Bürgermeister - was sie antreibt, wer sie umtreibt. Denise Peikert

Bürgermeister - was sie antreibt, wer sie umtreibt - Denise Peikert


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Ebert ist seit 2014 Bürgermeister in Löcknitz. Vor seiner Wiederwahl 2019 hat er sich sein Programm vom ersten Wahlkampf noch einmal angesehen und sich gedacht: „Eigentlich war das ein Todesurteil.“ Denn Ebert hatte sich für seine erste Amtszeit viel vorgenommen: Die Feuerwehr sollte ein neues Gebäude bekommen, eine neue Grundschule sollte entstehen, eine Regionalschule. „Und das als kleine Gemeinde, da haben die Leute gesagt, du bist ja nicht ganz dicht“, erzählt Ebert. Aber die Feuerwehr und die Grundschule, das hat Ebert wirklich geschafft in seiner ersten Amtszeit. „Vier Millionen Euro hat die Schule gekostet, so viel Geld auf einmal hatte in der Verwaltungsgemeinschaft, zu der Löcknitz gehört, noch keiner bewegt“, sagt Ebert. An der Regionalschule auf dem neuen Schulcampus wird noch gebaut. Der soll 2022 fertig sein, „aber ich sag mal“, sagt Ebert, „wenn der erste Spatenstich gemacht ist, dann ist die Arbeit als Bürgermeister eigentlich getan. Klar, die Einweihung noch, aber dann hast du das Geld besorgt, das Baurecht geschaffen, Baugenehmigung – das ist uns gut geglückt, da sind wir eigentlich stolz drauf.“ „Wir“, sagt er, und „eigentlich“. Dabei ist es natürlich nur er, der in die Landeshauptstadt nach Schwerin fährt, um dort um Geld für ein neues Feuerwehrgebäude zu bitten. Es ist eigentlich nur er, der sagt, dass es vieles gebe, „was du auch mal so schnell klären musst, was du nicht so auf die lange Bank schieben kannst, bis du wieder deine zwei Stunden Sprechstunde hast in der Woche.“ Es ist er, der 20 Stunden in der Woche für die Bürgermeisterei aufwendet und sagt, dass das natürlich eigentlich kein Ehrenamt mehr sei und er ja schon gar nicht jeden Termin wahrnehme, den er gerne wahrnehmen würde. Er erledigt die Dinge dann eben abends oder unterbricht seinen Brotjob, um die Brotjob-Dinge dann noch abends zu erledigen. Und es ist natürlich auch er, Ebert, zu dem sein acht Jahre alter Sohn manchmal sagt: „Papa, ich wähl dich nicht, dann bis du öfter da.“

      Für sein Bürgermeistersein hat Ebert lange 1.250 Euro Aufwandsentschädigung im Monat bekommen, seit Ende 2019 sind es 1.800. Mit allen Abzügen bleibt davon vielleicht die Hälfte übrig. Reicht das?

      Im Juni 2019 hat das Land Mecklenburg-Vorpommern neue Grenzen für die Entschädigungen in der Kommunalpolitik festgelegt. Im Vergleich zur Zeit davor können Bürgermeister wie Detlef Ebert nun teilweise fast 50 Prozent mehr Gehalt bekommen. Einer, der dafür lange gekämpft hat, ist Klaus-Michael Glaser vom Städte- und Gemeindetag in Mecklenburg-Vorpommern. Er erlebt, wie manche Orte ewig suchen und diskutieren müssen, bis sich überhaupt jemand für das Bürgermeisteramt zur Verfügung stellt. Er erlebt, wie gerade im Osten lange Jahre Frührentner oder Arbeitslose den Bürgermeister-Job gemacht haben, Menschen also, die nach der Wende ihre Arbeit verloren hatten. So konnten sie so viel Zeit in das Bürgermeister-Amt stecken, dass ihre Leistung potenzielle Nachfolger nun abschreckt. „Aber die Generation, die sich aufopfert für die Gemeinde, die gibt es eben nicht mehr oder nicht mehr lange“, sagt Glaser. Die Aufopferung, findet er, die müsse so auch gar nicht sein. „Wir kämpfen dafür, die Leute mit guten Stellvertretern zu unterstützen und so zu ermutigen, sich zu engagieren – und im Zweifel auch mal nein zu sagen und sich nicht alles aufzuhalsen.“

      Das Problem wäre wohl keins oder jedenfalls ein kleineres, gebe es mehr hauptamtliche Bürgermeisterinnen. In Mecklenburg-Vorpommern können Gemeinden mit einer eigenen Verwaltung einen hauptamtlichen Bürgermeister stellen. Löcknitz hat keine eigene Verwaltung, aber Löcknitz ist mit mehr als 3.000 Einwohnerinnen dennoch größer als viele Orte in Deutschland, die ganz selbstverständlich einen hauptamtlichen Bürgermeister beschäftigen. In Baden-Württemberg ist das schon in Orten mit mehr als 2.000 Einwohnern erlaubt und üblich. Klaus-Michael Glaser hat vor Jahren mal in einer Entschädigungskommission gesessen, in der man auch für Mecklenburg-Vorpommern befand: Ab 3.000 Einwohnern sollte es eigentlich ein Hauptamtlicher machen, auch, wenn es keine eigene Verwaltung gibt. „Denn ab der Größe erwarten die Bürger, dass der Bürgermeister zu Terminen kommt, auch tagsüber, und nicht irgendein Verwaltungsmitarbeiter“, sagt Glaser. Für ihn ist Löcknitz ein klarer Fall dafür, dass ein Bürgermeister im Ehrenamt eigentlich nicht ausreicht. „Aber die Regelung“, sagt Glaser, „ist halt nicht gekommen.“

