Die Winterkönigin - Ein historischer Roman. Maria Helleberg
Als sie den Kopf fortdrehen wollte, hielt er mit einer Hand ihr Kinn fest und blickte ihr in die Augen.
»Du hast mich gebeten, den Herzog von Finnland zu beschützen, als er auf der Flucht war«, sagte er. »Aber du hast auch hinzugefügt, daß ich mich so entscheiden soll, wie ich es für richtig halte. Du bist wirklich die Tochter deines Vaters.«
Er beugte sich zu ihr, schloß die Augen und küßte sie mit einem kleinen Seufzer auf die Stirn. In diesem Augenblick hätte sie alles gegeben, um endlich erwachsen zu sein. Es würden noch so viele Jahre vergehen, bis sie mannbar wäre. So lange konnte er bestimmt nicht warten.
»Was ist aus deiner Braut Elsebeth geworden?« fragte sie, denn der Name war wie ein Blitz in sie gefahren. »Hast du sie geheiratet?«
»Ach nein, das haben Gott und der Erzbischof von Lund geregelt«, antwortete Håkon leise. »Der Wind und die starke Strömung haben ihr Schiff an die Küste Schonens getrieben. Sie ist jetzt wieder zurück in Holstein, und ich bin hier bei dir.«
Sie errötete erneut, senkte den Kopf und starrte auf den Tisch. Vielleicht könnte ihr Vater dafür sorgen, daß sie schneller mit Håkon verheiratet wurde.
Noch immer sehr verwirrt, sah sie sich die Gesichter der hier Versammelten an. Heute abend waren wenigstens auch Frauen am Tisch, Blanka mit ihren zwei Zofen und Eberstein. Die übrigen Gäste waren Männer. Sie hoffte so sehr, daß ihr Vater jetzt endlich erkennen würde, was ihrem Haus fehlte.
Kristoffer fehlte.
Sie hatte ihn ganz vergessen, ihre Gedanken an Håkon hatten ihn verdrängt. Kristoffer war gleichzeitig mit ihr in Vordingborg angekommen. Vielleicht war er wieder krank geworden. Der Sommer war sehr hart für ihn gewesen. Er war bei der Überquerung des Flusses vom Pferd gefallen und hatte sich danach nicht mehr richtig erholt, war sehr kränklich und schweigsam geworden. Vater hatte ihn auch zum wiederholten Male darauf hingewiesen, daß er kein kleiner Junge mehr sei, sondern ein erwachsener junger Mann von zwanzig Jahren, der schon längst hätte verheiratet sein sollen.
Sie wollte ihren Vater nach Kristoffer fragen, aber der war in ein Gespräch vertieft. Der Anblick seines lebhaften und frohen Gesichtsausdruckes überwältigte sie vor Freude. Ja, genauso war er früher gewesen, als sie noch ein Kind war und bevor ihre Mutter krank wurde. So hatte er damals gelacht, lauthals, und mit seinem Lachen alle Gespräche übertönt. Er unterhielt sich mit Blanka in einer Sprache, die sie nicht verstand. Aber sie erkannte, daß es Französisch war. Dann hatte er doch nichts gegen Blanka, wie sie zuerst gedacht hatte. Das war gut so, jetzt hatte sie Håkon endlich wieder zurück.
»Holt die Musiker herein!« rief ihr Vater auf dänisch und erhob sich. Jetzt sah er wieder aus wie der alte König Valdemar, und das war Blanka zu verdanken. Drei kleine Männer näherten sich der Tafel mit Laute, Harfe und Trommeln. Sie verneigten sich tief vor dem König und der schwedischen Königin. Sie erhob sich nicht, sondern neigte zur Begrüßung nur ihren Kopf mit geschlossenen Augen. Sie muß sehr müde sein, dachte Margarete. König Magnus war mit den Speisen beschäftigt, doch als er die Musiker mit ihren Instrumenten sah, lehnte er sich an Blanka vorbei hinüber zu König Valdemar.
»Woher kommen Ihre Musiker?« fragte er interessiert, während Valdemar wieder Platz nahm. »Sind sie aus Paris oder Reims? Unsere letzten Musiker kamen aus Reims, nicht wahr?«
Zum ersten Mal seit Ankunft des Besuches wirkte Margaretes Vater verwirrt. Er sah zu den Musikern hin und biß sich auf die Lippen. Dann plötzlich kehrte sein Lächeln zurück, und er lehnte sich mit einer solchen Wucht auf den Tisch, daß das Holz nur so krachte.
»Ich glaube, sie stammen alle aus Randers!« rief er heiter und winkte sie herbei, um Genaueres zu erfragen.
Margaretes Blick ruhte unbeirrt auf Blankas Gesicht. Diese lehnte mit ausgestreckten Armen und geschlossenen Augen in ihrem Stuhl, so als würde sie nichts von dem wahrnehmen, was um sie herum geschah. Aber ein Lächeln hatte sich auf ihrem Gesicht ausgebreitet. Es war eine Mischung aus Zärtlichkeit, die man für ein Kind empfindet, und leisem Spott für jemanden, von dem man weitaus mehr verlangen kann, als man es tut.
