Hasi. Christoph Straßer

Hasi - Christoph Straßer


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zu bringen. Kurz und schmerzlos.

      »Ist denn alles so weit vorbereitet?«, fragte Hans schließlich in die Stille. »Ich will nicht, dass diese Sache länger dauert als unbedingt nötig.«

      »Verständlich«, grinste Dustin. »Aber ich hab vorhin mit einem meiner Leute gesprochen, es ist alles parat. Man wartet nur auf uns.«

      Hans nickte.

      »Gut. Und eine Sache noch: Wenn das hier vorbei ist, dann gibt es keinen Grund mehr, dass wir beide uns je wiedersehen.«

      Dustin lachte kurz auf.

      »Soll mir recht sein.«

      Er blinzelte kurz in die Sonne und startete den Wagen. Auch wenn der morgendliche Berufsverkehr bereits nachgelassen hatte, mussten die beiden los, wenn sie ihr Ziel noch rechtzeitig erreichen wollten.

      »Aber eine Frage hätte ich noch«, sagte Dustin, ohne Hans anzusehen. »Aus reiner Neugier: Wird das eine Lebendbestattung oder knippst du dem armen Teufel vorher wenigstens noch die Lichter aus.«

      Hans sah seinen Begleiter ebenfalls nicht an.

      »Nein, der geht lebendig unter die Erde. Dann kann er noch ein bisschen über seine Tat nachdenken.«

      »Harter Hund«, lachte Dustin und gab Gas.

      Dienstag, 07. Oktober

      Mir tat schon wieder der Arsch weh.

      Ich stand von dem hölzernen Hocker auf, dem man noch nicht einmal die kleinste Polsterung gegönnt hatte, und streckte mich. Anschließend warf ich wieder einmal einen Blick auf die Uhr: noch eine halbe Stunde bis Mitternacht, also noch eine halbe Stunde bis zum Feierabend.

      Ich ging einen Schritt rückwärts, lehnte mich an dem riesigen Schrank an und beobachtete die Bildschirme vor mir. Zwei große Farbmonitore befanden sich auf der Theke, einer für die Kasse, der andere gehörte zu den beiden Kameras, die den Verkaufsraum überwachten. Auf dem Boden standen drei klobige Schwarzweiß-Monitore, die dazu dienten, den Bereich mit den Videokabinen zu überwachen. Eigentlich hatte man auch diese Dinger eleganter platzieren wollen, was aber aus irgendwelchen Gründen nicht funktionierte. Deswegen standen sie nun auf dem Fußboden. Rein provisorisch.

      Seit drei Jahren. Der Schrank, an dem ich noch angelehnt auf die flackernden Ungetüme starrte, stammte noch aus den besseren Zeiten dieses heruntergekommenen Sexshops. Zehn riesige Schubladen beherbergten einst Unmengen von Porno-DVDs, die man hier hatte ausleihen können. Das war allerdings schon einige Jahre her und die Zeiten, in denen die Leute es in Kauf nehmen mussten, ihr Haus zu verlassen, um sich mit Pornos einzudecken, waren lange vorbei. Überhaupt atmete die ganze Bruchbude den Geist der 90er Jahre, wenn man davon absah, dass sich mit mir noch ein lebendiges Wesen darin befand. Aber auch ich selbst fühlte mich mit jedem weiteren Tag hier wie ein Relikt.

      Auf einem der Monitore zu meinen Füßen sah ich, wie ein abgehalfterter, junger Typ in einer der Videokabinen verschwand. Schön, dann befanden sich jetzt zwei lebende Wesen in diesem Wrack, das nur noch vage an die goldenen Zeiten erinnerte, in denen Sex ein lukratives, wenn auch schlüpfriges Geschäft gewesen war. Inzwischen war Sex, zumindest aus kaufmännischer Sicht, ein von zu vielen Bauern beackertes Feld. Und da man sich das Zubehör für jeden noch so abgedrehten Fetisch inzwischen online bestellen konnte, gehörten Läden wie diese bald ganz einfach der Vergangenheit an. Im Grunde taten sie es bereits jetzt schon und wurden nur noch künstlich am Leben gehalten von alten Leuten, die zu blöd fürs Internet, aber trotzdem noch geil waren. Und natürlich von der Sorte Männern, die sich in der Mittagspause oder nach Feierabend schnell in einer der Kabinen einen runterholen wollten, weil es ihr Frauchen zu Hause nicht gernhatte, wenn sie auf der Couch Pornos guckten und dabei an sich herumspielten. Oder weil sie zu der Sorte Männer gehörten, die sowieso immer und überall wichsten.

      Ohne diese Typen, die sich nicht einmal davor ekelten, sich in die Glückslache ihrer Vorgänger zu setzen, gäbe es Läden wie diesen längst nicht mehr. Natürlich verkauften wir auch gelegentlich noch Sexspielzeug und Blu-rays, aber das kam ausgesprochen selten vor.

