Hasi. Christoph Straßer
nun einmal mit meinem Chef befreundet, also blieb mir nichts übrig, als diese dämliche Show durchzustehen. An einem Regal angekommen, stupste er mit der Fußspitze vor einen der Kartons, in denen sich Großpackungen Kondome befanden.
»Wie viele sind da drin? 200?«
»500.«
»Dann pack mir mal zwei Tüten davon ein. Habt ihr das Gleitgel noch da in diesen großen Pullen?«
»500 oder 750 Milliliter? Ist beides da.«
»Dann gib mir mal nen Karton von den 750ern. Das können die Mädels sich dann selbst abfüllen.«
Ich kam um die Theke herum und packte Mannis Krempel zusammen, als wäre ich sein verdammter Lakai. Ich musste mir ernsthaft auf die Zunge beißen, um ihm nicht zu sagen, dass er sich auch ruhig selbst nach seinen Bestellungen bücken konnte. Ich packte die Kondome und das Gleitgel in einen größeren Karton.
»War’s das?«, fragte ich anschließend.
»Vorläufig, ja«, seufzte Manni und sah auf seine riesige Armbanduhr. »Mann, Mann, Mann, jetzt guck mal, wie spät das schon wieder ist. Und ich renn hier durch die Läden wie ’ne Braut beim Powershoppen. Echt, Hasi, meinen Job willst du echt nicht geschenkt.«
Ich grinste schief, was Manni nicht entging.
»Brauchst gar nicht so zu schmunzeln. 30 Mädels, die alle wie ’ne Prinzessin behandelt werden wollen und dich ständig auf Trab halten, kosten ganz schön Energie.«
»Dafür hast du aber auch einen etwas anderen Stundenlohn als ich, oder Manni?«
Manni zog ein letztes Mal an seiner Zigarette und ließ sie anschließend über der Theke kreisen, so als suchte er den Aschenbecher. Ich legte ihm ein dickeres Stück Pappe hin, worauf er seine Kippe schließlich ausdrückte.
»Hasi, du musst erstmal aufhören mit deinem pausenlosen Gequengel. Von dir hört man immer nur, dass du zu wenig Geld verdienst, dass du so spät arbeiten musst und so weiter und so fort. Guck mal, du verdienst hier dein Geld mit Rumsitzen. Da würden sich andere Leutchen die Finger nach lecken. Und wenn du mehr Kohle willst, dann geht das klar. Aber dann musst du auch das Mehr an Stress und das Mehr an Verantwortung und das Mehr an Risiko in Kauf nehmen. Wenn du heute Abend hier Feierabend machst, bin ich noch unterwegs, das kannste mir aber glauben. Also nicht jammern, sondern ruhig mal froh sein mit dem, was man hat.«
Nach seinem Monolog steckte sich Manni noch eine weitere Zigarette an.
»Wo wäre ich nur ohne deine tiefgreifende Weisheit, Manni«, sagte ich und schob ihm seinen Kram über die Theke.
Manni blickte mich eine Sekunde lang an, als wollte er noch etwas sagen, griff sich aber schließlich seinen Karton, klemmte ihn sich unter den Arm und machte sich wortlos auf den Weg zum Ausgang. Nach einigen Schritten stoppte er aber doch noch einmal und nahm seine Zigarette aus dem Mundwinkel.
»Weißt du, Hasi, ich hab mit dir nix zu tun, aber da Kurt dich anscheinend gut leiden kann, geb ich dir mal nen Rat. Deine schnodderige, rotzfreche Art kommt ja vielleicht bei manchen Leuten gut an, aber irgendwann triffst du mal auf jemanden, dem gefällt das überhaupt nicht. Und wenn’s so weit ist, dann kommt’s ziemlich schnell knüppeldick von allen Seiten. Verstehste? Leute wie dich, mit ’ner großen Fresse und ein bisschen Grips, gibt’s wie Sand am Meer. Und gerade deswegen solltest du dir immer ganz genau überlegen, was du tust. Denn wenn du nur einmal Scheiße baust, dann war’s das für dich. Kapiert?«
Ich lächelte und zuckte mit den Schultern.
»Ich hab dich was gefragt«, sagte Manni ungeduldig.
»Ja, kapiert«, grinste ich.
»Hoffentlich. Bis dahin.«
Manni verließ den Laden und machte sich wahrscheinlich wieder auf den Weg zu seinem Puff. Für wen hielt dieser kleine Idiot sich, mir hier seine Zuhälter-Philosophie als Oper aufzuführen. Der Spinner wusste nichts über mich, also brauchte er sich auch kein Urteil anmaßen. Ich war keine seiner Ostblock-Nutten, die ihn schon allein deshalb für clever hielten, weil er zwei bis drei deutsche Sätze unfallfrei aussprechen konnte.
