Nana. Emile Zola

Nana - Emile Zola


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mit goldenem Flitter durchsetzten Katzenaugen geworden waren. Man erstickte, das Haar lastete immer schwerer auf den schwitzenden Köpfen. Seit drei Stunden saß man da, der Atem hatte die Luft mit Menschengeruch erhitzt. Im Flackern des Gaslichts wurden die Staubschwaden, die unbeweglich unter dem Kronleuchter schwebten, immer dichter. Der ganze Zuschauerraum schwankte und taumelte matt und erregt in einem Rausch, von jenen schlummernden, mitternächtlichen Begierden ergriffen, die tief im Alkoven stammeln. Und diesem vor Wonne vergehenden Publikum, diesen fünfzehnhundert zusammengepferchten Menschen gegenüber, die in der Erschöpfung und der Nervenzerrüttung einer zu Ende gehenden Vorstellung ertrunken waren, blieb Nana siegreich mit ihrem marmornen Fleisch, ihrem Geschlecht, das stark genug war, alle diese Menschen zu vernichten und keine Schramme von ihnen abzubekommen.

      Das Stück ging zu Ende. Auf Vulkans Triumphgeschrei hin zog der ganze Olymp mit verblüfften und anzüglichen Ohund Ah-Rufen an den Liebenden vorüber. Jupiter sagte: „Mein Sohn, ich finde es leichtfertig von dir, uns herzurufen, damit wir uns das ansehen.“ Jetzt schlug die Stimmung zugunsten von Venus um. Der Hahnreichor, der aufs neue von Iris hereingeführt wurde, flehte den Göttervater an, seinem Ansuchen nicht weiter stattzugeben; seitdem die Frauen zu Hause blieben, werde das Leben für die Männer dort unerträglich; lieber wollten sie betrogen werden und zufrieden sein, was die Moral der Komödie war. Nun wurde Venus befreit. Vulkan erreichte eine Trennung von Tisch und Bett. Mars versöhnte sich mit Diana. Jupiter schickte seine kleine Wäscherin in ein Sternbild, um Frieden in seiner Ehe zu haben. Und schließlich wurde Amor aus seinem Karzer gezogen, wo er Männchen gemalt hatte, statt das Verb „lieben“ zu konjugieren. Der Vorhang fiel über einer Apotheose, bei der der Hahnreichor niedergekniet war und einen Hymnus der Dankbarkeit an Venus sang, die lächelnd und erhaben in ihrer souveränen Nacktheit dastand.

      Die Zuschauer waren schon aufgestanden und strebten den Türen zu. Man nannte die Namen der Autoren, und unter donnernden Bravorufen gab es zwei Hervorrufe. Rasend rollte der Ruf „Nana! Nana!“ Dann — der Zuschauerraum war noch nicht leer — wurde es dunkel; das Rampenlicht erlosch, der Kronleuchter wurde heruntergeschraubt, lange Überzüge aus grauem Leinen glitten aus den Proszeniumslogen und verhüllten die Vergoldungen der Ränge; und dieser so heiße, so lärmende Saal fiel mit einem Schlag in einen schweren Schlaf, während ein Geruch nach Moder und Staub aufstieg. Die Gräfin Muffat sah, hoch aufgerichtet an der Brüstung ihrer Loge, in Pelze eingemummt, in das Dunkel und wartete, bis sich die Menge verlaufen hatte.

      Auf den Gängen wurden die Logenschließerinnen angerempelt, die zwischen Haufen von heruntergerutschten Kleidungsstücken den Kopf verloren. Fauchery und La Faloise hatten sich beeilt, um am Ausgang zugegen zu sein. Das ganze Vestibül entlang standen Männer Spalier, während langsam zwei nicht enden wollende lange Reihen gleichmäßig und dichtgedrängt die Doppeltreppe herunterkamen. Steiner, den Mignon fortgezogen hatte, war unter den ersten davongegangen. Graf de Vandeuvres ging Arm in Arm mit Blanche de Sivry fort. Einen Augenblick lang schienen Gaga und ihre Tochter verlegen, aber Labordette suchte ihnen eilfertig einen Wagen, dessen Schlag er galant hinter ihnen schloß. Niemand sah Daguenet vorbeikommen. Als der Wildfang mit brennenden Wangen und entschlossen, vor dem Künstlereingang zu warten, in die Passage des Panoramas rannte, deren Gitter er verschlossen fand, kam Satin, die auf dem Bürgersteig stand, heran und streifte ihn mit ihren Röcken; aber verzweifelt wies er sie roh ab und verschwand dann mit Tränen der Begierde und der Ohnmacht in den Augen in der Menge. Zuschauer zündeten Zigarren an und trällerten beim Weggehen: „Wenn Venus abends bummeln geht . . .“ Satin war wieder vor das Café des Variétés zurückgegangen, wo Auguste sie die von den Gästen übriggelassenen Zuckerreste essen ließ. Ein dicker Mann, der äußerst aufgeräumt herauskam, nahm sie schließlich mit in das Dunkel des allmählich eingeschlafenen Boulevards.

      Doch immer noch kamen Leute herunter. La Faloise wartete auf Clarisse. Fauchery hatte versprochen, Lucy Stewart mit Caroline Héquet und ihrer Mutter abzuholen. Sie kamen an und nahmen sehr laut lachend eine ganze Ecke des Vestibüls ein, als die Muffats mit eisiger Miene vorübergingen. Bordenave hatte gerade eine kleine Tür aufgestoßen und erhielt von Fauchery die ausdrückliche Zusage für einen Artikel. Er war schweißgebadet, sein Gesicht gerötet wie von jäher Sonne, gleichsam berauscht von dem Erfolg.

