Einsatz über den Wolken. Jenny Schuckardt
La-5 in Russland am 3. Juni 1943
Doch wie schnell es auch wieder anders kommen konnte, wurde mir kurz danach in diesem warmen russischen Frühsommer klar.
Auch wenn unsere Führung permanent zu vermitteln versuchte, dass es vorwärts gehe, war augenscheinlich das Gegenteil der Fall. Wie hoffnungslos die militärische Lage jedoch tatsächlich war, wurde uns ganz und gar nicht bewusst. Nach der Niederlage der Wehrmacht in der Panzerschlacht im Kursker Bogen im Sommer 1943 setzten Rückzugskämpfe ein. Wegen der ständigen russischen Angriffe auf die zu weit auseinandergezogene Frontlinie lautete der Befehl, die Jagdverbände in kleinen Einheiten einzusetzen. Die Luftwaffe war inzwischen zahlenmäßig deutlich unterlegen. Verstärkung an der Ostfront war nicht in Sicht, vielmehr wurden etwas später alle verfügbaren Kräfte in den Westen verlegt.
Dass es unaufhaltsam zurück Richtung Westen ging, das konnten wir uns zusammenreimen. Denn kaum waren wir an einem Ort etwas heimisch geworden, wurden wir schon wieder ein Stück weiter ins Hinterland verlegt. Einen meiner letzten Einsätze im Osten hätte ich beinahe mit dem Leben bezahlt.
An einem wunderbar warmen Junitag 1943 lümmelte ich neben meiner Maschine in einem Liegestuhl und studierte die milchigweißen Quellwolken am Himmel. Diese Wolkenformationen ähnelten einem Schaf, dann wieder einem pausbäckigen Kind, keine glich der anderen. In der Ferne war das dumpfe Donnern der Geschütze und der Einschläge zu hören, die Front war nahe, der Kampf tobte unüberhörbar mit aller Gewalt. Da, plötzlich, von West nach Ost, zog ein zweimotoriger russischer Aufklärer durch den Himmel. Es handelte sich um eine Iljuschin DB-3, ein etwas älteres Modell, das aber nach wie vor gern als Aufklärer eingesetzt wurde.
Blitzartig schnellte ich aus meinem Liegestuhl hoch und kletterte in mein Flugzeug. Kaum saß ich drin, kam auch schon der Befehl von meinem Staffelkapitän: »Thyben, hoch geht’s, der Aufklärer darf mit seinen Bildern nicht nach Hause kommen, holen Sie den runter.«
Der Russe fühlte sich offenbar sehr sicher, denn er hatte unseren Platz in etwa 800 Meter Höhe überflogen. Aber auch ich fühlte mich sicher. Meine Me 109 war doppelt so schnell, und so war ich zuversichtlich, dass ich das feindliche Flugzeug rasch einholen würde. Dazu aber musste ich ihm direkt nachfliegen, ohne erste Höhe zu gewinnen. Kabinenhaube zu, Vollgas rein, Schwänzchen in die Höhe und schon war ich in der Luft. Das feindliche Flugzeug erschien klein hinter dem Panzerglas. Es war noch weit entfernt.
Schnell musste ich jetzt auf Höchstgeschwindigkeit beschleunigen, um den Feind nicht aus den Augen zu verlieren. Fahrt war wichtiger als Höhe! Ein fataler Fehler! Als ich in geringer Höhe über die Hauptkampflinie flog, wurden meine Hände beim Blick nach unten schweißnass und ein mulmiges Gefühl breitete sich in meiner Magengegend aus. Ich erschauderte bei diesem Anblick: Dort hatte die Rote Armee ein riesiges Arsenal konzentriert, die volle Kriegsmaschinerie: Panzer, Geschütze aller Art, vorwiegend die »Stalinorgeln« genannten Raketenwerfer und jede Menge Infanterie.
Meine Lage war äußerst ungünstig. In nur 100 Meter Höhe war mein Flugzeug nur allzu leicht als Feind auszumachen und für alle Waffen ein gut erreichbares Ziel. Was schießen konnte, schoss. Es hagelte um mich, von unten nach oben. »So ein Mist!«
Der erste Treffer ließ nicht lange auf sich warten, ich hatte größte Mühe, die Kontrolle über das Flugzeug zu behalten. Hektisch begann ich zu kurven, um es der anderen Seite nicht noch leichter zu machen, mich abzuknallen. Der russische Aufklärer war vergessen, jetzt ging es ums nackte Überleben. »Päng!«, ein Einschuss. Unmittelbar danach zeigte das Wasserthermometer an, dass die Motortemperatur hochschoss. Der Kühler war getroffen, die Kühlflüssigkeit lief aus.
»Mist, Mist, Mist!« Krampfhaft versuchte ich die Notsperre, mit der man das im Motor vorhandenen Kühlmittel von den Kühlern unter der Fläche trennen konnte, zu betätigen. Aber der Sicherungsdraht war einfach zu dick, es war unmöglich, den Hebel zu ziehen. Und all das über Feindesgebiet.