      In einem Nachbarort von Löcknitz wurde die Aufwandsentschädigung für den Bürgermeister kürzlich ebenfalls erhöht, von 700 auf 1000 Euro. Eine Frechheit sei das, fanden manche Gemeindevertreterinnen. Davon, dass der Bürgermeister „kassiere“, war die Rede. Dabei, sagt Ebert, stünden die Bürgermeister ja nicht unbedingt Schlange, auch in kleineren Orten als Löcknitz nicht. Fragt man ihn, warum er eigentlich einst Bürgermeister geworden ist, findet er, dass das eine gute Frage sei. Im August 1989 ist Ebert in die CDU eingetreten. Damals war noch nicht einmal die Mauer gefallen, aber Ebert spekulierte darauf, dass sich irgendwas schon tun würde – und widerstand den Bitten, doch noch für den DDR-Kreistag zu kandidieren. „Da hab‘ ich gesagt, da geh‘ ich nicht rein, da ist ja alles vorgefertigt, da hat man ja gar keine Gestaltungsmöglichkeiten.“ Mit den ersten freien Kommunalwahlen 1990 ließ er sich dann aufstellen und ist seitdem ununterbrochen in der Kommunalpolitik. Man kann das kaum anders erklären als mit dem unscharfen, aber eben hier wirklich zutreffenden Wort von der Leidenschaft. Ebert macht Politik aus Leidenschaft. Zweimal schon war er vor seiner Bürgermeister-Zeit stellvertretender Bürgermeister. Er habe also, sagt er, gewusst worauf er sich einlasse, „und wenn man was bewegen kann, dann ist das doch schön.“

       Henriette Reker, Köln

       Die Eskalation ganz normaler Leute

      Am Tag vor ihrer Wahl zur Kölner Oberbürgermeisterin überlebte Henriette Reker einen Messerangriff. Wenn jetzt Kollegen bei ihr anrufen und wegen Morddrohungen um Rat fragen, dann sagt sie: Ich bin da nicht die Richtige.

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      Henriette Reker tut so, als wisse sie nicht, wo der Schlüssel ist, aber jeder im Saal kann sehen, wie sie ihn hinter ihrem Rücken verborgen hält. Denn der Schlüssel ist ein besonderes Exemplar, aus Pappe und so lang wie ein Kleinkind groß ist. Die Szene spielt sich ab auf der Bühne in der zum Saal umbestuhlten Mensa der Carl-von-Ossietzky-Gesamtschule in Köln, die heute, endlich, mit jahrelanger Verspätung, eröffnet wird, und ist als Sketch angekündigt worden. „Wo ist der Schlüssel?“ heißt die Aufführung und besteht schlicht daraus, dass die Schulleiterin auf der Bühne nach dem Schlüssel sucht und Reker, die Oberbürgermeisterin der Stadt Köln, so tut, als hätte sie keinen Schimmer.

      Es kann sein, dass einem das vor allem deswegen auffällt, weil natürlich jeder weiß, dass Henriette Reker vor ihrer Wahl zur Kölner Oberbürgermeisterin einen Messerangriff nur knapp überlebt hat, aber es ist tatsächlich nicht zu übersehen: Reker ist eine besonders offene, besonders zugewandte Frau. Sie ist sich nicht zu fein für den Schlüsselspaß, obwohl sie ihren Job als Stadtoberhaupt an diesem Samstagvormittag eigentlich auch mit ihrem Grußwort, einem frei und emotional gehaltenen, als getan betrachten könnte. Als der Festakt vorbei ist, lässt sich Reker ein gelbes Mottoshirt um die Schultern hängen, herzt Umstehende, ist lange im Gespräch. Sie ist in etwa so, wie man sich eine Oberbürgermeisterin in der Stadt Köln, wo den Menschen Offenheit und Herzlichkeit nachgesagt werden, vorstellen würde. Aber auch genau so, wie man es sich bei dieser Kölner Oberbürgermeisterin eben doch nicht vorgestellt hätte. Nicht, wenn man die Vorgeschichte kennt und nicht, wenn man Köln in den ersten Wochen des Jahres 2020 besucht.

      Drei Tage ist es an diesem Kölner Samstag erst her, dass Unbekannte auf das Bürgerbüro des Bundestagsabgeordneten Karamba Diaby in Halle geschossen haben. Gut eine Woche ist es her, dass die Nachricht die Runde machte, der Bürgermeister von Kamp-Lintfort, eine Autostunde von Köln entfernt, wolle zu seinem Schutz im Dienst eine Waffe tragen. Zwei Monate ist es her, dass die jahrelang angefeindete Bürgermeisterin in Arnsdorf in Sachsen zurückgetreten ist. Und ein gutes halbes Jahr ist es her, dass der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke auf seiner Terrasse erschossen worden ist.

      Ist das also die Bestandsaufnahme viereinhalb Jahre nach dem Messerangriff auf Henriette Reker, der eine Welle des Schocks und der Solidarität mit der Politikerin über das Land, bis nach Großbritannien und in die USA gejagt hatte? Ist es wirklich so, wie es sich anfühlt, dass die Bedrohungslage


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