Die Winterkönigin - Ein historischer Roman. Maria Helleberg
haben sie nicht benutzt, seit Helvig umgezogen ist«, antwortete er in einem Tonfall, als würde er jede weitere Unterhaltung verhindern wollen. »Die Wohngemächer der Königin befanden sich in dem langen Gebäude.« Er zeigte in die Richtung des Hauses.
Blanka war nicht hoch gewachsen, aber wenn sie aufrecht stand, war sie durchaus eine imposante Erscheinung.
»Es ist doch sicherlich nicht so schlecht um sie bestellt, daß man diese Räume nicht wieder öffnen könnte für die Königin von Schweden, ihre Zofen und ihre Schwiegertochter.« Auf einmal sprach da nicht mehr eine demütige Bittstellerin.
Und schon war sie auf dem Weg zum besagten Haus, und Margarete folgte ihr, gleichermaßen verzückt und verschüchtert. Ihr Vater ließ sich von Blankas Benehmen nicht beeindrucken, aber er wußte offenbar auch nicht, wie er sie zum Schweigen bringen konnte.
In dem Augenblick, als sie beide das Haus betraten, konnte sich Margarete plötzlich erinnern. Es war, als hätte Blanka ein Buch für sie geöffnet, das sie vor langer Zeit einmal gelesen hatte. Hier hatte sie ihre ersten Lebensjahre verbracht. Sie erinnerte sich an die großen Kleiderkisten, die an den Wänden standen, an die gemalten Blumenranken, die jedes der schmalen Fenster umrahmten, und an die gelben Steine im Boden.
Blanka sah sich im Raum um und zog sich ihre feuchten und schmutzigen Überkleider und Mäntel aus, eine Schicht nach der anderen. Sie war offenbar nicht zufrieden mit dem, was sie vorfand.
»Hier müssen doch Teppiche an den Wänden hängen, schließlich ist es Winter«, sagte sie. »Irgendwo wird er sicher die schönen Möbel von früher versteckt haben. Es ist ja recht und billig, daß er hervorhebt, ein Freund des Kaisers zu sein! Aber er hat keine Zeit, sich um seine Kinder zu sorgen. Komm her, mein kleines Mädchen, sonst erfrierst du noch.«
Sie wickelte Margarete in ihren Mantel und setzte sie in eine Ecke des Raumes. Dann machte sie sich daran, die Kisten zu öffnen und nach den Wandteppichen zu suchen. Zwei junge Männer kamen herein und brachten neue Kisten, die sie in der Mitte des Raumes abstellten. Blanka rief sie zu sich und wies sie an, die verstaubten Teppiche an die Wände zu hängen und Möbel zu holen.
»Wenn ihr keine finden könnt, dann fragt euren König«, fügte sie spöttisch hinzu. So hatte Margarete noch niemanden über ihren Vater sprechen hören. Ihn fürchteten doch alle – alle außer dieser schwedischen Dame.
Bei ihrem geschäftigen Treiben in den Wohngemächern kam Blanka immer wieder bei Margarete vorbei und lächelte ihr zu. Zum Schluß ging sie vor ihr in die Hocke und legte ihre schmalen Hände auf ihre Schultern. Ihre Finger gruben sich in ihre Haut. Blankas Augen funkelten. Alle sagten, daß ihre Mutter so überirdisch schön sei, aber Blankas Gesicht war noch schöner als das der Jungfrau Maria in der Kapelle von Vordingborg. Man konnte die Augen nicht von ihr lassen. Margarete versuchte, sie zu berühren, und streckte ihre Hand aus. Die schöne zierliche Frau lachte auf, griff nach ihrer Hand und küßte ihre Fingerspitzen.
»Du wunderschönes Kind, man könnte meinen, du seist meine Tochter«, sagte sie. »Du ähnelst deinem Vater nicht im geringsten. Man würde erwarten, daß Valdemar nur große und helle Töchter bekäme. Du wirst einmal eine anmutige und reine Jungfer, aber groß wirst du wohl nie werden.«
Sie nahm einen großen Ring von ihrem Finger und legte ihn in Margaretes Hand, mit dem Gebot, ihn niemandem außer ihrem Vater zu zeigen.
»Wir haben leider so wenig zu geben«, sagte sie. »Aber ich bin so froh, daß mein Jüngster eine von Valdemars Töchtern zur Frau bekommen wird. Håkon ist so schön wie sein Vater. Ihr werdet ein wundervolles Paar. Wenn du zwölf wirst, können wir euch zum Brautbett führen. Wir haben keine Zeit zu verlieren, wir brauchen dringend einen Erbfolger.«
Blanka nahm sie an die Hand und führte sie zu einer der Kisten. Sie kletterten hinauf und saßen mit ausgestreckten Beinen wie zwei Kinder nebeneinander und unterhielten sich. Margarete erzählte Blanka, was für Spiele sie spielte und daß alle ihre Spielsachen von Eberstein weggeräumt und verschenkt worden seien.
