Hasi. Christoph Straßer
die Scheiße da aus. Und nenn mich nicht Hasi, zum tausendsten Mal«, sagte ich, ging um den Tresen herum und hing meine Jacke an den Haken.
»Ja, ja, ja …«, maulte Rainer und schaltete das Gerät ab. »Mir war halt langweilig, außerdem hatte ich noch nicht mit dir gerechnet.«
»Ich schwöre dir, wenn ich hier irgendwann einmal reinspaziert komme und dich dabei erwische, wie du dir einen runterholst, reiß ich dir den Schwanz ab.«
Mein Kollege lachte ein bisschen zu laut.
»Als ob ich mir hier … also echt nicht«, sagte er dann mit deutlich geröteten Wangen.
Ich ließ es dabei bewenden.
Natürlich hatte ich absolut keine Lust darauf, Rainer hier mit heruntergelassener Hose zu erwischen, auf der anderen Seite fand ich die Idee, sich in einem Sexshop vor Langeweile einen runterzuholen, alles andere als abwegig. Ich selbst hatte auch schon sehr oft mit dem Gedanken gespielt, auch wenn es nie so weit gekommen war. Aber wahrscheinlich würde ich auch nichts sagen, wenn ich Rainer zu Schichtbeginn aus einer der Wichskabinen ziehen müsste, denn er war nur ein kleiner Idiot, der zufällig im selben Laden arbeitete wie ich. Technisch gesehen war ich noch nicht einmal sein Vorgesetzter, wir waren zumindest auf dem Papier gleichberechtigte Kollegen. Aber Leute wie Rainer ließen sich leicht dominieren und verlangten geradezu nach jemandem, der ihnen Anweisungen gab. Und den Gefallen tat ich meinem Kollegen nur allzu gern.
»War wohl nicht viel los heute, was?«, fragte ich nach einem Blick in die Kasse, in der sich nicht viel mehr befand als noch gestern Abend.
Mein Kollege schüttelte den Kopf.
»Nein, überhaupt nicht. Zwei Mädels waren hier und haben diese essbaren Slips gekauft für einen Junggesellinnen-Abschied. Und irgendwer hat ein paar alte DVDs gekauft. Ich hab dem nen Rabatt gegeben.«
»Was denn für einen Rabatt?«
»Der hat zehn Scheiben genommen, da hab ich gedacht, 30 Euro wären okay.«
Ich nickte. Wahrscheinlich konnten wir uns glücklich schätzen, dass es überhaupt noch einen Blöden gab, der 30 Euro für DVDs ausgab.
»Ich hab auch heute mit dem Chef telefoniert«, sagte Rainer dann, und ich horchte auf.
»Oha, wie kam er denn zu der Ehre?«
»Ich wollte ihn noch einmal fragen, wie es denn mit meiner Gehaltserhöhung aussieht. Es wird ja alles teurer, habe ich gesagt. Und das sollte sich ja irgendwo auch in meinem Einkommen niederschlagen.«
»Und?«, fragte ich. »Hat Kurt dir gesagt, wohin du dir die Schnapsidee schieben kannst?«
Rainer schaute betreten zu Boden.
»So ungefähr. Er sagte, dass die Zahlen aktuell nicht so gut seien und er sich keine Gehaltserhöhung leisten könne, so lange die nicht besser werden.«
Ich grinste. Wäre Rainer nicht so ein Idiot, könnte man ihn glatt als putzig bezeichnen. Als ein Besatzungsmitglied der Titanic hätte man ihm erzählen können, dass sofort eine Gehaltserhöhung für ihn drin wäre, wenn das Schiff aufhörte zu sinken. Und er würde in dem Fall brav an Deck warten, bis es so weit war.
Dieser Laden konnte praktisch jeden Tag geschlossen werden, da gab es keine besseren Zahlen, auf die zu warten es sich lohnte. Es gab hier seit Monaten nur noch schlechte sowie grauenhafte Tage. Im Grunde war meinem Kollegen dies auch vollkommen klar, aber er hatte einfach nicht den Mumm, sich entweder einen neuen, besser bezahlten Job zu suchen oder Kurt die Pistole auf die Brust zu setzen und ihm zu sagen, dass er kündigte, wenn er nicht sofort mehr Geld bekam.
»Aber lange kann der Chef mir das ja nicht mehr ausschlagen, ich frage schon seit vier Monaten danach.«
Mein Kollege begann zu quengeln, und das nervte mich tierisch. Ich winkte ihn mit zwei Fingern zu mir.
