Die Winterkönigin - Ein historischer Roman. Maria Helleberg

Die Winterkönigin - Ein historischer Roman - Maria Helleberg


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gerade einmal sechs Jahre alt«, erwiderte ihre Mutter. Margarete hatte genau hingesehen und eine Art Lächeln im Gesicht ihrer Mutter entdeckt. Während ihr Vater seine Frau die ganze Zeit über ansah, starrte die unentwegt in die Luft.

      »Und dann zu diesen Menschen!« fügte sie hinzu und lachte bitter auf. »Es gibt keine Sünde, die sie nicht begangen haben. Letztes Jahr noch wolltest du Magnus beim Papst anklagen und ihn verbannen lassen, und jetzt sollen wir ihn und seine verzogenen Söhne empfangen und ihnen unsere Kinder schenken. Ob Magnus seine Liebhaber mitbringt, was meinst du? Was ist mit dem Sohn, gegen den er Krieg führt? Wie kannst du auch nur daran denken, uns mit dieser sündigen schwedischen Brut und diesen häßlichen Menschen zu verbinden?«

      »Magnus begreift nur direkte Handlungen, die gegen ihn gerichtet sind«, sagte Vater in einem Tonfall, als spräche er mit einem Kind. »Und noch ist gar nichts entschieden. Wir behalten sie bei uns und können alles auch jederzeit rückgängig machen, wenn sie unseren Erwartungen nicht entsprechen.«

      »Du hast also gar nicht vor, den Vertrag einzuhalten?« fragte ihre Mutter. Sie wandte sich abrupt zu ihrem Mann und sah ihm in die Augen. »Du hast gar nicht vor, sie ihnen auszuhändigen? Habe ich es mir doch gedacht! Alle, die man zum Narren halten kann, sollen ruhig zum Narren gehalten werden. Alle, die man ausnutzen kann, sollen ruhig ausgenutzt werden. Glaubst du nicht, ich kenne dich? Alle Menschen sind nur für dich und deine Pläne da. Und wenn es nicht so geschieht, wie du es willst, dann schlägst du zu. Meiner willst du dich hoffentlich nicht so entledigen wie der drei bei Middelfart, die du hast töten lassen.«

      »Ich habe niemanden getötet!« schrie Margaretes Vater und blieb aufgelöst und mit offenem Mund sitzen. Seinen Arm, in dessen Hand er das Messer hielt, hatte er vor sich auf dem Tisch ausgestreckt, und die Klinge zeigte drohend nach oben. Diese Hand schien dem, was er soeben beteuert hatte, widersprechen zu wollen.

      Ihr Vater hörte nicht auf, sich zu erklären und sich zu verteidigen. Margaretes Mutter erhob sich geräuschvoll von ihrem Stuhl. Ihr Blick bat um Hilfe, und Kristoffer erhob sich auch sofort. Doch zu spät. Die Füße versagten ihr den Dienst, sie strauchelte und konnte sich gerade noch fangen. Ihr Mann rührte sich nicht von der Stelle. Sie winkte Kristoffer zu sich und ließ sich von ihm stützen. Stehend war sie eine weit weniger imposante Erscheinung, als es diese steife Statue am Tisch gewesen war.

      Erst jetzt erhob sich der König und gab dem Diener, der an der Tür gestanden und gewartet hatte, ein Zeichen. Ihre Mutter verließ den Saal, und auf einmal wimmelte es von Menschen, die den Tisch abräumten. Ihr Vater ging, ohne ein weiteres Wort zu sagen. Margarete sah hinüber zu Kristoffer. Blaß und still saß er da und aß sein Brot, aber nur die weichen Krümel. Die harte Kruste blieb auf dem Tisch liegen, denn er hatte so empfindliche Zähne, und sein Zahnfleisch blutete schnell.

      Kurz darauf kam Eberstein zurück und holte sie. Aber dieses Mal nahm sie Margarete an der Hand, und das war viel besser, als getragen zu werden. Sie würden jetzt das schöne Kleid für den morgigen Tag anprobieren gehen, sagte sie.

      »Morgen werden wir in Kopenhagen ankommen«, fügte Eberstein hinzu, während sie ausgezogen und vermessen wurde. Sie bekam ein dünnes Hemdchen aus furchtbar hartem Stoff übergestreift, das so oft zusammengesteckt wurde, bis es ganz eng an ihrem Körper saß.

      Sie wollten sichergehen, daß das feine, edle Kleid, das sie darüber tragen würde, nicht beschädigt wurde. Vier junge Frauen saßen daran und nähten es für sie um. Es war Ingeborgs prächtiges Verlobungskleid, das sie nun erben würde. Ingeborg hatte es nur ein einziges Mal getragen, aber danach angekündigt, daß sie es auch zu ihrer Hochzeit tragen wolle.

      Als Ingeborg damals das Kleid bekommen hatte, war Margarete ganz krank und unglücklich vor Neid gewesen. Ihr Vater hatte keine Königskrone, und seine Kinder mußten jeden Tag mit grauen Wollkleidern herumlaufen und trugen ihre Schuhe so lange, bis sie in Stücke fielen. Sie aßen Grütze und andere einfache Gerichte und tranken ihr Bier mit Wasser verdünnt. Nur zu besonderen Anlässen gab es Pasteten und Wein. Mehr konnten sie sich nicht leisten.

