Bürgermeister - was sie antreibt, wer sie umtreibt. Denise Peikert
landesweiten Aufschrei. Anfang des Jahres ist etwa Arnd Focke, ehrenamtlicher Bürgermeister in Estorf in Niedersachsen, von seinem Amt zurückgetreten. Er hatte sich schon öfter kritisch zur AfD geäußert. Die auf sein Auto geschmierten Hakenkreuze, der nächtliche Telefonterror, die Zettel mit Morddrohungen im Briefkasten, all das begann aber erst, als im Dezember in Estorf die Grundsteuer erhöht worden war.
Anders als die Geschichte von Arnd Focke hat es die von Christoph Landscheidt in die Medien geschafft, oft und groß sogar, weil sie, jedenfalls bislang, einmalig ist. Der Bürgermeister von Kamp-Lintfort hatte nach vielen Drohungen einen Antrag gestellt, im Dienst eine Waffe tragen zu dürfen. Landscheidt war, und das zeigt, wie wenig der Hass Einiger mit der meist stillen Haltung Vieler zu tun hat, bei seiner letzten Wahl mit mehr als 87 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt worden.
Die Politik und der Staat sind gewillt, das Problem anzugehen, jedenfalls und zuvorderst mit der Kraft der Worte und der Repräsentanz. Im Sommer 2019 waren 15 Bürgermeister bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eingeladen, um über Bedrohungen, Hetze und Gewalt zu sprechen. Immer wieder fährt Steinmeier in Orte, in denen Bürgermeisterinnen sich Anfeindungen erwehren müssen. Ende vergangenen Jahres hat das Innenministerium in Berlin ein umfassendes Gesetzespaket zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität auf den Weg gebracht, für das es inzwischen einen Entwurf der Regierung gibt. Unter anderem soll der Paragraf 188 des Strafgesetzbuches erweitert werden. Dieser bietet Bundes- und Landespolitikerinnenn besonderen Schutz gegen üble Nachrede und Verleumdung – und soll jetzt auf alle Mandatsträger, auch im Kommunalen, ausgeweitet werden.
Während die Politik also zumindest versucht, die Probleme per Ermahnung, Präsenz und Gesetz zu lösen, setzen die Polizisten vor Ort eher darauf, dass sich die Amtsträger selbst schützen. Das LKA Rheinland-Pfalz rät ihnen offiziell, keine Spaziergänge an abgelegenen Orten zu machen, den Terminkalender so zu verwalten, dass Dritte keinen Zugang haben, das Bremssystem und die Radmuttern des Autos regelmäßig zu überprüfen.
Solche Tipps der Polizei sind beinahe ebenso gruselig wie der Hass selbst, der zu den Ratschlägen führt. Beides zusammen drängt die Frage auf: Was treibt bedrohte Kommunalpolitiker an in ihrer Arbeit, was macht ihnen Freude, was ist es, das all den Hass und die Hetze aufwiegen kann?
Im Herbst 2020 sind Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen, und in dem Bundesland bedeutet das, dass auch die Bürgermeister in jeder Stadt neu gewählt werden. In Köln wird Henriette Reker wieder antreten. „Ich bin noch nicht da, wo ich gerne wäre“, sagt sie. Sie habe Oberbürgermeisterin werden wollen, weil ihr in ihrer Arbeit als Sozialdezernentin aufgefallen sei, wie schlecht die Verwaltung in Köln für die Zukunft aufgestellt ist. „Köln ist meine Heimatstadt und deswegen wollte ich noch mehr gestalten als diesen sozialen Bereich“, sagt Reker. Sie gilt als detailversessen, manche empfinden das als unangenehm. Reker beschreibt ihre Arbeitsweise so: Sie will gut drinstecken in den Themen, nicht nur Impulse geben, sondern selbst auch mal eine Vorlage für den Stadtrat schreiben, was für die Oberbürgermeisterin einer Stadt von der Größe Kölns durchaus bemerkenswert ist. In ihrer ersten Amtszeit hat Reker in Köln eine Verwaltungsreform angestoßen. Inzwischen, erzählt die Oberbürgermeisterin, ist der Haushalt der Stadt von Anfang des Jahres an gültig – während er früher immer erst im Herbst des Jahres, für das er gelten sollte, überhaupt beschlossen worden war. Bauanträge, das geht aus den Berichten der Stadt Köln zum Stand der Reform hervor, werden heute deutlich schneller bearbeitet als früher, es soll noch schneller werden. Reker findet, dass gerade für solche großen Veränderungsprozesse schon viel erreicht worden sei. Aber es dauere eben noch, sagt Reker, manchen Bürger dauere es sogar zu lange. Sie selbst, Reker, könne das verstehen. Auch deswegen, sagt sie, will sie weiter machen.
Reker tut das, was fast alle Bürgermeister tun, wenn man sie fragt, warum sie eigentlich ihren Job machen. Sie schwärmt davon, wie gut es sich anfühlt, mitzugestalten, Dinge voranzubringen. Sie betont die Verbindung zur Heimat, das Verantwortungsgefühl für die Gesellschaft. Und bei all dem werden ihre Sätze länger, ihre Ausführungen detaillierter – sie fühlt sich wohler, über das zu sprechen, was in Köln besser werden soll, als über das, was es für sie bedeutet, wenn wie nach dem Mord an Walter Lübcke frische Drohungen bei ihr im Postfach liegen. „Ich glaube, ohne den Angriff auf mich wäre ich da viel empfindlicher“, sagt Reker. „Aber ich weiß jetzt, was wirklich schlimm ist. Und das ist nicht schlimm. Das ist unschön und das ist lästig und ich ärgere mich auch manchmal, aber sehr angemessen. Ohne das, was passiert ist, wäre ich da viel emotionaler. Ich habe dadurch ein Stück Gelassenheit bekommen.“
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