»Na ja, eine Puppe dann und wann wird der Königin von Norwegen schon nicht schaden«, sagte Blanka und lachte. »Ich werde dir alle Puppen beschaffen, die du haben möchtest. Ach, ich würde dich so gerne mit nach Tunsberghus in Norwegen mitnehmen. Dort werde ich zusammen mit Håkon wohnen. Tunsberghus gehört mir, weißt du?«
Sie erzählte und erzählte. Über Burg Akershus zum Beispiel, die sie am Anfang so an die Burg ihrer Mutter in Namur erinnert habe, wie sie da erhaben über der Stadt lag. Ihre Mutter, Marie von Artois, habe alles für sie getan, als der junge König Magnus Eriksson mit seinem Gefolge auf Brautsuche nach Namur gekommen sei. Ihre Familie habe nur gewußt, daß Namur mit Schweden viel Handel treibe. Und da stand nun der König dieses Landes in ihrem Empfangssaal. Sie habe noch nie zuvor einen so schönen Mann gesehen und wollte ihn, vom ersten Augenblick an.
Magnus habe besser getanzt als jeder Mann, den sie je zuvor getroffen habe. Am dritten Tag seines Aufenthaltes in Namur habe er sie im Rosengarten aufgesucht und sie ganz zart auf den Mund geküßt. So zärtlich. Und dann habe er um ihre Hand angehalten. Denn er wollte nicht, daß seine Ratsherren für ihn entscheiden. Er hatte sich Blanka ausgesucht und wollte auch, daß sie ihn erwählte.
Margarete lauschte ihr gebannt und verwundert. Sie hatte immer gedacht, daß alle Menschen auf dieselbe Art und Weise zueinander fanden wie sie und Håkon, daß immer die Eltern bestimmten, was gut und nützlich war. Aber sie konnte gut verstehen, daß sich Magnus in Blanka verliebt hatte. Ihre Liebesgeschichte klang wie eine wunderschöne Tanzmelodie.
Die gesamte schwedische Gesandtschaft hatte sich zum Essen in dem großen Saal versammelt. Blanka und sie gingen direkt von den Wohngemächern dorthin. Blanka schien offensichtlich davon ausgegangen zu sein, daß die vornehmen Gäste gebührend gefeiert würden, und glücklicherweise war der dänische König derselben Ansicht gewesen. Blanka hielt Margaretes Hand immer noch fest in ihrer, als sie in den Saal traten. Sie grüßte mit einem anmutigen Nicken nach rechts und links und steuerte zielstrebig zu den vornehmen Plätzen am Tischende neben dem Thron. Der eine Platz neben dem Thron blieb leer.
Margarete bekam den Platz zwischen zwei Männern zugewiesen, von denen sie nur einen kannte. Das mußten König Magnus und sein Sohn Håkon sein. Erst jetzt konnte sie sehen, wie hübsch sie alle waren, die Fremden. Nachdem ihre Mutter verschwunden war, hatte Schönheit keinen Platz mehr gehabt in der Welt ihres Vaters. Der Krieg hatte Valdemars Zeit geraubt, die Wohngemächer der Königin waren verschlossen worden, ihr Hofstaat wurde aufgelöst, und Eberstein war allein verantwortlich für Margaretes Erziehung. Es gab am dänischen Königshof keine Mätressen, keine Hofdamen und Zofen und keine jungen Frauen für ihre Erziehung und Betreuung. Jetzt erkannte sie, was ihnen die ganze Zeit gefehlt hatte. Sogar die Männer besaßen diese außergewöhnliche Schönheit, die ihr auch schon bei dem Herzog von Finnland aufgefallen war.
»Ist sie das?« fragte der jüngere der beiden Männer Blanka. Sie antwortete nur mit einem Nicken.
Erst jetzt wagte sie es, ihn anzusehen. Håkon, der sie und ihren Vater verraten hatte, von dem sie die ganze Zeit versucht hatte, sich ein Bild zu machen: Er war ein erwachsener Mann – und so schön. Er ähnelte seiner Mutter, groß, schlank und dunkel war er, aber seine Gesichtszüge waren die seines Vaters. König Magnus war ein wenig gebeugt und grauhaarig, aber seine Züge waren noch feiner als die seines Sohnes. Auch sein Blick war fest auf sie gerichtet. Sie fühlte sich von allen dreien beobachtet und begutachtet.
»Hättest du gewußt, was für ein bezauberndes Mädchen das ist, das du da verschmäht hast, hättest du doch bestimmt nicht versucht, Elsebeth von Holstein an ihrer Statt zu bekommen, nicht wahr, Håkon?« sagte König Magnus lachend.
Håkon antwortete nicht, sondern sah sie nur lächelnd an. Seine Augen waren wie die Blankas, groß, dunkel und leuchtend.
»Du hast mir einen Brief geschrieben«, sagte er und strich mit seinem Zeigefinger über ihre Hand, vom Handgelenk bis hinauf zum Nagel ihres Mittelfingers. »Ich habe dir den Rücken gekehrt, aber du hast mir trotzdem geschrieben. ›Mein teurer Herr‹ hast du geschrieben. Darf ich es überhaupt wagen zu hoffen, daß du mich