      „Das reicht für zweihundert Vorstellungen“, sagte La Faloise verbindlich zu ihm. „Ganz Paris wird in Ihrem Theater vorbeiziehen.“

      Doch Bordenave wurde ärgerlich und deutete mit einer jähen Bewegung des Kinns auf das Publikum, das das Vestibül füllte, dieses Gewühl von Männern mit trocknen Lippen, glühenden Augen, noch ganz brennend vom Besitz Nanas, und schrie ungestüm:

      „Sag doch: in meinem Puff, verdammter Dickkopf!“

      KAPITEL II

      Am nächsten Morgen schlief Nana um zehn Uhr noch. Sie bewohnte am Boulevard Haussmann den zweiten Stock eines großen neuen Hauses, dessen Eigentümer an alleinstehende Damen vermietete, damit sie es trockenwohnten. Ein reicher Kaufmann aus Moskau, der nach Paris gekommen war, um hier einen Winter zu verbringen, hatte sie dort eingerichtet und ein halbes Jahr im voraus bezahlt. Die für sie viel zu geräumige Wohnung war niemals vollständig möbliert worden, und schreiender Luxus, vergoldete Konsolen und Stühle stießen darin an Trödelkram, runde, einfüßige Mahagonitische und Zinkkandelaber, die wie florentinische Bronze aussahen. Das roch nach einer Dirne, die zu früh von ihrem ersten wirklichen Herrn sitzengelassen worden und an zweifelhafte Liebhaber geraten war, ganz nach einem schwierigen Anfang, nach einem verunglückten Start, der von Kreditverweigerungen und Exmittierungsdrohungen gehemmt worden war.

      Nana schlief auf dem Bauch, wobei sie ihr Kopfkissen, in das sie ihr vom Schlaf ganz blankes Gesicht vergrub, in ihre nackten Arme preßte. Das Schlafzimmer und das Ankleidezimmer waren die beiden einzigen Räume, die ein Möbelhändler aus dem Viertel sorgfältig eingerichtet hatte. Ein Lichtschimmer glitt unter einem Vorhang hervor; man konnte das Mobiliar aus Palisanderholz, die Tapetenbehänge und die Sessel aus durchwirktem Damast mit großen blauen Blumen auf grauem Grund unterscheiden. Aber in der matten Feuchtigkeit dieses verschlafenen Zimmers fuhr Nana plötzlich aus dem Schlaf auf, wie überrascht, neben sich eine Leere zu fühlen. Sie sah das zweite Kopfkissen an, das sich neben ihrem mit der noch lauen Einbuchtung eines Kopfes inmitten der Gipürestickereien ausbreitete. Und mit ihrer tastenden Hand drückte sie auf den Knopf einer elektrischen Klingel am Kopfende ihres Bettes.

      „Er ist also gegangen?“ fragte sie die Zofe, die erschien.

      „Ja, Madame, Herr Paul ist vor kaum zehn Minuten fortgegangen . . . Da Madame müde war, hat er sie nicht aufwecken wollen. Aber er hat mich beauftragt, Madame zu sagen, er käme morgen.“

      Noch beim Sprechen öffnete Zoé. die Zofe, die Fensterläden. Das helle Tageslicht fiel herein. Zoé, die dunkelbraun war und deren Haar in kleinen, glatten Streifen herabfiel, hatte ein längliches, fahles und pockennarbiges Gesicht wie eine Hundeschnauze mit einer stumpfen Nase, dicken Lippen und schwarzen Augen, die unaufhörlich in Bewegung waren. „Morgen, morgen“, wiederholte Nana, noch nicht ganz munter, „ist das denn der Tag, morgen?“

      „Ja, Madame, Herr Paul ist immer mittwochs gekommen.“ „Ach nein, da fällt mir ein!“ rief die junge Frau aus und setzte sich auf. „Es hat sich alles geändert. Ich wollte ihm das heute morgen sagen . . . Er würde auf den Mulatten stoßen. Das gäbe eine schöne Geschichte!“

      „Madame hat mich nicht unterrichtet; das konnte ich nicht wissen“, murmelte Zoé. „Wenn Madame ihre Tage ändert, so würde sie gut daran tun, mich zu benachrichtigen, damit ich Bescheid weiß . . . Dann ist der alte Knauser nicht mehr dienstags dran?“

      So — mit den Namen „alter Knauser“ und „Mulatte“ — bezeichneten sie unter sich, ohne zu lachen, die beiden Männer, die bezahlten, einen Großkaufmann aus dem Faubourg Saint-Denis von sparsamer Veranlagung, und einen Walachen, einen angeblichen Grafen, dessen Geld, das immer sehr unregelmäßig eintraf, einen sonderbaren Geruch hatte. Daguenet hatte sich die Tage nach dem alten Knauser geben lassen. Da der Großkaufmann schon um acht Uhr morgens zu Hause sein mußte, paßte der junge Mann von Zoés Küche aus sein Weggehen ab und nahm seinen noch ganz warmen Platz bis zehn Uhr ein; dann ging er selbst seinen Geschäften nach. Nana


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