Ich zerknüllte den Zettel, auf dem ich notiert hatte, was Manni hier herausgeschleppt hatte, und warf ihn mitsamt der Aschenbecher-Pappe in den Papierkorb. Wozu sollte ich den auch aufheben?
Inventuren machten wir hier nur pro forma fürs Finanzamt und Kurt würde sich bei seinem nächsten Besuch im Shop vermutlich nicht einmal mehr daran erinnern, dass sein Kumpel hier gewesen war.
Anschließend ging ich in den Personalraum und hob den Vibrator vom Boden auf, den das Mädel bei ihrem hektischen Aufbruch vom Tisch geschubst hatte. Ich pustete die Fusseln herunter, schob ihn wieder in seine Verpackung und legte ihn zurück ins Regal.
Was für ein scheiß Tag. Er hatte quasi gerade erst begonnen und war schon unrettbar verloren. Ich machte mich auf den Weg nach draußen, um etwas frische Luft zu schnappen, bevor ich vor Wut noch platzte. Als ich an einer der Videokabinen vorbeikam, hörte ich durch die Metalltür den typischen Sound eines Pornos, dazu klapperte gleichmäßig eine Gürtelschnalle.
Ich fuhr mir mit der Hand über das Gesicht. Das konnte doch unmöglich mein Leben sein.
Zwei Jahre zuvor
Hans stieg aus dem Wagen, streckte sich und griff dann nach seiner Zigarettenschachtel. Sein Rücken brachte ihn um. Er wurde langsam älter, und eine Autofahrt von zwei Stunden fühlte sich für ihn bereits wie eine Tagestour an. Er verließ den Parkplatz und schlenderte durch die Straßen des kleinen Ortes, von dem er vor dem heutigen Tag noch nie etwas gehört hatte. An einem Geschäft für skandinavische Stickereien blieb er stehen und betrachtete das Angebot im Schaufenster, zumeist selbstgestickte Tücher und Deckchen. Er schüttelte lächelnd den Kopf und setzte seinen Weg fort.
Solche kleinen, inhabergeführten Läden mit ihrem doch sehr speziellen Angebot bekam man bei ihm in der Stadt so gut wie überhaupt nicht mehr zu sehen. Hin und wieder gab es in den hipperen Studentenvierteln Eröffnungen solcher Läden, die Honig von eigenen Bienen, selbstrestaurierte Möbel oder eben Handwerkskunst anboten, aber diese Geschäfte überlebten für gewöhnlich kein halbes Jahr.
So etwas funktionierte nur auf dem Land, wo einem keine Bank im Nacken saß, sowie einem der Laden und wahrscheinlich das gesamte Haus bereits in der dritten Generation gehörte.
Wenn man nur zwei der skandinavischen Deckchen im Jahr verkaufte, dann war das völlig in Ordnung. Kein Druck, kein Geschäftsplan, keine Steuererklärung. Hans spielte schon länger mit dem Gedanken, sich in einem dieser Dörfchen eine Wohnung oder ein Haus zu mieten, wenn er in Rente gegangen war. Aber er konnte sich die Frage, ob er die Hektik der Stadt vermissen würde oder nicht, noch immer nicht abschließend beantworten. Aber bis zum Ruhestand hatte er ja auch noch einige Jahre Zeit.
Hans erreichte das kleine Café, in dem er verabredet war. Er stieg die einzelne Stufe hinauf und ging hinein.
»Guten Morgen«, begrüßte ihn eine junge Frau freundlich, die ein großes, silbernes Tablett trug und an ihm vorbeiging.
»Guten Morgen«, grüßte Hans zurück und sah sich um.
In dem Café befanden sich außer ihm nur drei weitere Gäste, alles ältere Damen, die zusammen vor Kaffee und Kuchen saßen.
»Guten Morgen«, grüßten auch sie, als sie ihn sahen.
Hans nickte ihnen freundlich zu.
»Guten Morgen, die Damen.«
Die Freundlichkeit der Landbevölkerung, dachte Hans und lächelte in sich hinein, während er sich an einen Tisch in der hinteren Ecke setzte. Er hatte gerade Platz genommen, als auch schon die Frau mit dem Silbertablett vor ihm stand.
»Was darf ich Ihnen bringen?«
»Ich hätte gerne eine Tasse Kaffee. Schwarz.«
»Machen Sie bitte zwei daraus«, lächelte Kurt, der hinter der Frau erschienen