Staffelkapitän und erklärte meinen Zahnarztbesuch. Doch der kannte keine Gnade. Er befahl mir, zur Strafe einen Aufsatz zu schreiben mit dem Titel: »Wie bewege ich mich ohne Flugzeug über das Rollfeld.« Mindestens zehn Seiten lang. Zwar bestätigte ich diszipliniert mit einem förmlichen »Zu Befehl«, aber innerlich haderte ich mit dem Schicksal und verzog mich sauer in die Unterkunft.

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      Jagdfliegerausbildung auf Arado 96 über Frankreich. Dieses Baumuster war Standard bei der Fortgeschrittenenschulung.

      Am Nachmittag des gleichen Tages begrüßten wir einen Jagdschülerkameraden, der nach zehn Tagen Arrest zurückkam. Er war vom Staffelkapitän wegen einer Banalität verknackt worden, er hatte wohl die Knöpfe an der Uniformjacke falsch geknöpft. Wir feierten seine Freilassung, der Kamerad ließ eine Runde süffigen französischen Rotweins springen, es herrschte eine ausgelassene Stimmung. Leicht angetrunken und respektlos machten wir uns über unseren gestrengen Staffelkapitän und seine lächerlichen Strafmaßnahmen lustig – bis mir gegen Mitternacht die Strafarbeit wieder einfiel, die noch am gleichen Abend abzugeben war.

      Schwer angeheitert und völlig lustlos beschrieb ich drei Blatt im sogenannten »Gefreiter-vom-Dienst-Zimmer« im Stehen und lieferte den ganzen Senf auch gleich ab. Was genau ich zusammengeschrieben hatte, wusste ich gar nicht mehr.

      Am nächsten Tag war ich wie so oft zur Wache eingeteilt, eine öde Beschäftigung, und vertrödelte meine Zeit mit geschultertem Gewehr vor dem Schilderhäuschen, als mir befohlen wurde, mich unverzüglich beim Staffelkapitän zu melden.

      Nach einiger Wartezeit im Vorzimmer schallte der Befehl: »Thyben, reinkommen!«

      Der Staffelkapitän, der mit großem Stolz das goldene Parteiabzeichen auf der Uniform trug, empfing mich mit finsterer Miene. Es versprach also ziemlich unangenehm zu werden.

      »Haben Sie das geschrieben?« Er hielt mir mit gerunzelter Stirn mein Werk vor die Nase, und ich sah nur noch rote Striche.

      »Eigentlich sollte ein Tatbericht gegen Sie eingereicht werden wegen Vorgesetztenbeleidigung. Da jedoch bisher nie etwas Derartiges gegen Sie vorlag, werde ich noch einmal davon absehen«, herrschte er mich an. Er verdonnerte mich zu sechs Tagen verschärften Arrests, da ich mich in einer schriftlichen Übungsarbeit über das Thema: »Wie bewege ich mich ohne Flugzeug über das Rollfeld« in unerhörter Weise über meinen Vorgesetzten lustig gemacht hatte.

      Von 11. bis 17. April 1942 steckte man mich in den Arrest. Mitnehmen durfte ich nur meine Zahnbürste. Alles andere, auch Hosenträger und Gürtel, wurden mir abgenommen. An geistig literarischer Nahrung lagen in der Zelle Hitlers »Mein Kampf«, aber immerhin auch die Bibel bereit.

      Auch diese sechs Tage gingen vorüber. Nach meiner Entlassung durfte ich nicht, wie erhofft, fliegen, sondern war erneut zum Wacheschieben eingeteilt. Nach zwei Tagen ging mir das derart auf den Geist, dass ich eine Mandelentzündung vortäuschte. Elf Tage immerhin wurde ich krankgeschrieben.

      Der Tag meiner Entlassung aus dem Krankenstand war ein Samstag, und ich wollte mit meinen Kameraden ausgehen und feiern. Von Toussus-le-Noble nach Versailles war man bei bei normaler Gangart etwa eine Stunde unterwegs. Also fesch gemacht, Stiefel gewichst, Uniformrock sauber gebürstet und ab in die Freiheit. Auf halber Strecke tauchte plötzlich ein Auto vor mir auf und hielt genau auf mich. Zu spät also, um mich ins Gebüsch zu schlagen. Es war eines von unseren Oberen in Frankreich beschlagnahmten französischen Autos. Als es näher kam, war kein Zweifel mehr möglich. Ein Blick auf die Unifom genügte. Zu penetrant leuchtete mir das goldene Parteiabzeichen entgegen. Die Bremsen


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