Ulrike Woytich. Jakob Wassermann

Ulrike Woytich - Jakob Wassermann


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in einer galizischen Schenke bis zur Morgenfrühe vor, dann schwemmte er die Melancholie um sein vertanes Dasein mit Wein fort.

      Meine Mutter, sie ist dem Vater bald nachgestorben, war eine schöne Frau und ist in ihrer Jugend viel bewundert und umworben worden. Sie war auch eine starke Frau, aus einem starken Geschlecht, wovon ein Beweis ist, dass weder sechs Geburten noch die Armseligkeit der Verhältnisse etwas über sie vermochten. Sie verstand ihr Leben zu geniessen, und die Leute munkelten allerlei; es gab auch viel Zank und Streit zwischen ihr und meinem Vater, so dass das Familienleben bei uns jedenfalls kein erquickliches war; aber wenn ich mir ihr Bild zurückrufe, hab ich eine stattliche stolze Dame vor mir, und die Erinnerung an sie ist pures Vergnügen, was auch sonst dahinter liegen mag. Sie wird schon gewusst haben, was sie tat; darüber steht am wenigsten denen ein Urteil zu, die ihre Erbärmlichkeit im Finstern betreiben. Wen der Herrgott in grosser Form zugeschnitten hat, der verachtet das Krüppelpack, das Gut und Böse beständig ineinandermanscht, dass es sich ausnimmt, wie wenn einer das Tedeum und das Gaudeamus in einem Atem plärrt.

      In meinem fünften Jahr war ich mit der Mutter und meinem älteren Bruder Franz, der jetzt bei der Botschaft in Madrid ist, einen Winter lang hier in Wien. Die Mutter war krank und musste in einem Heim liegen, wir zwei Kinder wohnten beim Onkel Klemens und seiner Smirczinska, die ihm auch heut noch die Wirtschaft führt. Eines Tages, ich glaube, es war zu Weihnachten, schenkte er mir einen funkelnagelneuen Golddukaten. Es war ein Wunder, das damals viel beredet wurde, denn Geben und Schenken war seine Sache nie. Kurz, ich bekam den Dukaten, mit vielen kräftigen Ermahnungen, und von da ab musst ich jeden Sonntag nach dem Kirchgang zu ihm in sein Zimmer gehen und ihm den Dukaten vorweisen. Da sprach er dann von dem Wert des Goldstücks, was man sich dafür kaufen könne, wie es sich, zweckmässig verwendet, von selbst vermehre und sogar den Grundstock zu künftigem Reichtum zu bilden vermöge. Das verstand ich natürlich nicht, aber der goldene Dukaten wurde mir auf die Art ein verehrungswürdiges Ding; ich trug ihn eingenäht in ein Leinwandsäckchen auf meiner Brust, jahrelang, ich knüpfte meine Träume und meine Hoffnungen an ihn, es gab keine Versuchung, die mich hätte bewegen können, ihn auszugeben, es hätte kein Betrüger so schlau sein können, ihn mir zu entlocken, und kein Dieb so abgefeimt, ihn mir zu stehlen. Nicht als hätt ich damals und auch später das Geld blind vergöttert wie so manche, die sich eher das Herz herausschneiden lassen, als dass sie einer armen Seele mit dem, was sie errafft haben, eine Freude bereiten; eigentlich gings mir nur um den Dukaten: ein Bild von Hilfe und Verlass. Geld, ja Geld; soviel man nur gewinnen kann; um nicht leiden zu müssen, um nicht hungern zu müssen, um nicht demütig zuschauen zu müssen, wenn die andern vor der besetzten Tafel sitzen. Das erkannte ich früh; Schmalhans war Küchenmeister bei uns; es fehlte an allen Ecken und Enden; nichts war in gutem Stand; die Wäsche zerlumpt, Kleider gerade zur Notdurft; das Silber versetzt; Schulden über Schulden. Die Mutter kümmerte sich wenig, mit den Jahren ging sie immer trotziger ihre eigenen Wege, dem Vater glitt das Hauswesen aus den Händen, Dienstpersonen hatten wir längst keine mehr ausser dem Burschen, der kochte und die Zimmer aufräumte. Ein Bruder starb an Scharlach, ein Schwesterchen an der Auszehrung, ich musste sie pflegen und war zu der Zeit kaum zehn Jahre alt. Aber von Jahr zu Jahr wurden mir mehr Lasten aufgewälzt. Beim Umzug in eine andre Garnison war die Mutter jedesmal lang vorher verreist. Die Gläubiger drangsalierten mich; ich musste bei Fleischer und Bäcker um Verlängerung des Kredits betteln; ich musste sorgen, dass der Vater sein Essen bekam und die jüngeren Geschwister die Schule nicht versäumten. Oft sass ich die Nächte bis zum Morgen beim Strümpfestopfen und Hemden ausbessern, auf dem Tisch vor mir eine englische oder französische Grammatik. Ich will mich nicht rühmen, aber ich habe was geleistet bis zu meinem siebzehnten Jahr, das steht fest vor Gott und Menschen. Was dann kam, ist wieder ein Blatt für sich.

