Die Winterkönigin - Ein historischer Roman. Maria Helleberg
ihn wieder, den schönen Mann, den Herzog von Finnland. Er saß auf der Bank zwischen den Rosen. Die hatte Vater in Avignon vom Papst geschenkt bekommen, aber sie wollten hier in Kopenhagen nicht so recht wachsen. Sie sah ihn dort sitzen, nachdem sie die Turmtreppe heruntergelaufen war und mit großer Mühe die schwere Tür zum Garten geöffnet hatte. Sie verstand selbst nicht, warum sie ihn nicht sofort grüßte, sondern sich versteckte. Aber ihr war auf einmal bewußt, daß er nicht auf sie gewartet hatte.
Er saß sehr aufrecht und angespannt auf der Bank. Er erinnerte sie an Kristoffer, wenn Vater mit ihm schimpfte. Das Schwert hatte er zwischen seine Beine gestellt und die Hände auf den Schaft gestützt. So saß er und schaute gedankenversunken in den Garten.
Jemand kam die Treppen vom Salzhaus herunter. Es war König Magnus, ihr Schwiegervater. Er trug kein Schwert und war mit einem schweren zerschlissenen Gewand und langen Stiefeln für einen langen Ritt bekleidet. Der Herzog von Finnland sprang von der Bank auf und ließ sein Schwert fallen. Sie gingen aufeinander zu, als aber Magnus die Arme ausbreitete, um ihn zu begrüßen, stürzte der Herzog vor ihm auf die Knie und küßte seine Hand.
»Mein teurer Herr«, sagte er und sah zu ihm hoch.
Sie hörte Geräusche hinter sich und schloß die Tür, so leise sie konnte, und drehte sich kampfbereit um. Sie war bereit, sich jedem in den Weg zu stellen, der diese beiden Männer, die sich im Garten ihres Vaters getroffen hatten, stören wollte. Mein teurer Herr, das war die schönste Anrede, die sie jemals gehört hatte. So wollte sie Håkon begrüßen.
3.
Eines frühen Morgens auf Vordingborg bemerkte Margarete, daß sich etwas verändert hatte. Eberstein war damit beschäftigt, ihre Sachen durchzusehen. Alle Spielsachen waren in einen Sack gesteckt worden; die sollten bei ihrer Abreise an die Waisenkinder in den Klöstern verteilt werden. So hatte es der König befohlen, wie Eberstein ihren Vater nannte. Ihre Stimme hatte dabei immer einen drohenden Klang. Nie nannte sie ihn Valdemar, sie sprach immer nur vom König. Aber Margarete wollte an ihren Vater nicht als den König denken, und auch Valdemar klang so groß, kalt und angsteinflößend, daß sie dabei immer ihren Vater auf dem schwarzen gepanzerten Streithengst vor der Zugbrücke von Vordingborg sah.
»Muß alles weg?« fragte sie vorsichtig, und Eberstein nickte nur.
Margarete wußte genau, daß es keinen Zweck hatte, zu weinen und zu klagen, wenn ihr Vater einen Befehl gegeben hatte. Es war besser, gar nicht erst anzusehen, was Eberstein ihr alles wegnahm, und darum ging sie aus dem Zimmer. Von nun an würde das viele Gepäck, das ihr von Burg zu Burg folgte, immer weniger werden. Wenn sie doch nur schneller wachsen würde. Sie war immer noch so klein.
Als sie zurückkehrte, standen zwei Priester bei Eberstein und warteten auf sie. Eberstein wirkte erleichtert, sie zu sehen, und erklärte ihr, daß diese beiden Priester ihre Lehrer für Deutsch und Latein sein würden. Der König hätte es so bestimmt, da ihr diese Sprachen später von Nutzen sein würden. Im stillen hatte sie gehofft, daß Håkon doch noch erscheinen würde, aber er war nicht nach Vordingborg gekommen.
Als sie nach ihm fragte, erfuhr sie, daß sein Bruder Erik, der zum Aufstand gegen seinen eigenen Vater angestiftet hatte, tot sei. Möglicherweise hatten die Aufständischen sich seiner entledigt, vielleicht hatte ihn die Größe seines Vergehens und seiner Sünden umgebracht. Er war auf jeden Fall tot. Und dasselbe Schicksal hatten auch seine Frau Beatrix und die Zwillinge ereilt, die sie kurz vorher zur Welt gebracht hatte. Es hieß, daß die Pest in Schweden wütete. Beatrix war zuerst krank geworden und hatte ihren Mann angesteckt, als er sie und seine Söhne besuchte.
»Und warum kommt Håkon nicht?« platzte es aus ihr heraus. Eberstein reagierte, wie sie es immer tat. Sie zuckte mit den Schultern und verwies sie an ihren Vater. Margarete war sich sicher, daß Håkon, wäre es nach ihrem Vater gegangen, bereits bei dem mißglückten Verlobungsfest hätte anwesend sein sollen. Es mußte etwas anderes dazwischengekommen sein.