      Sie hatte sich immer darüber gewundert, daß sie, Ingeborg und Kristoffer so viel ärmlicher lebten als die Kinder der Gutsherren. Wenn sie die Klöster oder die Höfe der Adligen besuchten, sah sie immer Kinder, die so feine Kleider trugen wie ihre Mutter. Jeden Tag aßen sie festlich und glaubten gewiß, daß es so auch im Hause des Königs zugehen würde.

      »Da kannst du einmal sehen, wie arm der König ist«, hatte ihr Vater immer gesagt, wenn sie nach einem solchen Besuch den Hof wieder verließen. Und sie hatte nie gewußt, ob er das gut oder schlecht fand. Aber sie wünschte sich so sehr schöne Kleider und schönen Schmuck. Sogar ihre Spielsachen waren alt.

      Ingeborgs Kleid hatte den ganzen Weg aus Italien hinter sich. Von dort kamen die Ballen mit dem weißen Stoff, in den Silberfäden und Perlen eingewirkt waren und der dann von Königin Helvigs Zofen und Kammerfrauen in dieses wunderschöne Kleid verwandelt wurde. Ingeborg hatten sie von Kopf bis Fuß vermessen, dann den Stoff ganz vorsichtig zugeschnitten und ihren Körper wie den einer Puppe darin eingenäht. Sie hatte zum Schluß wie ein Engel ausgesehen, mit ihren langen blonden Haaren, die ihr über die Schultern fielen. Aus der Domkirche zu Lund hatte Vater den goldenen Blumenkranz Unserer Gnädigen Frau geliehen, der über und über mit Juwelen besetzt war. Den trug Ingeborg auf ihrem goldenen Haar. Margarete hatte nicht mitbekommen, ob sie den Kranz auch dieses Mal wieder aus Lund hatten kommen lassen, aber vielleicht sollte es auch eine Überraschung sein.

      Schließlich zogen sie ihr ein ganz neues und sehr dünnes Hemdchen an und umhüllten sie dann mit dem silbrigen Stoff.

      Er roch trocken und duftete ein wenig nach Frühling. Doch er legte sich um ihren Körper wie ein Korsett aus Seide. Die Ärmel waren so eng, daß sie die Arme nicht beugen konnte. Das Kleid und das Leibchen darunter zwangen sie in eine Körperhaltung, die sie während der gesamten Feierlichkeiten einhalten sollte: leicht angewinkelte, vor dem Körper hängende Arme, so daß sie lange stehen und etwas Schweres halten konnte. – Sie steckte in einem vornehmen Käfig, so als wäre das Kleid eine sehr strenge Erzieherin, noch strenger als Eberstein und weitaus fordernder als ihr Vater. Früher hatte sie öfter zusammen mit ihren Eltern wichtigen Versammlungen auf dem Thingplatz beiwohnen müssen. Da war sie dann nach einer Stunde einfach umgefallen. Das letzte Mal war sie mit Vater allein dort gewesen, und er hatte sie auf Mutters leeren Stuhl gesetzt, auf dem sie sofort in einen tiefen Schlaf gefallen war.

      »Wir können das Kleid soviel enger und kürzer machen, wie wir wollen, aber wir werden es nie wieder auftrennen können«, sagte Eberstein und drehte sie zwischen ihren Händen hin und her. Das brachte sie zum Lachen, und sie gab sich selbst noch ein bißchen Schwung und drehte sich immer schneller. Sie versuchte, sich die Augen zuzuhalten, konnte ihre steifen Arme aber nicht hochheben. Die Frauen griffen erschrocken nach ihr und brachten sie zum Stehen.

      »Herrgott, Mädchen, sei doch vorsichtig! Sieh mal, schon ist eine der Perlen abgefallen!« riefen sie alle gleichzeitig und hielten sie fest. Ihr wurde das Kleid vom Körper gezerrt. Das fühlte sich an, als ob sie gehäutet werden würde, sie jammerte und wehrte sich nach Kräften.

      »Sie ist so klein«, sagte eine der Frauen.

      »Und das schwarze Haar sieht so ganz anders aus auf dem weißen Kleid«, sagte eine andere.

      »Wie ein Rabenkind«, sagte die dritte.

      Das sagte ihr Vater immer zu ihr, wenn er ihr über das Haar strich. Ihres hatte dieselbe Farbe wie das Haar ihrer Mutter. Doch das hatte sie seit dem Tod der Zwillinge nicht mehr gesehen. Und daran wollte sie sich auch nicht erinnern, nie mehr.

      Das alte, vertraute Wollkleid wurde ihr wieder angelegt, ihr Haar wurde gekämmt und geflochten. Nun sah sie überhaupt nicht mehr aus wie eine Königstochter. Sie sah aus wie ein Kind von einem Jedermann.

      Sie erkannte den Geruch einer Stadt schon von weitem. Burgen hatten keinen Geruch, nur der Wallgraben. Und Klöster dufteten. Aber Städte sandten einen scheußlichen Gestank aus, eine Mischung aus allerlei übelriechenden Essenzen. Sie war sich sicher, daß die Burgen deshalb etwas außerhalb der Städte und für sich allein standen. An Riberhus konnte sie sich gut erinnern, dort hatte es ihr am besten


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