Nana. Emile Zola

Nana - Emile Zola


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kleiner Mann…“ und verständigte ihn dann, am morgigen Tage nicht zu kommen, da „es nicht passe“, aber „in der Ferne wie in der Nähe, in jedem Augenblick sei sie in Gedanken bei ihm“.

      „Und ich schließe mit ,tausend Küssenʻ “, murmelte sie.

      Frau Lerat hatte jedem Satz mit einer Kopfbewegung zugestimmt. Ihre Blicke flammten; sie liebte es leidenschaftlich, bei Herzensangelegenheiten dabeizusein. Daher wollte sie auch ihr Teil beitragen und gurrte, eine zärtliche Miene aufsetzend:

      „Tausend Küsse auf Deine schönen Augen.“

      „Das ist richtig:,Tausend Küsse auf Deine schönen Augen!ʻ“ wiederholte Nana, während ein Ausdruck von Glückseligkeit über die Gesichter der beiden Alten glitt.

      Man läutete nach Zoé, damit sie den Brief zu einem Dienstmann hinunterbringe. Sie plauderte gerade mit dem Theaterdiener, der Madame einen am Morgen vergessenen Probenplan brachte. Nana ließ diesen Mann hereinkommen und beauftragte ihn, den Brief zu Daguenet zu bringen, wenn er wieder zurückginge. Dann stellte sie ihm Fragen.

      Oh, Herr Bordenave sei sehr zufrieden; der Vorverkauf finde schon für acht Tage statt, Madame könne sich nicht vorstellen, wie viele Leute seit heute morgen nach ihrer Adresse gefragt hätten.

      Als der Diener gegangen war, sagte Nana, sie würde höchstens eine halbe Stunde wegbleiben. Falls Besucher kämen, so solle Zoé sie warten lassen. Während sie sprach, läutete die elektrische Klingel. Es war ein Gläubiger, der Wagenvermieter; er hatte sich auf der Bank im Vorzimmer niedergelassen.

      Der konnte bis zum Abend Däumchen drehen; es hatte keine Eile.

      „Los, nur Mut!“ sagte Nana, schlaff vor Trägheit, gähnend und sich von neuem rekelnd. „Ich müßte längst da sein.“ Aber sie rührte sich überhaupt nicht. Sie folgte dem Spiel ihrer Tante, die gerade hundert mit Assen angesagt hatte. Das Kinn in die Hand gestützt, versank sie in Nachdenken. Sie fuhr jedoch auf, als sie es drei Uhr schlagen hörte. „Verdammt!“ stieß sie roh hervor.

      Jetzt ermutigte Frau Maloir, die die Asse zählte, sie mit ihrer weichen Stimme:

      „Meine Kleine, es wäre besser, Sie erledigten Ihren Gang jetzt gleich.“

      „Mach schnell“, sagte Frau Lerat, während sie die Karten mischte. „Ich werde den Zug um halb fünf nehmen, wenn du vor vier Uhr mit dem Geld hier bist.“

      „Ach, das wird nicht lange dauern“, murmelte sie.

      Zoé half ihr, in zehn Minuten ein Kleid überzustreifen und einen Hut aufzusetzen. Es war ihr einerlei, ob sie schlecht angezogen war. Als sie gerade hinuntergehen wollte, läutete die Klingel von neuem. Diesmal war es der Kohlenhändler. Na gut, er konnte dem Wagenvermieter Gesellschaft leisten; das würde sie zerstreuen, diese Leute.Da sie allerdings einen Auftritt befürchtete, ging sie durch die Küche und machte sich über die Dienstbotentreppe aus dem Staube. Sie benutzte sie oft; so ging sie allem aus dem Wege und brauchte dafür nur ihre Röcke zu raffen.

      „Wenn man eine gute Mutter ist, so ist das alles zu entschuldigen“, meinte Frau Maloir sentenziös, die mit Frau Lerat allein geblieben war.

      „Ich habe achtzig mit Königen“, antwortete diese, die das Spiel begeisterte.

      Und beide vertieften sich in eine endlose Partie.

      Der Tisch war nicht abgeräumt worden. Ein trüber Dunst, der Geruch des Mittagessens und der Rauch der Zigaretten, erfüllte den Raum. Die Damen hatten sich wieder daran gemacht, in Kognak getauchte Zuckerstückchen zu essen. Seit zwanzig Minuten spielten sie nun und schlürften dabei, als Zoé bei einem dritten Anschlagen der Klingel jäh eintrat und sie wie ihresgleichen anrempelte.

