Die Winterkönigin - Ein historischer Roman. Maria Helleberg

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von Vater erhalten«, sagte er und wartete, bis sie sich hingesetzt hatte. Dann ging er zum Fenster, um den Brief in dem spärlichen Licht, das von dort ins Zimmer fiel, zu lesen. Es war zu kalt, um draußen zu stehen, und in den Räumen war es zu dunkel, um lesen zu können.

      »Die Schweden können König Magnus nicht verzeihen, daß er Vater Schonen so kampflos überlassen hat«, sagte er und faltete den Brief zusammen. Seine Hände zitterten, und er mied ihren Blick. Etwas Fürchterliches mußte geschehen sein. Etwas, das gegen sie gerichtet war.

      »Es hat sich eine neue Gruppe von Aufständischen gebildet. Dieses Mal ist Håkon ihr Anführer. Er hat mit Vater gebrochen und die Verlobung aufgehoben. Er fordert den Ring zurück und zertrennt das Band zwischen Dänemark und Norwegen.«

      Nun hatte sie Håkon verloren. Ohne ihn war sie nichts. Merkwürdigerweise hatte sie nie darüber nachgedacht, was sie gemacht hätte, wenn Håkon gestorben wäre.

      »Es gibt noch so viele andere gute Ehemänner auf der Welt«, sagte Kristoffer schnell. »Vater hat mir bereits eine Liste mitgeschickt, an die ich mich halten kann. Er benötigt neue Bundesgenossen. Den englischen König beispielsweise kennt er gut, vielleicht wirst du statt dessen die Königin von England. Wer braucht schon Norwegen?«

      »Hat er sich mit einer anderen verlobt?« fragte sie. Sie spürte, daß er Zeit gewinnen wollte und daß es noch weitere schreckliche Nachrichten gab. Kristoffer errötete und faltete den Brief wieder auseinander. Dann kam er zu ihr, setzte sich neben sie und sprach mit weicher, kindlicher Stimme. Aber das konnte sie jetzt nicht gebrauchen. Ihre Welt war gerade zusammengestürzt, und er verhielt sich, als hätte ihre Puppe einen Arm verloren.

      »Elsebeth von Holstein befindet sich auf dem Weg nach Norwegen«, lautete seine knappe Antwort.

      »Wie alt ist sie?« Margarete blieb hartnäckig.

      »Sie ist so alt wie Håkon«, räumte er ein. Das war zuviel. Margarete sprang auf, prallte dabei gegen sein Knie und stöhnte vor Schmerzen. Sie stieß die Tür auf und rannte den ganzen Weg bis zur Spitze des Turms, ohne daß sie jemand aufhielt. Hinter einer großen Kiste versteckte sie sich. Die Kälte drang durch jede Faser ihrer Kleidung und machte sie zittern, aber sie rührte sich nicht von der Stelle.

      Er hatte sich also eine erwachsene Frau genommen, die er sofort heiraten konnte. Eberstein hatte ihr vor einiger Zeit eröffnet, daß sie erst dann nach Oslo fahren könne, um auf Akershus Königin zu werden, wenn sie mannbar sei. Und keinen Tag vorher.

      Seitdem hatte sie alle jungen Frauen genau beobachtet und Eberstein gefragt, ob diese oder jene mannbar sei. Kristoffer war bei ihrer Frage feuerrot geworden und hatte ihr erklärt, daß eine Frau erst dann heiraten könne, nachdem sie die monatliche Heimsuchung bekommen hätte. Das hatte sie allerdings auch nicht viel klüger gemacht. Zu guter Letzt fragte sie ihre Lehrer, aber die waren entsetzt über ihr Interesse an diesem Thema und weigerten sich strikt zu antworten.

      Elsebeth von Holstein war ohne Zweifel mannbar. Elsebeth war eine erwachsene Frau, mit der Håkon sofort Kinder bekommen konnte. – Margarete wäre ihm zuliebe so gerne schneller gewachsen, aber das ging wohl nicht. Ansonsten hätte Kristoffer bestimmt längst ein paar Ellen zugelegt.

      Erst am nächsten Morgen traf ihr Vater in Vordingborg ein. Er hatte Kristoffer in einem weiteren Brief mitgeteilt, daß er auf Gurre sein Lager aufgeschlagen hatte. Vielleicht war das der Ort, an dem ihre Mutter untergebracht worden war. Gurre war abgelegen. Tief in den Wäldern versteckt, ragte sein hoher Turm auf, der von einer dichten Mauer mit kleinen Türmchen geschützt wurde. Sie mochte diesen Ort nicht so gerne, aber Vater zog Gurre all seinen anderen Burgen vor, denn hier konnte er allein sein. Auf Gurre vermißte sie all das, wovon er frei zu sein sich wünschte. Schon als sie hörte, daß der Brief aus Gurre geschickt worden war, wußte sie, daß etwas bevorstand, was weit dramatischer war als Håkons Aufstand gegen seinen Vater. Und sie erwartete das Schlimmste, auch wenn er ja eigentlich als Sieger heimkehrte.

