Die Winterkönigin - Ein historischer Roman. Maria Helleberg
Königskind, wurde sie genannt.
Schon am Hochzeitstag hatte sie ihren Håkon über die Mecklenburger befragt, und es war ihr gelungen, einige wenige, aber wichtige Informationen aus ihm herauszulocken. Die Schwester seines Vaters war verheiratet mit dem Herzog von Mecklenburg. Diese Ehe schien damals eine gesunde Allianz, da Schweden in Magnus nur einen Kindskönig hatte, der seit seinem dritten Lebensjahr sowohl König von Norwegen als auch von Schweden war.
»Mein Großvater, Herzog Erik, wurde von seinem eigenen Bruder, König Birger, auf Nyköpinghus ermordet. Aber das weißt du sicherlich schon längst«, hatte ihr Håkon erklärt. Doch sie hatte keine Ahnung, hatte weder von einem Herzog Erik noch von einem König Birger aus Nyköping gehört.
Später wurde es immer offensichtlicher, daß die Mecklenburger die Hoffnung hegten, Schweden zu unterwerfen, um sich daran zu bereichern. Leider waren die Adligen unzufrieden mit König Magnus gewesen und hatten sich zuerst an den einen seiner Söhne, dann an den anderen und schließlich an die Mecklenburger gewandt, um ihn loszuwerden.
Das hatte irgend etwas mit dem Herzog von Finnland zu tun. Aber sie traute sich nicht mehr zu fragen, denn die Schweden reagierten merkwürdig, wenn sie seinen Namen nannte.
Sie ließ sich von ihrem Pferd gleiten, um endlich Akershus in Besitz zu nehmen, das Haus ihres Mannes, Håkons feste Burg.
Vater hatte oft von dieser uneinnehmbaren Burg gesprochen, aber erst jetzt begriff sie, was er damit gemeint hatte. Sie sah aus wie eine geballte Faust. Man konnte nicht direkt bis in die Kernburg reiten, sondern mußte durch viele Gänge mit Falltüren, Fallgittern und steilen Treppen, um in ihr Inneres zu gelangen.
Sie hatte gedacht, daß in Dänemark soviel Unfriede herrschen würde, vor dem man sich schützen mußte – hier schien es noch viel schlimmer zu sein. Sie hatte gedacht, Dänemark sei nach der Pest und all den Bürgerkriegen vor der Regentschaft ihres Vaters vollkommen verarmt. Ein Irrtum.
Blanka hatte zwar versucht, sie schonend auf das vorzubereiten, was sie hier in Norwegen erwarten würde. Aber sie war auf der Hochzeit zu benommen gewesen vor Freude über das weiße Kleid, den goldenen Kranz von der Jungfrau Maria, Håkons schöne schlanke Gestalt an ihrer Seite. Während der langen Messe war sie eingeschlafen und das Kleid verrutscht, auf das ihr vorher Rote Bete gefallen war. Aber Håkon hatte sie zum Tanz geführt. Er hatte sie auf seinen Schultern getragen und war mit ihr durch die Menge getanzt.
Oslo löste in ihr keine Begeisterung aus. Die Stadt war klein und lag fast ängstlich hinter der Burg. Es gab nur wenige Häuser, und die Kirchen waren nach der Pest nur noch halb voll. Eine der größeren Kirchen war bereits ganz baufällig, gewaltige Holzgerüste im Chorraum drohten jederzeit einzustürzen, und die Fenster waren mit Brettern vernagelt. Sie mußte Håkon bitten, dagegen etwas zu tun, wenn er zurückkehrte. Wie kostspielig das wohl sein mochte?
Wenn doch nur Blanka bei ihr sein würde. Sie hatte versprochen, daß sie auch nach Oslo kommen würden. Schließlich hatten sie und König Magnus nicht so viele andere Orte, an denen sie sich niederlassen konnten. Kristoffer hatte Margarete mit aufrichtiger Sorge in der Stimme gefragt, ob sie denn wirklich mit ihrer Schwiegermutter unter einem Dach wohnen wolle. Sie hatte nur gelacht und ihm erklärt, daß es noch Jahre dauern werde, bevor sie ihre eigene Herrin sei, auch wenn sie schon Königin war. Auf Akershus regierte Frau Merete, und sie würde sicherlich dafür sorgen, daß es noch lange so bliebe.
Blanka hatte Margarete ihren mit Marderfell gefütterten Mantel geschenkt. Das himmlisch weiche Fell erinnerte sie an Blanka, sie fand sogar, daß der Mantel immer noch ihren süßen Duft ausströmte. Wie mußte Håkon glücklich sein, daß er sein ganzes Leben lang so eine Mutter gehabt hatte.
Aber Blanka war nicht da, und keiner machte sich die Mühe, ihr zu erklären, wo sie sich gerade aufhielt. Sie hatte die ganze Zeit auf Akershus und auf Tunsberghus gelebt und ihrem jungen Sohn beim Regieren geholfen. Håkon war auch nicht da, er hielt sich in Bergen auf und versuchte, ein Heer für seinen Vater aufzustellen, der Schweden zurückerobern wollte. So als hätte er noch ein schlechtes Gewissen wegen seines Verrats. Sie wußte, daß er ihr gegenüber eines hatte, und das stimmte sie mild.
