Nana. Emile Zola

Nana - Emile Zola


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zu zahlreichen Gäste um Marmortische. Manche tranken überstürzt im Stehen; und die breiten Spiegel warfen dieses Gewimmel von Köpfen unendlich oft zurück und vergrößerten den engen Raum mit seinen drei Kronleuchtern, seinen Plüschbänken und seiner rot ausgeschlagenen Wendeltreppe ins Maßlose. Steiner ließ sich an einem Tisch im ersten Raum nieder, der nach dem Boulevard hin offen war und dessen Türen man ein bißchen früh für die Jahreszeit entfernt hatte. Als Fauchery und La Faloise vorbeigingen, hielt sie der Bankier an.

      „Trinken Sie doch ein Bier mit uns.“

      Doch ein Gedanke beschäftigte ihn unaufhörlich: er wollte Nana einen Blumenstrauß zuwerfen lassen. Schließlich rief er einen Kellner des Cafés, den er vertraulich Auguste nannte. Mignon, der zuhörte, sah ihn so offen an, daß er ganz verwirrt wurde und stammelte:

      „Zwei Blumensträuße, Auguste, und geben Sie sie bei der Logenschließerin ab; einen für jede der Damen, im günstigen Augenblick, nicht wahr?“

      Am anderen Ende des Raumes saß, den Nacken gegen den Rahmen eines Spiegels gelehnt, ein höchstens achtzehnjähriges Mädchen regungslos vor einem leeren Glas, wie erstarrt von langem und vergeblichem Warten. Unter den natürlichen Locken ihres schönen aschblonden Haars hatte sie ein jungfräuliches Gesicht mit sanften und unschuldigen Samtaugen; sie trug ein grünes, verschossenes Seidenkleid und einen runden Hut, den Ohrfeigen verbeult hatten. Von der Kühle der Nacht war sie ganz weiß.

      „Sieh mal an, da sitzt Satin“, murmelte Fauchery, als er sie erblickte.

      La Faloise fragte ihn aus. Oh, ein Straßenmädchen vom Boulevard, ganz unbedeutend. Aber sie habe eine solche Schandschnauze, daß man sich einen Spaß daraus mache, sie zum Reden zu bringen. Und mit erhobener Stimme fragte der Journalist:

      „Was machst du denn da, Satin?“

      „Ich kotze mich an“, antwortete Satin seelenruhig, ohne sich zu rühren.

      Entzückt begannen die vier Männer zu lachen.

      Mignon versicherte, sie brauchten sich nicht zu beeilen; für den Umbau zum dritten Akt benötige man zwanzig Minuten. Aber die beiden Vettern, die ihr Bier ausgetrunken hatten, wollten wieder hineingehen, ihnen wurde langsam kalt. Darauf stützte sich Mignon, der mit Steiner allein geblieben war, mit den Ellbogen auf und sprach ganz offen mit ihm:

      „Na, abgemacht, wir gehen zu ihr, ich stelle Sie vor . . . Natürlich bleibt das unter uns, meine Frau braucht das nicht zu wissen.“

      Als Fauchery und La Faloise auf ihre Plätze zurückgekehrt waren, fiel ihnen in einer Loge des zweiten Ranges eine hübsche, bescheiden gekleidete Frau auf. Sie war in Begleitung eines gesetzt aussehenden Herrn, eines Bürovorstehers im Innenministerium, den La Faloise kannte, da er ihm bei den Muffats begegnet war. Fauchery seinerseits glaubte, sie heiße Madame Robert: eine anständige Frau, die einen Geliebten habe, nicht mehr, und immer einen achtbaren Mann.

      Aber sie mußten sich umdrehen. Daguenet lächelte ihnen zu. Jetzt, da Nana Erfolg hatte, verbarg er sich nicht mehr; er hatte soeben auf den Gängen einen Triumph gefeiert. Neben ihm hatte der junge Wildfang seinen Sessel nicht verlassen, so betäubt war er vor Bewunderung, in die ihn Nana versetzt hatte. Das war es also, das war die Frau! Und er wurde ganz rot, mechanisch zog er seine Handschuhe an und wieder aus. Da sein Nachbar von Nana gesprochen hatte, wagte er ihn dann zu fragen:

      „Verzeihung, mein Herr, kennen Sie die Dame vielleicht, die spielt?“

      „Ja, flüchtig“, murmelte Daguenet überrascht und zögernd. „Dann kennen Sie ihre Adresse?“

      Die an ihn gerichtete Frage fiel so unverblümt, daß er Lust hatte, sie mit einer Ohrfeige zu beantworten.

      „Nein“, sagte er trocken. Und er kehrte ihm den Rücken zu.

      Der blonde Jüngling begriff, daß er da etwas Unpassendes begangen hatte; er errötete noch mehr und blieb verstört sitzen.