»Komm mal her, ich will dir was zeigen.«
Rainer kam zu mir. Ich stellte mich dicht vor ihn und blickte ihm in die Augen. Sein Blick wich mir aus.
»Nein, nein, nein«, grinste ich. »Guck mir in die Augen. Fixier meinen Blick.«
Tatsächlich gelang es Rainer, mich einige Sekunden, ohne Unterbrechung anzusehen.
»Cool. Und jetzt frag mich nach einer Gehaltserhöhung.«
»Was? Warum?«
»Tu es einfach.«
Rainer räusperte sich und atmete durch.
»Kann ich bitte … also, ich brauche eine Gehaltserhöhung.«
Ich schüttelte den Kopf und klopfte meinem Kollegen auf die Wange.
»Das ist hoffnungslos. Nicht einmal während der Dauer dieser kleinen Frage kannst du mir in die Augen sehen. Machen wir uns nix vor: Du bist eine Muschi, und Muschis kriegen keine Gehaltserhöhung.«
»Das zählt nicht, ich war nicht vorbereitet«, lachte Rainer.
»Ich finde das nicht halb so witzig wie du. Wenn du nicht einmal in der Lage bist, jemandem in die Augen zu sehen, wie willst du dann etwas von ihm fordern?«
»Aber ich kann Kurt ja schlecht am Telefon in die Augen gucken …«
Ich setzte mich auf den Hocker, der von Rainers Hintern noch unangenehm warm war, und blickte meinen Kollegen an, der nun völlig verloren im Laden stand und so wirkte, als wüsste er nichts mehr mit sich anzufangen.
Rainer war ein armer, unscheinbarer und völlig harmloser Tropf.
Klein, schmächtig, mit seltsamer Playmobil-Frisur und überhaupt absolut unscheinbar saß er hier seine Tage ab in der Hoffnung, irgendwann mehr zu verdienen als die erbärmlichen 1.100 Euro netto, die er jetzt bekam. Bei der Arbeit schien er immer dieselbe Jeanshose zu tragen, was mich gleichermaßen anekelte und faszinierte. Aber man konnte nicht behaupten, dass er ungebildet oder dumm war. Er war einfach nur ein Waschlappen.
Ob er schon immer ein Waschlappen gewesen war oder erst von irgendwem oder irgendwas dazu gemacht wurde, wusste ich nicht. Und es war mir auch völlig egal. Rainer war nur einer von vielen Idioten ohne guten Schulabschluss, die dazu keine gute Ausbildung abgeschlossen hatten, wenn überhaupt, und daher bis ans Ende ihrer Tage Jobs in irgendeinem Lager, bei einer Tankstelle, bei McDonald’s oder eben hier in diesem Laden machen mussten, um über die Runden zu kommen.
Ich betrachtete meinen Kollegen, der lediglich zwei oder drei Jahre jünger war als ich, inzwischen als eine Mischung aus Maskottchen und Haustier, und mit dieser Form der Beziehung kamen wir beide wunderbar zurecht.
»Ist denn sonst noch etwas gewesen?«, fragte ich schließlich.
Rainer schüttelte den Kopf.
»Eigentlich nicht. Ach so, doch. Heute Morgen hat sich einer beschwert, dass es in den Videokabinen keine Filme mit Asiatinnen gäbe. Ich soll dich bitten, da mal was zu bestellen.«
»Da ist alles voll mit Asiatinnen, was soll der Quatsch?«
»Ja, aber keine richtigen Asiatinnen, nur so Frauen aus Vietnam oder von den Philippinen.«
»Ist ja wohl nicht meine Schuld, dass Japaner alles verpixeln und Chinesen ein Loch nur dann gern präsentieren, wenn’s von nem Kopfschuss stammt.«
Rainer grinste.
»Ich sollte es dir halt ausrichten.«
»Und das hast du getan. Herr im Himmel, ich frage mich, wann hier der erste Idiot hereinspaziert kommt und Eskimopornos sehen will.«
»Inuit«, sagte Rainer.
»Was?«
»Inuit«, wiederholte mein Kollege. »Eskimo ist ein eher veralteter Begriff. Deswegen sagt man Inuit, wenn man die kanadischen oder grönländischen Ureinwohner meint. Die aus Alaska bezeichnen sich selbst als Yupik und Inupiat.«
»Rainer?«
»Ja?«