      Ich drehte mich zu der Stereoanlage herum, die auf dem Schrank thronte, und riss den USB-Stick heraus. Auf diesem hatte mein dümmlicher Arbeitskollege zu Hause eine Sammlung von in seinen Augen guter Musik gespeichert, die man hier während der Schichten laufenlassen konnte, ohne damit Leute zu verschrecken. Leider hatte mein Kollege den Musikgeschmack eines schwachsinnigen Kindes, sodass man außer dem klassischen 1Live-Programm - Musik von gehirnamputierten Halbwüchsigen für gehirnamputierte Halbwüchsige - nicht viel zu hören bekam. Der letzte Titel, der im Grunde nur aus Elektrogedudel und einem gelegentlichen »Oh Baby« bestand, hatte das Fass für heute zum Überlaufen gebracht. Ich warf den Stick in den Papierkorb und schaltete die kleine Kompaktanlage schließlich ab. Im Laden befand sich niemand, weswegen nichts dagegensprach, vor der Tür ein wenig frische Luft zu schnappen.

      Ich ging um die Theke herum durch den Verkaufsraum und gelangte schließlich in den schmalen Flur, der zum Ausgang führte. Parallel dazu verlief der Gang mit den Videokabinen. Auf jeder Seite befanden sich vier dieser Dinger, in die man Geld einwerfen konnte, um sich dann einen Porno seiner Wahl anzusehen.

      Die Auswahl war riesig, weswegen die ersten vier Euro meist schon für die Filmsuche draufgingen. Der Gang war natürlich aus Diskretionsgründen eher düster gehalten, wenn man von den knallroten Neonröhren absah, die in den Winkeln zwischen Wand und Decke angebracht worden waren. Wahrscheinlich sollte das Rotlicht den Gang erotisch wirken lassen, aber tatsächlich sah er nun pausenlos aus wie ein U-Boot im Alarmzustand.

      Aber das störte niemanden, immerhin bekam man davon nichts mit, wenn man die Tür der Kabine zugezogen hatte und mit sich und seiner Geilheit allein war. Ich erreichte das Ende des Korridors und stieg die zwei Stufen hinauf zum Bürgersteig. Draußen umwehte mich kühle Abendluft, und ich lehnte mich an die Hausfassade.

      Was zum Teufel machte ich hier eigentlich? Wieso hing ich überhaupt bis mitten in der Nacht in so einem verwanzten Drecksladen herum?

      Vielleicht meinte es das Schicksal einfach nicht gut mit mir. Vielleicht liebte mich Gott einfach nicht … oder vielleicht war ich in einem früheren Leben Josef Stalin gewesen. Es musste doch einen Grund dafür geben, mich mit einer solch trostlosen, endlos öden Perspektivlosigkeit zu strafen, die noch nicht einmal gut bezahlt wurde.

      Ein Mann huschte an mir vorbei in den Laden. Ich sah ihm nach und stellte fest, dass er nicht zu den Kabinen ging, sondern direkt auf den Verkaufsraum zusteuerte. Nicht einmal fünf Minuten frische Luft waren mir vergönnt. Ich folgte ihm, und als ich den Shop betrat, stand der Typ schon vor der Theke und grinste breit.

      Ich ging um den Tresen herum und sah den Mann an. Seine Gesichtshaut war widerlich gegerbt und hatte eine unnatürlich rotbraune Farbe angenommen.

      Wahrscheinlich übernachtete dieser Vogel auf der Sonnenbank.

      Seine Glatze und die gebleichten Zähne rundeten das Bild ab.

      »Hallöchen«, begrüßte er mich und deutete eine Art Winken an.

      Das hatte ich mir gedacht: eine Schwuchtel.

      »Ja?«, gähnte ich und setzte mich auf meinen Hocker.

      »Ähm, ja. Bist du Hasi?«

      Ich sprang augenblicklich wieder auf.

      »Hast du Pisseule mich tatsächlich gerade Hasi genannt?«

      Der Mann wich einen Schritt zurück, und augenblicklich schoss ihm das Blut in den Kopf. Hierbei verfärbte sich sein Gesicht jedoch nicht gleichmäßig rot, sondern bekam nur hier und dort rötliche Flecken, sodass er mehr wie eine Art Alien als wie ein Mensch aussah.

      »Ich … Ich … sollte hier nach einem Hasi fragen, wenn ich was kaufen will«, stotterte der Typ.

      »Aha. Was denn kaufen?«

      »Na ja, vielleicht ein bisschen was für die Nase. Wenn du verstehst …«

      »Für die Nase? Nasenspray oder was? Sieht das hier aus wie eine Apotheke?«


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