Frau Merete erwartete sie im engen, inneren Burghof. Margarete kam schlechtgelaunt aus den verwinkelten Ecken der Burg, sah sich um, hielt die Luft an und dachte: Das kann einfach nicht wahr sein. Hier kann man nicht leben! Der höchste Turm nahm ihnen sowohl die Luft als auch das Licht, er beugte sich förmlich in den Burghof, massiv und schwer.
Frau Merete hatte sich nicht im geringsten verändert. Sie war noch immer dieselbe große schöne Frau wie auf ihrem Verlobungsfest in Kopenhagen.
Margarete wollte gern ein paar Worte über ihr Wiedersehen und über Norwegen sagen, aber Frau Merete hatte keine Zeit für so etwas. Sie habe ja nun Margarete unter ihrer Aufsicht, teilte sie ihr mit. König Håkon habe ihr die Erziehung seiner Königin übertragen.
Erziehung? dachte Margarete. Sie war doch bald erwachsen. Sie hatte genug Zeit gehabt, sich ein Bild vom Leben in Norwegen zu machen, und Blanka war dabei sehr wichtig gewesen. Von Håkon ganz zu schweigen. Wenn sie noch Erziehung benötigte, dann könnten die beiden das übernehmen. Mutter und Sohn.
Norwegen hatte sie mürrisch gemacht. Das Land sah so anders aus als das, was sie darüber wußte. Die Ankunft hatte sie sich auch anders vorgestellt, so wie die Einfahrt in den Hafen von Nyborg oder Vordingborg. Sie war irritiert von dem Anblick, der sie erwartete. Die Stadt lag eingeklemmt im Fjord, zu allen Seiten erstreckten sich Berge, die soviel höher waren als die zu Hause. Nun war es Sommer, aber im Winter und bis weit ins Frühjahr hinein lag Schnee auf den Felsen. Während sie vom Hafen zur Burg hochritten, hatte sich Margarete sehr genau umgesehen. Sie würde viel ausreiten und die Umgebung erkunden müssen. Aber es schien, als ob gleich hinter den Städten und der grauen Kirche in Aker die dichten Wälder beginnen würden.
Vater kannte die ganze Welt. Er war sogar schon in Jerusalem gewesen, am Heiligen Grab, und in Deutschland, Frankreich und England. Sie hingegen war auf die Bilder in den Büchern der Priester und an den Wänden der Kirchen angewiesen gewesen. Norwegen hatte nichts gemein mit diesen bunten Bildern. Vater hatte versucht sie auf seine nachlässige und abgehetzte Art vorzubereiten. In ihrer neuen Heimat sei fast jeder zweite Mensch der Pest zum Opfer gefallen, das Land habe seit über vierzig Jahren keine eigene Regierung mehr gehabt, die Armut habe sich darin ausgebreitet und sogar schon die großen Städte erreicht. Das einzig Gute daran, Königin von Norwegen zu sein, wäre, daß es dort keine Adligen und Fürsten geben würde, die so brutal und hochmütig wie die Schweden waren.
Sie versuchte sich an all das zu erinnern, während sie da vor Frau Merete stand, die unbeirrt ihre neuen Pflichten aufzählte. Frau Merete war Schwedin. Auch in Margaretes Wohngemächern gab es keine einzige Norwegerin, abgesehen von den Dienstmädchen, die in der großen Burgküche arbeiteten. Und in den Wohngemächern herrschte Frau Merete. Diese Frau hatte nicht die Absicht, auch nur einen Zoll zu weichen, und schon gar nicht einem Kind, das sie nun unter ihrer Aufsicht hatte.
Frau Merete beendete ihre Anweisungen zum korrekten Verhalten, räusperte sich, faltete ihre Hände im Schoß zusammen und sagte mit verräterisch milder Stimme: »Und nun wird uns Margarete erfreuen, indem sie zeigt, wie gut sie zugehört hat, und alles wiederholt, was ich soeben gesagt habe.«
»Ich kann mich nicht an jedes Wort erinnern«, antwortete sie mit dünner, ängstlicher Stimme und wußte sofort, daß sie damit keinen guten Eindruck machte.
»Dann müssen Sie das dort eben jeden Tag lernen«, sagte Frau Merete mit derselben Stimme und wies mit einer ausladenden Handbewegung hinauf zu den Steinhäusern. Auf Akershus wohnte man offenbar das ganze Jahr über in der inneren Burg und nicht in den gemütlichen, geräumigen und licht- und luftdurchfluteten Häusern in der Vorburg. Margarete war auf das Schlimmste gefaßt. Von nun an mußte sie auf der Hut sein und verhindern, daß Frau Merete ihre Fehler und Versäumnisse entdeckte.
»Meine Mutter, Frau Birgitta, hat mich gelehrt, nicht sparsam zu sein mit der Rute, wenn man sie mit Liebe benutzt und damit das Gute zum Vorschein bringt«, erklärte Frau Merete und zeigte dabei auf die lange Rute, die deutlich sichtbar an der Innenseite der Tür hing.
Margarete