      Er ritt zwar mit fliegenden Fahnen auf Vordingborg ein, aber übersah Margarete und Kristoffer, die im Burghof zur Begrüßung standen. Er ging einfach an ihnen vorbei und lief geradewegs in die Burg. Nur wenige folgten ihm. Sie aßen allein mit Eberstein und den drei jungen Schildknappen, die Vater Kristoffer in seiner Abwesenheit zur Seite gestellt hatte. Es herrschte keine Heiterkeit und keine Feststimmung, weder der Sieg noch die Rückkehr des Königs wurden richtig begangen. Drei lange Tage dauerte es, bevor Kristoffer und Margarete wieder hoch in die Burg umzogen. Sie verstanden das nicht, schließlich herrschte doch jetzt Frieden im Land, sogar in Schweden war wieder Frieden eingekehrt, Schonen war zurückgewonnen, und Gotland gehörte zum dänischen Reich. Gerade jetzt konnte man doch aus den klammen Steinhäusern der inneren Burg hinunter in die warmen Holzhäuser der Vorburg ziehen. Dort gab es mehr Platz, es war nicht so laut, und im Sommer war es schön kühl. Das ganze Jahr über in den Steinhäusern zu wohnen war gleichbedeutend mit Unfrieden – das hatten die beiden mittlerweile gelernt.

      Margarete sah ihren Vater erst, als sich der gesamte Hof im Hauptsaal zum Essen versammelte. Er selbst aß nicht viel, trank nur Wasser und sprach mit niemandem. Es schien, als sei es ihm beinahe zuwider, überhaupt jemanden in seiner Nähe zu haben. Margarete vergaß vor Aufregung zu essen, obwohl sich die Tafel unter den herrlichsten Gerichten förmlich bog. Sie hatte nur Augen für ihren Vater.

      Etwas an ihm war gänzlich verändert. Sie hatte junge Knappen in den Krieg ziehen und zurückkehren sehen, entstellt durch furchtbare Verletzungen, verstümmelte und fehlende Gliedmaßen. Die Verwandlung ihres Vaters war nicht so offensichtlich. Aber es war etwas geschehen. Etwas, das sich in all seinen Zügen widerspiegelte: Seine Schultern, die früher so breit und kräftig gewesen waren, fingen an rund zu werden. Seine geraden langen Beine waren vom vielen Reiten ganz krumm. Der Bart war lang und voll, aber sein Kopfhaar lichtete sich und wurde dünner. Er sah keinem ins Gesicht, auch ihr nicht. Er verließ den Saal und ging in Begleitung eines Priesters, den sie noch nie zuvor gesehen hatte, in die Kapelle und schloß sich dort ein.

      »Vater wird bestimmt bald wieder auf Reisen gehen«, sagte Kristoffer voller Zuversicht nach dem Essen, das sie so traurig gemacht hatte. Kristoffer schien nichts bemerkt zu haben.

      »Du wirst doch nicht einen Aufstand gegen Vater anstiften, so wie Håkon?« fragte sie ernst und zog an seinem Ärmel, um ihn festzuhalten.

      »Die Schweden schaffen das schon allein«, antwortete er. Sie verstand seine eigenartige Sorglosigkeit nicht. Sah er denn nicht, was sie sah?

      »Was ist dort auf Gotland geschehen?« fragte sie. Vielleicht konnte sie Kristoffer dazu bringen, ihr Dinge zu erzählen, für die sie laut Eberstein noch zu jung war, um sie zu verstehen.

      »Er hat Visby eingenommen«, sagte er ausweichend und wollte sich frei machen. Aber sie ließ ihn nicht los, und so fuhr er fort: »Die Bauern haben sich gegen sein Heer erhoben, die Stadt aber nicht. Als das Bauernheer dann auf der Flucht um Hilfe bat, gewährte ihm die Stadt keinen Schutz. Vaters Männer haben sie alle getötet.«

      »Alle Bauern Gotlands?« fragte sie entgeistert und ließ seinen Ärmel los.

      Gemessen an der Ermordung aller gotländischen Bauern, war ihr Wunsch, Håkon den Brief über den Herzog von Finnland zu schicken, eine sehr kleine Sünde. Eigentlich könnte sie die Kuriere jetzt sofort aufsuchen. Vielleicht würden sie sich weigern, einen Brief zu einem Mann zu bringen, mit dem sie gar nicht mehr verlobt war. Aber sie mußte es wenigstens versuchen.

      4.

      Margarete hatte sich damit abgefunden, nun nicht mehr Håkons Verlobte, sondern nur noch Tochter und Schwester zu sein. Das war ihr im ersten Jahr sehr schwer gefallen, und zwischendurch hatte sie mit Bemerkungen immer wieder ihre Gedanken verraten. Eberstein hatte sie dann kurz und schnell berichtigt, Vater hingegen hatte ihr immer und immer wieder erklärt, daß die Hoffnung noch nicht verloren war. Doch Margarete hoffte schon lange nicht mehr.

      Die schwedische Gesandtschaft traf eines späten Abends auf Vordingborg ein. Ein kalter Regen hatte alle schon seit langem ans Haus gefesselt. Der Winter wollte einfach nicht kommen. Statt des erwarteten Schneefalls regnete es in Strömen, dazu kamen Schneeregen und Hagel.


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