      Um jene Zeit, meine beiden Brüder waren schon in der Kadettenschule, zu Hause war nur noch ich und meine Schwester Anastasia, ereignete sich die Geschichte mit Vaters Geige. Diese Geige war ein altes Instrument; er hatte sie von seinem Vater geerbt, dem Liebling Paganinis eben; mehr wussten wir nicht, mehr wusste er selber nicht. Später stellte es sich heraus, dass der Grossvater ein die Geige betreffendes wichtiges Dokument deponiert hatte, aber da er ganz plötzlich am Schlagfluss starb und während seines Lebens nie darüber gesprochen hatte, vermutlich weil er nicht wünschte, dass man in seiner Umgebung den Wert des Instruments erfuhr, damit es nicht zum Gegenstand von Habgier und Spekulation gemacht würde, wusste auch niemand, wo und bei wem sich dieses Dokument befand, ja nicht einmal, dass es überhaupt existierte. Er hatte die Geige ausdrücklich dem jüngeren Sohn vermacht und darüber erhob sich auch kein Zweifel oder Zwist. Mein Vater hatte Anrecht auf sie schon durch seine Fertigkeit im Spiel und hielt sie auch stets in Ehren.

      Sooft er spielte, fiel sogar den unmusikalischesten Zuhörern der herrliche Silberton der Geige auf; ich selbst habe ihn nur zwei- oder dreimal spielen gehört und erinnere mich, dass ich ganz hingerissen war. Als er einst wieder vor den Kameraden spielte, trat ein junger ungarischer Offizier namens Ribeny auf ihn zu und ersuchte ihn, die Geige betrachten zu dürfen, da er, wie er behauptete, etwas vom Geigenbau und von alten Geigen verstehe und es ihn dünke, dass dies ein ungewöhnlich schönes und kostbares Instrument sei. Mein Vater reichte ihm die Geige, der andere besah sie lange, drehte sie um und um, beklopfte und behorchte sie, danach zog er meinen Vater beiseite und sagte, er möchte die Geige kaufen und biete ihm dreitausend Gulden. Da lachte mein Vater und antwortete, sie sei ihm nicht feil, und er wolle sich nicht von ihr trennen. Ribeny bot vier-, dann fünf-, dann sechstausend, aber mein Vater, obwohl er nachdenklich und ihm die Weigerung schwer wurde, wies ihn entschieden ab.

      Eines Tages nun erhielt er einen Brief von seinem Bruder Klemens, dem Hofrat, der ihn in grosse Aufregung versetzte. Ich muss bemerken, dass Onkel Klemens, der um zwanzig Jahre älter war als er und heute ein Mann von sechsundsiebzig Jahren ist, für ihn fast ein höheres Wesen war, nicht bloss seiner Stellung und Vergangenheit wegen, sondern weil er schon als junger Mensch dazu erzogen worden war, sich ihm in allem zu fügen und unterzuordnen. Was Klemens sagte, war wie Spruch des obersten Gerichts; was Klemens tat, war Vorbild und nicht zu erschüttern. Onkel Klemens hatte Grossvaters Möbel geerbt, und unter diesen befand sich auch ein uralter Sekretär aus Nussbaumholz, so ein richtiges ehrwürdiges Stück, wie es oft in Familien von einer Generation auf die andre kommt. Bei einer Reparatur, die notwendig geworden war und zu der Onkel Klemens den Tischler gerufen hatte, wurde in dem Sekretär ein bisher verborgen gewesenes Geheimfach entdeckt, und darin lag das Dokument, durch das unbezweifelbar erwiesen wurde: erstens, dass die Geige eine echte Guarneri war; zweitens, dass Paganini selbst darauf gespielt und sie meinem Grossvater als Zeichen seiner Liebe geschenkt hatte. Hierdurch erhielt die Geige einen kaum schätzbaren Wert, wie ihr euch denken könnt, und es begann um sie ein langer und aufreibender Kampf, der meinen Vater schliesslich Gesundheit und Leben kostete.

      Aller Einzelheiten kann ich mich nicht entsinnen, auch die Hauptsache, um die es ging, wurde mir erst nach und nach bekannt. Doch weiss ich, dass jede Woche zwei oder drei Briefe von Onkel Klemens kamen, von denen jeder meinen Vater aufs neue alterierte. Sein Bruder wünschte erst, forderte dann, befahl endlich, dass er die Geige ihm zur Verwahrung übergeben solle; sie sei bei ihm sicherer aufgehoben, und es verstehe sich von selbst, dass er als Repräsentant und Ältester der Familie die Befugnis habe, eine so kostbare Rarität unter seine Obhut zu nehmen, die meinem Vater all die Jahre her bloss aus dem Grund stillschweigend überlassen geblieben sei, weil man eben von ihrem eigentlichen Wert nichts geahnt hatte; jetzt aber müsse es als frivol und ungehörig bezeichnet werden, wenn er, ohne die möglichen Folgen, auch für seine Kinder, zu erwägen, das einzigartige Instrument den Zufällen und Widrigkeiten seines ruhelosen Lebens aussetze, von der Gefahr der Beraubung oder Verbrennung nicht zu reden.

      Mein Vater weigerte sich standhaft. Es wurde ihm schwer, dem Bruder gegenüber Festigkeit zu bewahren, aber zunächst war die Sache stärker als die Person. Meine Mutter riet ihm, das Instrument aus dem Hause zu schaffen, es einem Freund zu übergeben und Onkel Klemens hinzuhalten. Ihre Meinung war, dass der Vater von seinem Bruder betrogen oder gar um die Geige gebracht werden solle, und sie hoffte, auf dem von ihr empfohlenen Weg den Verkauf zu erzwingen, denn an der Geige lag ihr nichts, das Geld aber war bei unseren Umständen eine beträchtliche Lockung. Mein Vater wollte nichts davon hören. Es schien, dass ihm die Geige immer lieber wurde, je umstrittener und bedrohter seine Eigentumsrechte waren. Da kam es zu nächtelangen, heftigen Auseinandersetzungen zwischen ihm


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