Hasi. Christoph Straßer
nicht für Rauschgift ausgeben«, sagte ich in ermahnendem Ton.
Die Hure blickte mich mit eiskaltem Blick an und spuckte noch einmal aus. Dann drehte sie sich demonstrativ herum und verschwand mit wenigen Schritten in der Nacht. Ich zog mich wieder an und schloss die Beifahrertür, bevor ich hinter dem Steuer Platz nahm. Mein Blick fiel auf die kleinen, rot aufflackernden Lichter in manchen der Autos um mich herum. Die Zigarette danach oder davor. Vielleicht auch dabei. Wahrscheinlich würden sich auch die anderen Jungs, die gleich nach Hause fuhren, kein Stück besser fühlen als vor ihrem kleinen Ausflug hierher. Genau so wenig wie ich. Mein Leben war irgendwie sehr eintönig.
Ich startete den Wagen und fuhr los.
Mittwoch, 08. Oktober
Nach einem traumlosen Schlaf erwachte ich irgendwann gegen Vormittag auf meiner Couch. Ich hatte mir gestern, oder besser gesagt heute Nacht, einfach die Stiefel von den Füßen gezogen, mich auf das Sofa gelegt und im Fernsehen irgendeinen Müllfilm angesehen, vor dem ich dann nach wenigen Minuten bereits eingeschlafen war.
Ich richtete mich auf und streckte mich ausgiebig, wobei mir auffiel, dass ich leichte Kopfschmerzen hatte. Überhaupt fühlte ich mich unausgeruht und verkatert, als hätte ich die ganze Nacht gezecht, dabei hatte ich nicht einen Tropfen Alkohol getrunken. Aus der Küche holte ich mir einen Kaffee, griff mir mein Handy und las desinteressiert die Nachrichten. Während ich geschlafen hatte, waren rund um die Welt Menschen belogen, betrogen, verprügelt, vergewaltigt und ermordet worden. Dazu Naturkatastrophen, Korruption, Börse, Wetter, Sport. Alles wie immer. Ich legte das Gerät aus der Hand und sah mich im Raum um, den ich zwar als Wohnzimmer bezeichnete, ihn aber mehr als Multifunktionsraum nutzte. Ich lebte hier, ich schlief hier, ich aß hier.
Die Küche diente nur dem Zweck, Besteck und Geschirr zu beherbergen und sich an sporadischen Besuchen meinerseits zu erfreuen.
Dem Schlafzimmer erging es ähnlich. Dort befanden sich zwar ein Bett und ein Kleiderschrank, aber beide Möbel nutzte ich nur sehr selten. Dementsprechend sah mein Wohnzimmer auch aus. Überall verteilt lagen Kleidungsstücke und irgendwelcher Krempel herum, den ich abgestellt und anschließend vergessen hatte.
Man konnte sagen, dass die Wohnung meine Persönlichkeit recht gut repräsentierte: charmant, ein bisschen chaotisch, aber mit jeder Menge ungenutztem Potential.
Im Laden musste ich erst in etwa zwei Stunden sein, also hatte ich noch Zeit für ein Frühstück. Ich leerte meine Tasse und ging in die Diele, um mir die Schuhe anzuziehen. Anschließend verließ ich die Wohnung und ging im Treppenhaus zu Fuß die beiden Etagen abwärts bis ins Erdgeschoss.
Dort angekommen sah ich durch die Glasscheibe, dass der Postbote draußen gerade dabei war, einige der Schreiben in die Briefkästen einzusortieren. Ich öffnete den meinen und nahm die beiden Umschläge in Empfang, die mir entgegengerutscht waren. Der erste Brief war tatsächlich für mich und enthielt irgendeinen Quatsch von meiner Bank.
Der zweite Brief war an einen Martin Koch adressiert, der womöglich einer meiner Nachbarn war, was ich aber bei diesem Bunker mit seinen 30 Mietparteien unmöglich sagen konnte. Ich riss die Tür auf und stand vor einem kleinen, dürren Männlein, das mich augenblicklich breit angrinste.
»Guten Tag.«
»Guten Tag am Arsch«, sagte ich und hielt dem Mann die beiden Briefumschläge ins Gesicht. »Kannst du das lesen? Für wen sind die Briefe?«
Der Typ kniff kurz die Augen zusammen und las.
»Ein Brief geht an Marco Haas, der andere an Martin Koch.«
»Entzückend. Und was machen die Dinger in ein und demselben Briefkasten? Soweit ich weiß, habe ich keinen Mitbewohner.«
Der Postbote lächelte verlegen.
»Das muss ein Irrtum sein, entschuldigen Sie.«
Ich lächelte und klopfte dem Mann auf die Schulter.