      Das dreimalige Klopfzeichen ertönte. Logenschließerinnen, die mit Pelzen und Mänteln beladen waren, wollten inmitten der hereinkommenden Menge unbedingt die Kleidungsstücke zurückgeben. Die Claque beklatschte das Bühnenbild: eine Grotte des Berges Ätna, die in eine Silbermine gegraben war und deren Wände wie neue Taler funkelten; die Schmiede Vulkans im Hintergrund sah aus wie ein Sonnenuntergang. Schon in der zweiten Szene einigte sich Diana mit dem Gott, der eine Reise vortäuschen sollte, um das Feld für Venus und Mars zu räumen. Kaum war Diana dann allein, erschien Venus. Ein Schauer erregte den Zuschauerraum. Nana war nackt. Sie war nackt mit gelassener Verwegenheit, der Allmacht ihres Fleisches gewiß. Lediglich ein Flor hüllte sie ein; ihre runden Schultern, ihre amazonenhaften Brüste, deren rosige Spitzen aufrecht und starr wie Lanzen standen, ihre breiten Hüften, die in wollüstigem Wiegen rollten, ihre Schenkel einer üppigen Blondine, ihr ganzer Leib war unter dem leichten schaumweißen Gewebe zu erraten, zu sehen. Das war Venus, die aus den Wogen geboren wird und als Schleier nur ihre Haare hat. Und wenn Nana die Arme hob, gewahrte man im Rampenlicht die goldnen Haare ihrer Achselhöhlen. Es gab keinen Applaus. Niemand lachte mehr, die ernsten Gesichter der Männer spannten sich, die Nase schmal geworden, der Mund gereizt und ohne Speichel. Ein ganz sanfter, mit einer dumpfen Drohung geladener Wind schien vorübergeweht zu sein. Ganz plötzlich stand in dem gutmütigen Kind beunruhigend die Frau auf mit dem Wahnsinnsausbruch ihres Geschlechts, das Unbekannte des Verlangens eröffnend. Nana lächelte immer noch, aber mit dem grellen Lächeln einer männerverschlingenden Frau.

      „Donnerwetter!“ sagte Fauchery lediglich zu La Faloise. Inzwischen kam Mars mit seinem Federbusch zu dem Stelldichein gelaufen und stand zwischen den beiden Göttinnen. Nun gab es eine Szene, die Prullière ausgezeichnet spielte: von Diana geliebkost, die einen letzten Versuch mit ihm anstellen wollte, bevor sie ihn Vulkan auslieferte, von Venus umschmeichelt, die die Gegenwart ihrer Rivalin aufstachelte, überließ er sich diesen Wonnen mit der seligen Miene eines Hahnes im Korbe. Dann schloß ein großes Terzett die Szene ab; und in dem Augenblick tauchte eine Logenschließerin in Lucy Stewarts Loge auf und warf zwei riesige weiße Fliedersträuße auf die Bühne. Es wurde geklatscht, Nana und Rose Mignon verneigten sich, während Prullière die Blumensträuße aufhob. Ein Teil des Sperrsitzes wandte sich lächelnd nach der Parterreloge um, die Steiner und Mignon innehatten. Der Bankier, blutrot im Gesicht, bekam ein schwaches, krampfartiges Zucken am Kinn, als sei ihm irgend etwas in der Kehle steckengeblieben.

      Das Folgende packte den Zuschauerraum vollends. Diana war wütend davongegangen. Sogleich rief Venus, die auf einer bemoosten Bank saß, Mars zu sich. Noch niemals war eine hitzigere Verführungsszene gewagt worden. Nana hatte die Arme um Prullières Hals geschlungen und zog ihn an sich, als Fontan, der sich einer Mimik von spaßhafter Wut überließ und die Rolle eines beleidigten Ehemannes, der seine Frau auf frischer Tat ertappt, übertrieb, im Hintergrund der Grotte auftauchte. Er hielt das berühmte Netz mit den eisernen Maschen in der Hand. Einen Augenblick lang schwang er es hin und her wie ein Fischer, der ein Wurfnetz auswerfen will, und mit einem gewitzten Trick wurden Venus und Mars in der Falle gefangen. Das Netz umstrickte sie und machte sie in ihrer Stellung glücklich Liebender unbeweglich.

      Ein Gemurmel stieg auf wie ein anschwellender Seufzer. Einige Hände klatschten, alle Operngläser waren auf Venus gerichtet. Nach und nach hatte Nana vom Publikum Besitz ergriffen, und jetzt war ihr jeder Mann hörig. Die Brunst, die von ihr aufstieg wie von einem läufigen Tier, hatte immer weiter um sich gegriffen und erfüllte den Zuschauerraum. Nun fachten ihre geringsten Bewegungen die Begierde an, mit einer Geste ihres kleinen Fingers wendete sie das Fleisch um und um. Rücken krümmten sich und bebten, als strichen unsichtbare Bogen über die Muskeln; auf Nakken waren Flaumhärchen zu sehen, die unter einem lauen, dahinhuschenden Hauch, der aus irgendeinem Frauenmund kam, aufflogen. Fauchery sah den Wildfang vor sich, den die Leidenschaft in seinem Sessel hochtrieb. Ihn packte die Neugierde, Graf de Vandeuvres zu betrachten, der sehr bleich war und die Lippen zusammengekniffen hatte, den dicken Steiner, dessen Apoplektikergesicht geradezu barst, Labordette, der mit der erstaunten Miene eines Pferdehändlers, der eine vollkommene Stute bewundert, durch sein Glas blickte, und Daguenet, dessen Ohren vor Erregung blutrot waren und zuckten. Dann ließ ihn eine dunkle Ahnung einen Blick nach hinten werfen, und er war ganz erstaunt über das, was er in der Loge der Muffats sah: hinter


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