Nana. Emile Zola
„Es ist der Mulatte! Umsonst habe ich ihm wiederholt, daß Madame ausgegangen ist; er hat sich im Schlafzimmer niedergelassen . . . Wir erwarteten ihn erst heute abend.“
Um Viertel fünf war Nana immer noch nicht da. Was konnte sie bloß machen? Das war ganz gegen jeden gesunden Menschenverstand. Es wurden zwei weitere Blumensträuße gebracht. Gelangweilt sah Zoé nach, ob noch Kaffee übrig war. Ja, die Damen könnten den Kaffee gern austrinken; das würde sie wieder munter machen. Auf ihren Stühlen zusammengesackt, waren sie am Einschlafen, wie sie ständig mit derselben Bewegung Karten vom Stamm aufnahmen. Es schlug halb. Bestimmt habe man Madame etwas angetan. Sie tuschelten untereinander.
Plötzlich vergaß sich Frau Maloir und verkündete mit schallender Stimme:
„Ich habe fünfhundert! — Quintmajor in Trumpf!“
„Seien Sie doch ruhig!“ sagte Zoé zornig. „Was sollen denn all diese Herren denken?“
Und in das herrschende Schweigen, in das unterdrückte Gemurmel der beiden alten, sich streitenden Frauen, drang das Geräusch schneller Schritte vom Dienstbotenaufgang nach oben. Es war endlich Nana. Bevor sie die Tür geöffnet hatte, hörte man ihr Keuchen. Hochrot kam sie mit brüsker Bewegung herein. Ihr Rock, dessen Aufschürzbänder gerissen sein mußten, wischte über die Stufen, und die Volants waren gerade in eine Pfütze, in irgend etwas Fauliges getaucht, das aus dem ersten Stock heruntergeflossen war, wo das Dienstmädchen ein richtiger Dreckfink war.
„Da bist du ja! So ein Glück!“ meinte Frau Lerat mit verkniffenen Lippen, immer noch verärgert über die Fünfhundert von Frau Maloir. „Du kannst dir was darauf einbilden, die Leute unnütz warten zu lassen!“ „Madame ist wirklich unvernünftig!“ fügte Zoé hinzu.
Nana, die schon mißmutig war, wurde durch diese Vorwürfe aufgebracht. So empfing man sie also nach dem Ärger, den sie gerade gehabt hatte!
„Ach was, laßt mich in Ruhe!“ schrie sie.
„Pst, Madame! Es ist Besuch da“, sagte das Mädchen.
Jetzt senkte die junge Frau die Stimme und stammelte, schwer atmend:
„Denkt ihr etwa, ich habe mich amüsiert? Das nahm ja gar kein Ende mehr. Ich hätte euch gern dabei sehen wollen . . . Ich kochte, ich hatte Lust, Maulschellen auszuteilen . . . Und keine Droschke für die Rückfahrt. Zum Glück ist es ganz in der Nähe. Trotzdem bin ich ganz schön gerannt.“ „Hast du das Geld?“ fragte die Tante.
„Hör mal! So eine Frage!“ antwortete Nana.
Sie hatte sich auf einen Stuhl an den Herd gesetzt, die Beine wund vom Laufen; und, ohne zu verschnaufen, zog sie einen Umschlag, in dem sich vier Hundertfrancsscheine befanden, aus ihrem Mieder. Die Scheine waren durch einen breiten Riß zu sehen, den sie mit rohem Finger hineingemacht hatte, um sich von dem Inhalt zu überzeugen. Die drei Frauen rings um sie blickten unverwandt auf den Umschlag aus grobem, zerknittertem und schmutzigem Papier zwischen ihren kleinen, behandschuhten Händen. Es war zu spät, Frau Lerat würde erst am folgenden Tage nach Rambouillet fahren. Nana ließ sich auf große Erklärungen ein.
„Madame, es sind Leute da, die warten“, sagte die Zofe mehrmals.
Aber sie ereiferte sich von neuem. Der Besuch könne warten. Nachher, wenn sie nicht mehr geschäftlich zu tun habe. Und als ihre Tante die Hand nach dem Geld ausstreckte, sagte sie:
„O nein, nicht alles. Dreihundert Francs für die Amme, fünfzig Francs für deine Reise und deine Auslagen, das macht dreihundertfünfzig . . . Ich behalte fünfzig Francs.“
Die große Schwierigkeit war, Kleingeld aufzutreiben. Es waren keine zehn Francs im Hause. Man wandte sich gar nicht erst an Frau Maloir, die mit unbeteiligter Miene zuhörte, weil sie stets nur die sechs Sous für den Omnibus bei sich hatte. Schließlich ging Zoé hinaus, wobei sie sagte, sie wolle in ihrem Koffer nachsehen, und brachte hundert Francs in Hundertsousstücken zurück. Man zählte sie auf einem Ende des Tisches. Frau Lerat brach sofort auf, nachdem sie versprochen hatte, Louiset am nächsten Tage mitzubringen.
