Hasi. Christoph Straßer

Hasi - Christoph Straßer


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Hier lebten größtenteils normale Leute, und normale Leute schliefen um diese Zeit bereits.

      Der Junkie lag zu meinen Füßen, wand sich und schnaubte. Offensichtlich war er noch immer vollkommen weggetreten, aber das Leben kroch langsam wieder in ihn zurück. Wenn man das als »Leben« bezeichnen wollte. Inzwischen lag er auf der Seite und sein Blick fand noch immer keinen Halt in der Umgebung. Vielleicht konnte ich ihm ja beim Wachwerden helfen. Ich nahm zwei Schritte Anlauf und trat dem Penner mit aller Wucht in den Bauch.

      Er heulte kurz auf und zog sich dann wie in Zeitlupe in Embryonalhaltung zusammen.

      Wie eine Schnecke, der man Salz auf ihren schleimigen Körper gestreut hatte und die sich nun langsam zusammenzog. Ein widerlicher Anblick.

      Leider bestand die einzige Möglichkeit, sich dieses Gesindel vom Hals zu halten, darin, es bis aufs Blut zu quälen und dann den anderen Pennern davon berichten zu lassen, an welchen Stellen der Stadt man sich besser keinen Schuss setzte oder Crack rauchte.

      Ich ging vor dem Junkie in die Hocke und griff nach seinem Gesicht. Der Mann zuckte und versuchte, sich seitwärts wegzurollen, aber ich hielt seinen Kopf fest zwischen meinen Handflächen. Als er jeden Widerstand aufgegeben hatte, lächelte ich ihn an.

      »Kannst du mich hören, Sonnenschein?«

      Ich bekam ein Schnaufen und Augenrollen zur Antwort und wertete das als ein Ja.

      »Wenn ich dich Müllhalde hier noch ein einziges Mal sehe …«

      Ich ließ meine Faust auf die Nase des Penners krachen, was diese mit einem Knacken quittierte.

      »Nur ein einziges Mal, hörst du? Dann werde ich dich töten. Kapiert? Ich bringe dich um. Ich werd dir dein verdammtes Junkieherz rausschneiden und es irgendwelchen Kötern zu fressen geben.«

      Der Kopf des Mannes wackelte kraftlos in meinen Händen, und aus seiner Nase lief blutiger Schleim. Er öffnete den Mund, und erst jetzt nahm ich die ekelhafte Alkoholfahne wahr, die sich, begleitet von zähem Speichel, aus dem zahnlosen Mund befreite. Ich strich ihm über das Haar und bemerkte eine relativ große, gezackte Narbe auf seiner Stirn. Ich lächelte. Harry Potter auf Heroin.

      Als ich den Schädel losließ, sank der Junkie augenblicklich zu Boden. Ich lehnte mich an die Hausfassade, zog die Gummihandschuhe aus und ließ sie auf den Boden fallen.

      Gott, wie ich den Herbst verabscheute. Sobald die Temperaturen fielen, kroch der gesamte menschliche Unrat aus den Gebüschen und machte sich auf die Suche nach Unterkunft und Wärme. Wären Junkies Waschbären, hätte man sie längst alle als Plage abgeknallt. Dabei waren Waschbären sogar noch putzig und verbreiteten nicht halb so viele Krankheiten wie dieser Dreck, der sich vor meinen Augen gerade wieder aufrappelte. Der Mann hievte sich keuchend erneut auf seine dünnen Beinchen, indem er sich zitternd an einem Stromkasten aufwärts zog. Der schmale Plastikgürtel, mit dem er sich den Arm abgebunden hatte, rutschte abwärts und fiel beinahe geräuschlos zu Boden. Ganz so lange konnte er dem Heroin noch nicht zugetan sein, überlegte ich. Die Jungs, die schon länger dabei waren, fanden in der Regel überhaupt keine freie Vene mehr in ihren Armen und spritzten sich den Dreck in den Hals, die Füße, die Leiste oder Gott weiß wohin. Hauptsache, die verdreckte und mit allem Möglichen gestreckte Droge gelangte irgendwie in die Blutbahn.

      Der Typ vor mir hustete und spuckte einen schleimigen Brocken aus. Dann machte er sich langsam auf den Weg. Ich gab ihm zur Unterstützung noch einen kräftigen Tritt in den Hintern und beobachtete überrascht, dass der Mann sich wacker auf den Beinen hielt, anstatt vornüber zu fallen.

      »Und beehren Sie uns bald wieder, Mister Potter!«, rief ich dem Junkie nach, schob die Hände in die Hosentaschen und machte mich wieder auf den Weg in das Gebäude. Zurück im Shop griff ich mir Handfeger und Kehrblech, um damit die Spritze aus der Kabine auf die Straße zu bugsieren. Anschließend hockte ich mich wieder hinter die Theke und ließ meinen Blick umherwandern. Gleitgels, Vibratoren, Magazine, Wäsche … Als ob es hier drin nicht schon schräg genug wäre, auch ohne dass ich mich um abgetakelte Obdachlose kümmern musste.