»Ach was, gar kein Problem. Wir sind doch alle nur Menschen.«
Ich machte einen Schritt vorwärts und trat gegen das klapprige, grüne Postfahrrad, das keinen halben Meter entfernt neben uns stand. Das Fahrrad kippte taumelnd seitwärts, hielt sich einen Moment in Schräglage und fiel schließlich um. Die Briefe, die sich in den großen Taschen vor dem Lenker und am Gepäckträger befanden, breiteten sich wie Fächer auf dem Bürgersteig aus.
»So, da hast du eine kleine Sortierübung. Keine Bange, lesen ist nicht erforderlich.«
Der Postbote blickte entsetzt auf das Chaos, das sich vor ihm aufgetan hatte. Die Zornesröte schoss ihm augenblicklich ins Gesicht, und der Mann ballte die Fäuste, als er wieder zu mir sah. Im ersten Moment glaubte ich wirklich, dass er den Mumm haben würde, um tatsächlich auszuholen.
»Na komm, komm«, lachte ich.
Der Mann entspannte sich sofort wieder.
»Ich … ich werde Sie anzeigen!«
Was für ein Waschlappen. Ich wand mich ohne ein weiteres Wort ab und überquerte die Straße. Ich war bereits einige Meter entfernt, als ich den Briefträger noch immer fluchen hörte. Als ich mich noch einmal zu ihm herumdrehte, war er auf den Knien und sammelte die verstreuten Briefe ein. Ich konnte es nicht fassen.
Natürlich durfte man nicht zu viel von diesen Analphabeten erwarten, die sich für den Mindestlohn abstrampelten, um bei Wind und Wetter Post zu verteilen, die niemand mehr brauchte, da der wirklich wichtige Kram ohnehin per E-Mail verschickt wurde. Aber ich hatte angenommen, dass wenigstens so viel Würde und Stolz in diesem Typen steckte, dass er mehr herausbrachte, als eine kleine angedrohte Anzeige wegen … wegen was? Umschubsen eines Fahrrades? Lächerlich.
Ich erreichte die kleine Bäckerei und besorgte mir dort zwei belegte Brötchen, mit denen ich mich wieder auf den Rückweg nach Hause machte. Vor dem Haus angekommen sah ich, dass der Postbote inzwischen seinen Krempel zusammengeklaubt hatte und zwei Häuser weitergezogen war. In der Wohnung machte ich mir noch eine Tasse Kaffee, mit der ich schließlich mein Frühstück herunterspülte. Als ich den Vorhang beiseitezog und das Fenster öffnete, um zumindest ein wenig frische Luft hineinzulassen, blickte ich in die mir gegenüberliegende Wohnung auf der anderen Seite der schmalen Nebenstraße. Die Wohnung war zurzeit leer, da das Paar, das dort lebte, sich auf der Arbeit befand, wie ich vermutete. Was genau die beiden machten, wusste ich nicht, aber sie führten offensichtlich das, was man ein normales Leben nannte.
Morgens verließen sie das Haus und kehrten in aller Regel am Nachmittag zurück. Manchmal gab es auch freie Tage oder welche, an denen sie bereits nach wenigen Stunden wieder zu Hause waren. Dann saßen beide auf dem Sofa, aßen in der Küche zu Abend und sahen anschließend gemeinsam auf dem Sofa kuschelnd fern. Sehr idyllisch, wenn es nicht so widerlich eintönig und spießig wäre. Mein eigenes Leben, das mehr dem einer Fledermaus glich, war zwar nicht wesentlich aufregender, aber zumindest durfte ich mich rühmen, kein Anhänger der spießigen, deutschen Mittelschicht zu sein.
Ich legte mich zurück aufs Sofa. Minutenlang wälzte ich mich hin und her, konnte aber nicht in den Schlaf finden. Schließlich setzte ich mich genervt wieder auf und sah auf die Uhr: Im Sexshop musste ich erst in einer knappen Stunde sein. Wenn ich jetzt losfuhr, war ich etwas zu früh dran. Ich beschloss, mich trotzdem auf den Weg zu machen, denn weder konnte ich schlafen noch hatte ich Lust, mir irgendwelche Dokumentationen im Fernsehen anzusehen.
Im Flur zog ich mir Schuhe und Jacke an und verließ die Wohnung.
»Tag, Hasi«, begrüßte mich Rainer freundlich, als ich den Laden betrat. »Bist heute aber wieder früh dran.«
Mein Kollege saß auf dem Hocker hinter der Theke und war gerade damit beschäftigt, sich auf unserem tragbaren Blu-ray-Player einen Porno reinzuziehen. Ursprünglich war das Gerät beschafft worden, um reklamierte Scheiben überprüfen zu können, seit aber keine Blu-Rays oder DVDs mehr verliehen und so gut wie keine