      „Hören Sie, es klingelt schon wieder . . . Sie können nicht hierbleiben. Wenn viele Leute kommen, brauche ich die ganze Wohnung . . . Also, los, los!“

      Frau Maloir wollte die Partie zu Ende spielen, doch da Zoé so ausgesehen hatte, als wolle sie sich auf die Karten stürzen, entschloß sie sich, das Spiel aufzunehmen, ohne etwas durcheinanderzubringen, während Frau Lerat die Flasche Kognak, die Gläser und den Zucker mitnahm. Und alle beide liefen in die Küche, wo sie sich an einem Tischende zwischen den Wischlappen, die dort trockneten, und dem Abwaschbecken, das noch voller Spülwasser war, niederließen.

      „Wir haben dreihundertvierzig angesagt . . . Sie sind dran.“

      „Ich spiele Herz.“

      Als Zoé zurückkam, fand sie sie von neuem vertieft.

      Nach einem Schweigen, als Frau Lerat gerade die Karten mischte, fragte Frau Maloir:

      „Wer ist es?“

      „Ach, niemand“, antwortete das Mädchen nachlässig, „ein kleiner junger Mann . . . Ich wollte ihn wegschicken, aber er ist so hübsch mit seinen blauen Augen und seinem Mädchengesicht ohne jedes Barthaar, daß ich ihm schließlich gesagt habe, er solle warten . . . Er hat einen riesigen Blumenstrauß in den Händen, den er auf keinen Fall weggeben wollte . . . Backpfeifen sollte man ihm eigentlich langen, eine Rotznase, die noch aufs Gymnasium gehört!“

      Frau Lerat holte eine Karaffe Wasser, um einen Grog zu machen; die Zuckerstücke mit Kognak hatten sie durstig gemacht. Zoé murmelte, sie könne ja immerhin auch einen trinken. Sie habe einen gallebitteren Geschmack im Munde, sagte sie.

      „Und verstaut haben Sie ihn . . .?“ fing Frau Maloir wieder an.

      „Na, im Hinterzimmer, in dem kleinen Raum, der nicht möbliert ist . . . Es ist gerade ein Koffer von Madame und ein Tisch drin. Da quartiere ich die Lümmel ein.“ Und sie süßte ihren Grog stark, als die elektrische Klingel sie auffahren ließ. Verdammt noch mal! Würde man sie denn nicht mal in Ruhe trinken lassen? Das konnte ja heiter werden, wenn das Gebimmel schon losging. Trotzdem lief sie öffnen. Dann sagte sie bei ihrer Rückkehr, als sie sah, daß Frau Maloir sie fragend anblickte: „Nichts weiter, ein Blumenstrauß.“

      Alle drei stärkten sich, indem sie sich mit einem Kopfnicken zuprosteten. Schlag auf Schlag klingelte es noch zweimal, während Zoé endlich den Tisch abräumte und die Teller einzeln in den Ausguß zurückbrachte. Aber das alles sei nichts Ernstes. Sie würde die Küche auf dem laufenden halten; zweimal wiederholte sie ihren herablassenden Satz: „Nichts weiter, ein Blumenstrauß.“

      Unterdessen lachten die Damen zwischen zwei Kartenstichen auf, als sie sie erzählen hörten, was für Gesichter die Gläubiger im Vorzimmer gemacht hätten, wenn die Blumen eintrafen. Madame würde ihre Blumensträuße auf ihrem Toilettentisch vorfinden. Schade, daß das so teuer war und daß man nicht einmal zehn Sous dafür kriegen konnte. Schließlich sei das allerhand herausgeschmissenes Geld.

      „Ich“, meinte Frau Maloir, „wäre mit dem zufrieden, was die Männer in Paris täglich an Blumen für die Frauen ausgeben.“

      „Das glaube ich gern, Sie stellen ja keine großen Ansprüche“, murmelte Frau Lerat. „Man hätte wenigstens das Geld für den Rachenputzer . . . Meine Liebe, sechzig mit Damen.“

      Es war zehn Minuten vor vier. Zoé wunderte sich, sie verstehe nicht, daß Madame so lange wegbleibe. Wenn sich Madame gezwungen sehe, nachmittags auszugehen, so beschleunige sie das gewöhnlich, und zwar nachdrücklichst.

      Frau Maloir jedoch erklärte, man erledige die Dinge nicht immer, wie man wolle.

      Allerdings, es gäbe Hindernisse im Leben, sagte Frau Lerat. Das beste sei,zu warten; falls sich ihre Nichte verspäte, dann wohl, weil ihre Besorgungen sie aufhielten, nicht wahr?

      Sonst machte man sich kaum Sorgen. In der Küche war es angenehm. Und da Frau Lerat kein Herz mehr hatte, warf sie Karo ab.

      Die Klingel fing von neuem an. Als Zoé wieder erschien, war sie ganz aufgeregt.

      „Kinder, der dicke Steiner!“ sagte sie noch in der Tür und senkte die Stimme. „Den habe ich im kleinen Salon verstaut.“

      Darauf sprach Frau Maloir mit Frau Lerat, die diese Herren nicht kannte, über den Bankier. War er etwa im Begriff,


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