„Sie sagen, es ist Besuch da?“ fuhr Nana fort, die immer noch saß und sich ausruhte.
„Ja, Madame, drei Personen.“ Und sie nannte den Bankier als ersten.
Nana zog einen Flunsch. Wenn dieser Steiner glaubte, sie ließe sich von ihm langweilen, weil er ihr gestern abend einen Blumenstrauß zugeworfen hatte . . .
„Übrigens reicht es mir“, erklärte sie. „Ich werde niemanden empfangen. Gehen Sie und sagen Sie, daß Sie mich nicht mehr erwarten.“
„Madame wird es sich überlegen, Madame wird Herrn Steiner empfangen“, flüsterte Zoé, ohne sich zu rühren, mit ernster Miene, ärgerlich, daß sie ihre Herrin im Begriff sah, noch eine Dummheit zu begehen. Dann sprach sie von dem Walachen, dem im Schlafzimmer allmählich die Zeit lang werden mußte. Da versteifte sich Nana wütend noch mehr. Niemand wolle sie sehen, niemand! Wer hatte ihr bloß einen Mann aufgehalst, der dermaßen an ihr klebte?
„Schmeißen Sie die alle raus! Ich werde eine Partie Bésigue mit Madame Maloir spielen. Das mache ich lieber.“
Die Klingel schnitt ihr das Wort ab. Das war der Gipfel. Schon wieder ein langweiliger Schwätzer! Sie verbot Zoé, öffnen zu gehen.
Diese war, ohne auf sie zu hören, aus der Küche gegangen. Als sie wieder erschien, überreichte sie zwei Karten und sagte mit gebieterischer Miene:
„Ich habegeantwortet,Madame würde empfangen . . . Diese Herren sind im Salon.“
Nana war wütend aufgestanden. Doch die Namen des Marquis de Chouard und des Grafen Muffat de Beuville auf den Karten besänftigten sie. Einen Augenblick blieb sie schweigend stehen.
„Wer ist es denn?“ fragte sie schließlich. „Kennen Sie die?“ „Ich kenne den Alten“, antwortete Zoé, den Mund auf diskrete Weise zusammenkneifend. Und als ihre Herrin sie weiterhin fragend anblickte, fügte sie lediglich hinzu: „Ich habe ihn irgendwo gesehen.“
Diese Bemerkung schien die junge Frau zu einem Entschluß zu bringen. Ungern verließ sie die Küche, diesen lauwarmen Zufluchtsort, wo man plaudern und sich dem Duft des Kaffees hingeben konnte, der auf einem Rest Glut warm gehalten wurde. Hinter sich ließ sie Frau Maloir zurück, die jetzt Karten legte. Ihren Hut hatte sie immer noch nicht abgenommen; nur die Bänder hatte sie, um es sich bequem zu machen, soeben aufgeknüpft und über ihre Schultern zurückgeworfen.
Im Ankleidezimmer, wo Zoé eifrig half, Nana einen Morgenrock überzustreifen, rächte sich diese über den Ärger, den man ihr bereitete, indem sie dumpfe Flüche gegen die Männer zerkaute.
Diese derben Wörter verdrossen die Zofe, denn zu ihrem Leidwesen sah sie, daß Madame den Schmutz ihrer ersten Anfänge nicht so schnell abstreifte. Sie wagte sogar,Madame inständig zu bitten, sich zu beruhigen.
„Ach was!“ entgegnete Nana grob. „Das sind Schweinekerle, die haben das gern.“ Dennoch setzte sie ihre Prinzessinnenmiene auf, wie sie sagte.
Zoé hatte sie zurückgehalten, als sie sich gerade nach dem Salon wandte; und ganz von selbst führte sie den Marquis de Chouard und Graf Muffat in das Ankleidezimmer herein. Das war viel besser.
„Meine Herren“, sagte die junge Frau mit einstudierter Höflichkeit, „es tut mir leid, daß ich Sie warten ließ.“ Die beiden Männer grüßten und setzten sich. Ein bestickter Tüllstore ließ Dämmerlicht im Zimmer herrschen. Es war der eleganteste Raum der Wohnung, mit hellem Stoff bespannt, einem großen, marmornen Toilettentisch, einem eingelegten Stehspiegel, einem Ruhebett und Sesseln aus blauem Atlas. Auf dem Toilettentisch bildeten die Sträuße — Rosen, Flieder und Hyazinthen—ein Blumendurcheinander von durchdringendem und starkem Wohlgeruch, während in der ein wenig feuchten Luft, in der Schalheit, die den Waschbecken entströmte, zeitweise ein schärferer Duft schwebte, ein paar Halme von trockenem Patschuli, die kleingebrochen auf dem Boden einer Schale lagen. Und wie sie sich zusammenkauerte und ihren schlechtgeschlossenen Morgenrock übereinanderschlug, schien Nana, die mit der noch feuchten Haut lächelnd inmitten