Die Winterkönigin - Ein historischer Roman. Maria Helleberg
Gras war vollkommen durchweicht, der Schlamm widersetzte sich jeglicher Trokkenlegung, obgleich jeden Tag Sand und Kies gestreut wurden.
Sie hatte bis zu diesem Tag keine Antwort auf ihren Brief an Håkon erhalten. Mit großer Sorgfalt hatte sie damals das Siegel unter das Schriftstück gesetzt, damit es aussah wie ein offizielles Schreiben. Der Kurier war zurückgekehrt, und sie hatte ihm zur Belohnung einen kleinen Ring gegeben, den sie vor langer Zeit von ihrer Mutter geschenkt bekommen hatte. Er hatte sich geweigert, ihn anzunehmen. Vor ihr kniend, hatte er beteuert, daß es seine Pflicht und Schuldigkeit sei, dem König und seinen Kindern zu dienen. Aber sie hatte ihm dennoch den Ring überreicht, und nun trug er ihn.
Sie vermißte den Ring, schließlich hatte sie so wenig Dinge, die sie an ihre Mutter erinnerten. Aber sie hatte dem Kurier doch ein Geschenk geben müssen. Sie konnte nicht einfach allen Leuten befehlen, dies oder jenes für sie zu tun, so wie ihr Vater es tat.
Nun stand sie also vor dem Haus in dieser feuchten Luft, die sich auf ihre Haut legte und ihr Haar schwer machte, und sie beobachtete, wie die Fremden auf Vordingborg eintrafen. Die drei vordersten Pferde trugen große Decken, die vor Nässe nur so trieften. Wie schwer das für die Tiere sein mußte, überlegte Margarete. Die Pferde wirkten sehr erschöpft und trotteten mit hängenden Zügeln umher. Nur der Reiter an der Spitze des Zuges schien sich sehr genau umzusehen. Margarete war davon überzeugt, daß der Reiter eine Frau war, obwohl die Person in viele Lagen Kleider und Mäntel gehüllt war. Sie ließ sich als erste vom Pferd gleiten und zog sich die Handschuhe aus.
Margarete war neugierig und ängstlich zugleich. Die Fremden mußten ohne das Wissen ihres Vaters gekommen sein, er hätte seinen Hof ansonsten auf sie vorbereitet. Dann hätte nämlich jemand die Gäste in Empfang genommen und ihr Banner neben dem des Königs auf dem Turm gehißt.
Vater hielt sich zur Zeit meistens oben in der Burg auf und zeigte sich sehr selten. Er hatte sich von seiner Umwelt zurückgezogen, war nur von wenigen Dienern umgeben, und nahm seine Mahlzeiten allein im Turm ein. Aber spätestens jetzt müßte er sich doch zeigen, dachte sie, er müßte herunterkommen und seine Gäste willkommen heißen. Es waren schließlich vornehme Leute.
Sie waren lange und ohne großes Gefolge unterwegs gewesen. Nur fünf Pferde trugen Spaltsattel, die mit Gepäck beladen waren. Sie führten weder Wagen noch Pferde zum Wechseln mit sich, darum waren die Tiere auch so erschöpft.
Verlegene Stalljungen und Knappen tauchten auf und nahmen sich der Pferde und Gäste an, die nur zögernd ihre Füße auf das matschige Gras von Vordingborg setzten. Aus der Burg war noch immer niemand heruntergekommen. »Ist denn keiner in der Burg?« fragte die Frau. Sie ging ein wenig auf und ab, mit den Handschuhen in der einen Hand. Schließlich griff sie mit der anderen nach einem Stalljungen. Ob denn der König nicht in der Burg sei, fragte sie erneut. Er zeigte wortlos und mit roten Wangen auf das Banner und führte ihr Pferd an den Zügeln fort. Das genügte ihr nicht als Antwort. Sie raffte ihre langen Röcke zusammen, die ihre Füße umwallten. Alles war schon ganz steif vom Schlamm, aber sie wollte es wohl nicht noch schlimmer kommen lassen.
Sie hatte Margarete entdeckt, die sich in diesem Moment wünschte, gar nicht erst aus dem Haus gegangen zu sein. Vom Fenster aus hätte sie alles sehr gut unbeobachtet verfolgen können. Nun würde sie wieder für etwas herhalten müssen, wie damals, als der Herzog von Finnland sie aufsuchte. In diesem Augenblick kam ein Mädchen aus Ebersteins Haus vorbei, und Margarete fragte sie, wer die Fremden seien.
»Das sind Schweden«, sagte sie und rümpfte die Nase.
Das konnten doch unmöglich ihre Schweden sein, schoß es ihr durch den Kopf. Sie war noch nicht bereit dazu. Sie hatten sie ohne Freude angenommen, waren zu ihrer Verlobung gar nicht erst erschienen und hatten ohne jede Erklärung mit ihr und ihrem Vater gebrochen und den Ring zurückgefordert. Und jetzt suchten sie sie hier auf. Die wollen sich absichern, dachte sie, und sie entführen, so wie in den Märchen und Liedern, die sie kannte. Bald würde sie in Schweden sein, wo alle machen durften, was sie wollten, sogar sich gegen den eigenen Vater auflehnen und ihn aus dem Land jagen.