      Es war nun kurz vor Mitternacht, also nahe genug am Geschäftsschluss, um die Bude für heute dichtzumachen. Ich verriegelte den Eingang und schaltete die Videokabinen aus. Anschließend rechnete ich die Kasse ab, was wie meistens sehr schnell ging. Die Tageseinnahmen in den dafür vorgesehenen Tresor zu legen, lohnte den Aufwand nicht, denn sie beliefen sich auf nicht einmal 200 Euro.

      Ich ließ sie einfach in der Kassenschublade liegen und schrieb meinem Kollegen einen Zettel, dass er sich morgen früh nicht auf den Weg machen musste, das Geld zur Bank zu bringen. Anschließend fuhr ich den Rechner herunter, schaltete das Licht aus und ging um den riesigen Schrank herum zum Hinterausgang. Dort nahm ich meine Jacke vom Haken und tippte den Code ein, um die Alarmanlage scharf zu stellen. Schließlich verließ ich den Laden durch den Hausflur des Nachbarhauses. Wieder draußen ging ich einige Schritte bis zu meinem Wagen, lehnte mich an den Kotflügel und streckte mich. Mein Rücken krachte regelrecht. Es wäre ein absolutes Wunder, wenn ich durch die pausenlose Hockersitzerei nicht längst einen Haltungsschaden bekommen hatte. Ich legte den Kopf in den Nacken und beobachtete den Himmel.

      Obwohl es bereits finsterste Nacht war, hatten der Himmel und die Wolken eher eine gräuliche Färbung. Eine der Wolken strahlte besonders auffällig. Anscheinend verbarg sich hinter ihr der Vollmond oder ein zumindest sehr großer Mond. Die Abende waren noch angenehm warm, aber man konnte bereits riechen, dass es Herbst war. Und ich meinte nicht den Geruch von feuchtem Laub, Regen oder Nebel. Mit so etwas hatte ich keine Erfahrungen.

      Mein Herbst roch nach Urin, Zigarettenqualm und anderem Pennergestank. Aber streng genommen rochen die anderen Jahreszeiten auch nicht anders. Ich überlegte, was ich jetzt noch unternehmen konnte, denn einer der Nachteile meines Jobs war, dass er zwar jede Lebensfreude aus einem heraussaugte, einen aber nicht ermüdete. Jedenfalls nicht so, dass man am liebsten sofort ins Bett fallen wollte.

      Ich gehörte nicht zu der Sorte Mensch, die sich jetzt auf den Weg zu einer After-Work-Party machte, um dann mit Freunden noch ein bisschen zu tanzen und dabei vielleicht noch zwei oder drei Cocktails zu trinken. Im Gegenteil ekelte ich mich vor diesem oberflächlichen, dummen Getue. Und mich widerten diese Menschen an, wenn sie zusammenstanden und kicherten, ihr Draft-Beer oder ihren Mojito tranken und sich für das Zentrum des Universums hielten, bloß, weil es genug andere Idioten gab, die sie in dieser Annahme bestätigten in der Hoffnung, sie vielleicht eines Tages ficken zu dürfen. Nein, da war ich mir mehr wert.

      Ich stieg in meinen Wagen und fuhr los. Nach Hause wollte ich noch nicht, denn dort wartete niemand auf mich. Abgesehen davon fand ich, dass ich mir nach einem langen und ereignisarmen Arbeitstag einen kleinen Ausgleich verdient hatte. Work-Life-Balance und so. Nach wenigen Minuten erreichte ich die kleine Seitenstraße, in die ich wahrscheinlich bereits eine Million Mal abgebogen war. Die gesamte Gegend wurde vermutlich schon in heruntergekommenen Zustand erbaut, so wirkte es jedenfalls. Nur etwa jede zweite Straßenlaterne funktionierte, und um die wenigen Abfalleimer herum verteilt lagen Plastikbeutel mit dem Müll der Bewohner der umliegenden Häuser. Diese rekrutierten sich zu etwa gleichen Teilen aus Zigeunern, Punkern und irgendwelchen Rumänen und Ungarn, die man hier zusammengepfercht hatte, damit sie das Kindergeld für nicht existente Kinder kassieren und dem örtlichen Paten in Bukarest, Budapest oder hier überweisen konnten.

      Die Straße, in der ich mich nun befand, tat sich allerdings dadurch hervor, dass in ihr das Wort Service schon immer großgeschrieben wurde. Begonnen hatte es mit dem Babystrich, der weit über die Stadtgrenzen hinaus Berühmtheit erlangt hatte. Als man die Minderjährigen schließlich vertrieben hatte, kamen die Junkies und mit ihnen die Dealer. Die Straße entwickelte sich schnell zu einem bekannten Hotspot für Drogen aller Art.

      Als dann ein neuer Bürgermeister gewählt wurde und dieser zeigen wollte, was für ein harter Kerl er war, verscheuchten die Bullen hier jeden einzelnen Drogenhändler. Die ließen sich anstandslos vertreiben und machten so Platz für den ganz normalen Straßenstrich.

      Normal in dem Sinne, dass man es nicht mit zahnlosen, verdreckten Junkienutten zu tun hatte. Nein, es waren Junkienutten, die aber etwas auf sich gaben und auch noch duschten. Abteilung ›Gutes günstig‹.


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