Mir rieselte es eiskalt den Rücken hinunter, während ich versuchte, im Tiefstflug nach Westen zu entkommen. Der Motor fing an zu kochen. Von unten ballerte alles, was schießen konnte, nach mir. Umheimlich viele Menschen, unglaublich viel Material. Der Schweiß lief mir nur so herunter, als ob ich aus der Sauna käme.
Der Motor begann bereits merklich rauer zu laufen, jeden Moment war mit einem Kolbenfresser zu rechen. Angespannt bis zum Äußersten flog ich über von Bombentrichtern übersätes Land. Und dann war es vorbei. Der Motor würgte und blieb stehen, meine Me 109 wurde in knapp zwanzig Meter Höhe zum Segelflugzeug. Der Angstschweiß brach mir aus. Denn unser aller größter Albtraum war die Vorstellung, in russische Gefangenschaft zu geraten. Und ich war gerade kurz davor, den Russen direkt vor die Füße zu fallen.
Mit dem letzten bisschen Fahrt versuchte ich meine Maschine etwas hochzuziehen und ein wenig Zeit zu gewinnen, um einen geeigneten Fleck für die unmittelbar bevorstehende Bauchlandung zu suchen, auch auf die Gefahr hin, dem Feind eine noch bessere Zielscheibe zu bieten. Besser tot als in Gefangenschaft. Und runter! Ich warf das Kabinendach ab, und zwischen Bombentrichtern legte ich den Flieger dann mit der geringstmöglichsten Fahrt auf den Bauch.
Kaum war meine Me 109 zum Stillstand gekommen, detonierten auch schon die ersten Granaten in meiner Nähe. Oh Gott! Bitte nicht! Nichts wie weg hier! Hastig kletterte ich aus der Maschine, um Deckung zu suchen – möglichst weit weg. Laufen, hinschmeißen, warten und wieder sprinten, so wie man es uns damals in der Grundausbildung beigebracht hatte.
Die Einschläge rückten näher. Da tauchten auf einmal Soldaten vor mir auf. In der Staubwolke war nicht klar zu erkennen, ob es sich um Deutsche oder Russen handelte. Mein Herz klopfte bis zum Hals. Das war’s also! Reflexartig zog ich meine Dienstpistole. Eigentlich lächerlich, denn was kann man schon mit einer Faustfeuerwaffe gegen Sturmgewehre ausrichten? Aber egal, lebend sollten mich die Russen nicht bekommen. Ein kurzer Moment der Stille, in der ich nur mein Herz klopfen hörte. Sekunden, die sich wie eine Ewigkeit anfühlten. Plötzlich erkannte ich die Stimmen: Es waren Deutsche.
Auf meiner Me 109 beim JG3 in Russland
»Nicht schießen, Leute! Hier bin ich, nicht schießen!«, brüllte ich so laut ich nur konnte und hob vorsichtig die Hand.
Ein mutiger Landser sprang in meinen Bombentrichter. Gott, was war ich erleichtert! Ich hätte ihn knutschen können.
»Sind Sie verwundet?«, wollte er wissen.
Ich verneinte und fragte ihn, ob wir uns auf deutscher Seite befinden würden. Denn ich hatte in diesem Moment vollkommen die Orientierung verloren.
»Der Russe startet gerade auf breiter Front eine Großoffensive«, erklärte mir der Unteroffizier knapp. Der Frontverlauf sei ihm daher auch nicht klar.
Den Überblick über die jeweils aktuelle Lage zu behalten, war in dieser Phase des Krieges nicht einfach. Die Alliierten eroberten unsere Flugplätze und nutzten sie häufig selbst, während wir von Behelfspisten irgendwo in der Pampa operieren mussten.
Mit einer Handbewegung gab mir der Unteroffizier zu verstehen, ihm zu folgen. Wir sprangen aus dem Trichter und rannten um unser Leben. Schließlich schafften wir es zu einem Gefechtsstand, von dem aus es möglich war, eine Telefonverbindung herzustellen. Ich meldete mein Missgeschick, und mein Staffelkapitän schickte sofort unseren Fieseler Storch, der für solche Fälle beim Geschwader bereitstand, um mich rauszuholen.
Der Bataillonskommandeur, der diesen Frontabschnitt führte, sicherte eine Landefläche, um die Landestelle zu schützen, in der Hoffnung, meine nur leicht beschädigte Me 109 zu bergen. Ob das gelungen ist, habe ich nie erfahren, denn kaum war ich zurück bei meiner Einheit, wurde diese auch schon wieder verlegt.
Gefährlicher Crash auf der Hallig
Unter dem Codenamen »Operation Gomorrha« starteten Briten und US-Amerikaner im Juli 1943 eine Reihe von schweren Luftangriffen auf Hamburg, nachts die Engländer, tagsüber die Amerikaner. In der Nacht vom 24. auf den 25. Juli kurz vor Mitternacht näherten sich Tausende Bomber der Küste. Die deutschen Nachtjagdflieger