»Wie viele Pferde haben Sie bei sich?« fragte König Valdemar, während er sich das Essen munden ließ. Er kaute fröhlich drauflos und schaute erwartungsvoll zu König Magnus. Nun war es an ihm, sich ratlos im Saal umzuschauen, als sei von dort eine Antwort zu erwarten.
»Weißt du das, Blanka?« fragte er schließlich. Blanka legte ihr feines kleines Silbermesser auf den Teller, nahm ihre Serviette, tupfte damit beide Mundwinkel ab und steckte sie wieder zurück in ihren Ärmel, bevor sie anfing, alles aufzuzählen, was sie in ihrem Gefolge mit sich führten. König Magnus entfuhr ein erleichterter Seufzer, und er nahm einen großen Schluck von dem Rheinwein. Margarete beobachtete, wie er seine Augen vor Genuß schloß und bald darauf den Zeremonienmeister zu sich winkte, um den Becher auffüllen zu lassen. Blanka bemerkte das alles nicht, sie arbeitete.
5.
Der Nebel lag noch immer dicht und schwer über der ganzen Gegend. Valdemar ritt ohne Hast, und der Falke auf seinem Arm behielt seine Haube auf. Schließlich hielt er an und gab den Vogel an den Falkner zurück. Das verwirrte Margarete. Diese Jagd war ihr zu Ehren veranstaltet worden, denn sie hatte am selben Morgen ein Geschenk von Håkon erhalten, als Besiegelung ihrer Verlobung. Das Geschenk war ein weißer isländischer Jagdfalke, und sie hatte das wertvolle Präsent sehr stolz mitgenommen. Es war das erste Mal gewesen, daß ihr Vater sie mit auf eine Jagd nahm.
»Weiß!« hatte ihr Vater ausgerufen, als das Geschenk überreicht wurde. Er selbst liebte schwarze Pferde und schwarze Jagdhunde – Hunde, so schwarz wie ein Heer des Teufels aus der Dunkelheit, hatte sie andere sagen hören. Es schien, als ob er dieses Geschenk als persönliche Kränkung empfand. Und darum hatte er jetzt auch keine Lust, mit ihm jagen zu gehen.
Es begann wieder zu regnen. Er kam auf sie zugeritten und ergriff ihre schlaff herunterhängenden Zügel. Sie würden auf der Stelle zur Burg zurückkehren. Auf dem Heimweg machten sie halt unter ein paar großen Bäumen und warteten, geschützt von ihren hochgeschlagenen Kragen und Kappen, daß der Regen nachließ. Sie spürte, daß ihr Vater das Gefühl hatte, er würde seine Zeit vergeuden. Wenn er unzufrieden war, strahlte er die Unruhe eines wütenden Tieres aus.
»Nun bist du mit einemmal wichtig für sie geworden«, sagte er, während der Eisregen auf sie niederging. Ihr Vater merkte das gar nicht, aber Margaretes Kappe war durchnäßt, und die eisige Feuchtigkeit kroch ihr den Nacken und Rükken hinunter.
»So wichtig, daß sie ihren Sohn auf dich loslassen wie einen Birkhahn auf eine Henne! Du sollst wissen, daß ich ihnen nicht vertraue. Wir müssen zusehen, daß wir dich bald mit ihm verheiraten, auch wenn es vielleicht ungehörig wirken mag. Aber sonst laufen wir Gefahr, daß sie sich wieder nicht an die Absprache halten. Verstehst du das?«
Das traf sie wie ein Peitschenschlag. Sie nickte betroffen. Der Jagdfalke auf ihrem Arm war schwer, sie würde das Geschenk von Håkon leider nicht ausprobieren können.
»Du hast ihm doch damals geschrieben, als er dich verraten hatte«, sagte er dann in einem milderen Tonfall. »Was hast du ihm eigentlich geschrieben?«
»Der Herzog von Finnland hatte mich um Asyl gebeten«, antwortete sie. Ihren Vater konnte sie nicht anlügen. Er würde die Wahrheit früher oder später sowieso erfahren.
Sie hatte nicht erwartet, daß er plötzlich in schallendes Gelächter ausbrechen würde. Er griff ihren Arm und schüttelte sie sanft.
»Oh, du süßes wunderbares Mädchen, die es allen recht machen will!« sagte er. »Sogar dem Liebhaber von Håkons Vater wolltest du helfen. Jetzt weiß ich, daß alles gutgehen wird. Mein kleines gutes Mädchen! Gott sei’s gedankt, daß du ihm nicht noch mehr geholfen hast. Sie erschlugen ihn, als er sich nach Schonen wagte.«
Dann gab er seinem Pferd die Sporen und machte sich auf den Weg zurück zur Burg. Die Heiterkeit kam und ging bei ihm in schnellem Wechsel. Margarete wußte nicht, was sie noch hätte sagen können. Sie wünschte sich nur, daß er sie so schnell wie möglich Håkon zur Frau geben würde.
Diese