Sie konnte nicht mehr fliehen. Die Frau in den wallenden Gewändern stand bereits direkt vor ihr. Margarete wollte sie nicht grüßen. Vielleicht würde die Fremde auch glauben, sie sei ein Bettelkind. Aber nein! Die Frau hatte schon alle ihre Röcke angehoben und ging in diesem Augenblick vor ihr in die Hocke.
»Wie du doch deiner Mutter ähnelst«, sagte sie und streckte ihr eine Hand entgegen. »Du bist meine kleine Schwiegertochter. Ich heiße Blanka und bin Håkons Mutter, einst Königin von Schweden und nun Regentin von Norwegen. Komm mit mir, mein hübsches Mädchen, wir werden gemeinsam deinen Vater suchen.«
Die Hand, die ihre ergriff, war klein, aber kräftig. Ihre Augen waren wie die von Margaretes Mutter, schmal und dunkel, aber offen und lebendig. Ihr Gesicht war rund und glatt, doch als sie lächelte, tanzten tausend kleine Falten darauf. Sie war doch nicht so jung, wie Margarete zuerst gedacht hatte.
Hand in Hand gingen sie hinauf zur Burg. Margarete sah über ihre Schultern zurück, aber Blanka hielt sie fest an der Hand und zog sie weiter.
»Sei vorsichtig, kleines Mädchen, damit du nicht stolperst«, sagte sie. Margarete jedoch begriff, daß es um etwas anderes ging. Nur mit ihr an der Hand konnte Blanka überhaupt bis zum König gelangen und dort Gehör finden. Es war kein Zufall, daß ihr Vater die Schweden so lange in der Vorburg hatte warten lassen. Er ließ seine Handlungen nicht von so einem unberechenbaren Besuch steuern.
Während sie zur Burg hochstiegen, merkte sie auf einmal, wie die Kälte vom Wasser herüberkam. Der Regen wurde von einem kalten Wind getragen, und kleine Schneeböen schlugen gegen ihre Rücken. Blanka nahm ihren Pelzmantel ab und legte ihn um Margarete, so daß sie vor dieser unwirtlichen Welt versteckt und geschützt war.
Ihr Vater stand draußen vor dem Turm, die Hände in die Seiten gestemmt, und wartete ungeduldig, was die Fremde ihm zu sagen hatte. Er trug sein langes Schwert, wie Margarete verwundert feststellte. Ob er auch die Rüstung unter seinem Gewand anhatte? Seinen Bart hatte er wohl gestutzt, denn er sah wieder so aus wie vor dem Krieg auf Gotland. Aber damals hätte er diese Gäste mit Respekt empfangen. Nun tat er so, als würden sie ihm seine kostbare Zeit stehlen.
Blanka kniete vor ihm nieder, und Margarete tat es ihr nach. Lieber wollte sie knien, als neben ihr mit dem schweren Pelzmantel auf den Schultern stehen zu bleiben.
»Magnus, Håkon und ich sind gekommen, um die Gnade des dänischen Königs zu erbitten«, sagte sie mit ihrer süßen singenden Stimme. »Unsere Jungfrau Maria hat mir meine Schwiegertochter geschickt, das erste freundliche Gesicht im Hause der dänischen Krone.«
Blanka ließ sie nicht los. Margarete bewegte sich nicht und merkte, wie Kälte und Feuchtigkeit aus den runden Steinen durch Strümpfe und Kleider drangen und sich um ihre Beine legten. Der Schnee wirbelte um den Turm. Ihr Vater stand geschützt, aber der Schnee legte sich auf Blankas dunklen Mantel und auf ihren Hut, der ihr Haar verbarg. War sie genauso schwarzhaarig wie ihre Mutter Helvig? Wenn Vater sie doch nur endlich hereinbitten würde. Aber er schwieg.
»Wir haben keinen Ort, an dem wir uns ausruhen und Schutz vor diesem Wetter finden können«, sagte Blanka schließlich. »Wir haben keine anderen Freunde und keinen, bei dem wir Zuflucht finden können. Unsere Pferde sind am Rande der Erschöpfung. Bitte gestatten Sie uns Einlaß, vergeben Sie uns, und gewähren Sie uns Unterschlupf.«
»Vergebung, Obdach, Schwägerschaft, Geld, Heer und Verhandlungsbeistand«, erwiderte ihr Vater. »Wir haben Ihnen Zugang zu Vordingborg gewährt, der Rest wird folgen.«
Blanka erhob sich sofort, als hätte sie keine andere Antwort erwartet. Dennoch ließ sie Margaretes Hand nicht los. Sie aber wollte viel lieber zurück in die Vorburg und endlich Håkon sehen. Er war doch auch in ihrem Gefolge. Sie mußte dafür sorgen, daß er nicht sofort wieder aus ihrem Leben verschwand.
Als sie sich gerade umdrehen wollte, um die beiden zu verlassen, traf ihr Blick den ihres Vaters, und sie gab ihr Vorhaben augenblicklich auf. Das würde er nicht billigen.
»Es ist so lange her seit meinem letzten Besuch auf Vordingborg«, sagte Blanka. »Vergeben