Als ihr Vater gegen Schonen in den Krieg zog, blieb sie zum ersten Mal in atemloser Spannung zurück. Bei seinem Feldzug gegen die aufständischen Jütländer hatte sie keinen Augenblick an seinem Sieg gezweifelt, aber sie hatte auch nicht die geringste Ahnung gehabt, was Krieg bedeutete. In den schönen Büchern jedoch, mit denen sie nun lesen lernte, waren Bilder vom Krieg. Das alles mußte ihr Vater also erleben, Kämpfe mit Lanzen, Streitpferden und Waffen. Die Schläge mit den Schwertern waren nicht so wie auf den Wiesen von Vordingborg. Das waren nur Übungen. Im Krieg aber konnte man sterben.
Es ärgerte sie, daß sie Merete Ulfsdotter und den Herzog von Finnland, an dessen Namen sie sich nicht mehr erinnerte, nicht mehr zu Gesicht bekommen hatte, bevor der Hof Kopenhagen verlassen hatte und nach Vordingborg zurückgekehrt war. Sie hatte ihrem Vater die Bitte vortragen wollen, obwohl sie vermutete, daß er sie ablehnen würde. Ansonsten wären die beiden doch bestimmt sofort zu ihm gegangen.
Nein, Håkon war derjenige, den sie fragen mußte, aber ihn konnte sie nicht erreichen. Noch nicht einmal mit dem Brief, den sie mit soviel Mühe geschrieben hatte. Ihr Vater hatte zwar seine Kuriere, aber sie traute sich nicht, zu ihnen zu gehen und sie zu bitten, den Brief nach Norwegen zu bringen. Håkon müßte doch in Norwegen sein, oder? So sicher war sie sich auf einmal nicht mehr. Sie wollte nach Vaters Rückkehr aus dem Krieg den richtigen Augenblick abwarten und den Brief dann mit einem seiner Kuriere nach Norwegen schicken. Dagegen konnte er doch nichts haben.
Den Brief hatte sie mit ihrem eigenen kleinen Siegel versehen, den Eberstein zusammen mit dem Verlobungsring unter Verschluß hielt. Sie hatte sie gefragt, ob sie sich das Siegelbild ansehen dürfe, und Eberstein hatte ihn ihr ausgehändigt, begleitet von vielen Ermahnungen, damit vorsichtig umzugehen. Aber eigentlich vertraute Eberstein ihr, obwohl sie ganz anders als die milden Mädchen war, die vor der Verlobung auf sie aufgepaßt hatten. Eberstein war barsch, immer ein wenig abwesend und liebkoste sie nur, wenn sie sehr krank war.
Kristoffer erklärte ihr den Zusammenhang zwischen dem Verschwinden der Spielsachen und der Ankunft der Lehrer. Er war sieben Jahre alt gewesen, als er dasselbe erleben mußte. Das machten alle Eltern mit ihren Söhnen so. Ihr Vater hatte damals sogar erwogen, ihn zum Kaiser nach Prag zu schikken, um ihn dort bei sehr guten Erziehern aufwachsen zu lassen. Aber er mußte dann aus gesundheitlichen Gründen zu Hause bleiben, er war ständig krank und wollte nicht recht wachsen. Außerdem war er auch der einzige Erbe. Ingeborg dagegen waren nie die Spielsachen weggenommen worden. Aber mit Margarete sei das eben etwas anderes. Ingeborg lebte ja schon mit ihrem Mann in Mecklenburg. Margarete aber sollte schließlich eines Tages die Königin von Norwegen werden.
»Da wieder Frieden herrscht und Vater Schonen zurückerobert hat, kann es durchaus sein, daß er mich jetzt reisen läßt«, sagte Kristoffer. Sie erkannte plötzlich, daß er, wie eigentlich alle, die sie kannte, immer zuallererst an sich dachte. Sie war sich noch nicht im klaren, ob sie jetzt schon nach Norwegen gehen wollte. Aber sie wußte ganz sicher, daß sie Håkon nun endlich kennenlernen und ihm den Brief schicken mußte. Wenn er ihn nicht bald bekäme, könnte es zu spät sein.
Sie sprach später an diesem Tag noch einmal mit Kristoffer darüber. Alle hatten versprochen, daß ihr Vater sehr bald aus dem Krieg zurückkehren würde. Schonen war mit Leichtigkeit zurückerobert worden, und so war er weiter nach Gotland gezogen und hatte dort die große und bedeutende Handelsstadt Visby eingenommen. Nun waren offenbar alle Kriege überstanden, und er befand sich wohlbehalten auf dem Heimweg.
Ihre Mutter hatte sie seit der Verlobung nicht mehr gesehen. Sie wußte noch nicht einmal genau, wo sie wohnte. Kristoffer hatte gefragt und als Antwort erhalten, sie würde sich an einem Ort aufhalten, der zu ihrem Besten sei. Daraus hatten die Geschwister geschlossen, daß sie immer noch krank war. Aber vielleicht würde Vater sie wieder zurückholen, jetzt, wo er mit guten Neuigkeiten heimkehrte. Die trostlosen Tage waren endlich vorbei, diese Tage voller Ungewißheit.
Aber es kam anders. Kristoffer legte zur Feier des Tages seine schönsten Kleider an, dieselben, die er auch bei der Verlobung getragen hatte. Eberstein hatte sich geweigert, ihr Ingeborgs weißes Kleid anzuziehen. Er kam in dem dichten Nebel auf sie zu, nahm sie an der Hand und ging mit ihr in das Zimmer, das Eberstein ihr vor einigen Tagen eingerichtet hatte. Sie