Von der Seele. Carl Ludwig Schleich
eigenen Lebens betrachtend zu erfüllen. Wehe dem Künstler, der nicht rhythmisch verschmilzt mit dem Objekt, das er darstellen will: er muß ein Stein sein können, wenn er ihn malt, eine Blume, wenn er ihres Kelches Schönheit herbeizaubern will, ein Kind, wenn er sprechen will, wie Kinder sprechen, und eine Wolke, wenn er mit ihr seine Lieder wandern lassen will. Der echte Künstler steckt in Woge und Wald, die er malt, ist König und Bettler, wenn er sie darstellt, hat ihren Stolz und ihren Hunger, trägt ihren Szepter und ihren Bettelstab.
Wie reich macht doch die Phantasie, indem sie den Verwandlungsmantel über unsere Seele legt, so daß schlechterdings nichts unerreichbar wird! Aber auch der Wissenschaftler, der Entdecker und der Erfinder wird niemals zu neuen Offenbarungen gelangen, wenn nicht die Intensität seines Einfühlens in die Materie ihn befähigt, den Rhythmus des zu Schauenden bis zu dem geheimen Motor der kreisenden Atome zu erfassen und das Geschaute auch anderen, weniger Einfühlungsfähigen zu übermitteln. Wo wäre der Redner, der Erzieher, der Prophet, der wirken könnte ohne diese rhythmische Durchdringung seiner Lauscher, ohne die Fähigkeit Strudel der innersten Bewegung zu erzeugen, in welchen Zweifel, Furcht, Eigenliebe versinken, wie Holzstückchen in den gurgelnden Schlund! Wie wäre eine Ethik denkbar, die sich nicht den Rhythmus des höherstehenden, anbetungswürdigen Ideals zu eigen machte, das uns die Phantasie als lockendes Ziel eines königlichen Gefühls der inneren Harmonie vorhält?
Wie könnte man Liebe erwecken, wenn nicht ein Gleichstrom siegenden Wollens die Geliebte mit berauschendem Wort in den Feuerstrom entfesselter Leidenschaften hineinrisse?
Ich bin am Ende meiner Ausführungen. Wollte ich alle Beziehungen des Rhythmischen zur Seele auch nur aufzählen, so würde wohl kaum ein Gebiet seelischer Aktionen unerwähnt bleiben. Ich muß mich mit diesen kurzen Andeutungen begnügen.
Der Rhythmus ist der Allbeherrscher alles physischen und psychischen Geschehens. Der Puls des Universums schlägt in allem, was ist und lebt. Das Gehirn der Menschen ist ein Gestade nur, das er mit ewigem Wellenliede umrauscht, eine Harfe nur, auf der er seine Sonnenlieder und Schattenklagen singt, ein Prisma nur, durch das seine hellen und dunklen Lichtwellen zitternd jagen und das, vielgestaltig und zu buntem Strahlenbüschel zerstreut, den umgeformten Rhythmus wieder in das All zurücksendet. War Rhythmus der Pendelschlag von Kraft und Hemmung, so ist die Seele ein diesem Pendelspiel spezifisch eingeschalteter, organischer Widerstand. Nicht die Lebenskraft ist das Besondere, der Kraft kann noch unendlich viel Wunderbareres vorbehalten sein als der Menschengeist,—sondern die eigentümliche Hemmung, die die Weltkraft zwingt, sich in uns so rätselhaft zu spalten, ist der Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtung. Wo sich die Weltkraft entzündet an der atomistischen Reibefläche des Organischen, da blitzt das Leben auf und erlischt wie der Meteorstein, der aufglüht, wenn sein Sturz ins Chaos hineingerät in die sausenden Rhythmen der irdischen Atmosphäre.
HUMOR
Die Menschheit hat stets um so mehr Worte über eine Angelegenheit gemacht, je weniger sie von ihr begriff. Und die Wissenschaft, diese bedächtige Frau Registratorin, die alles Menschliche, fein säuberlich zu Millionen Aktenbündeln geordnet, in den Schubfächern der öffentlichen Bureaus einer königlichen Logik aufbewahren läßt, um nur hier und da die Aktenstöße anders zu gruppieren und dabei viel Staub aufzuwirbeln, bezeugt, was jeder Katasterbeamte schon lange weiß: je dunkler ein Prozeß ist, desto höher türmen sich die ihn behandelnden Dokumente. So kann ich denn auch nur die Manuskriptensammlung derer, die sich den Kopf über die drolligste Sache der Welt, über das Lachen, zerbrochen haben, um ein Exemplar vermehren, natürlich ohne jeden Anspruch, damit den Zauber von dem neckischen Spiel der Seele zu nehmen oder gar das heilige Lachen als einen ganz profanen Vorgang zu entlarven. Ich will nur versuchen, einige Gesichtswinkel zu zeichnen, unter denen man den Humor und die humoristischen Zustände von einer Seite beleuchten kann, die vielleicht neu und reizvoll genug ist, um die Aufmerksamkeit derer, die schon über diese Dinge nachgedacht haben, vorübergehend festzuhalten. Dabei muß ich verzichten, nach wissenschaftlicher Autoren Art die lange Reihe der geistigen Väter von vor und nach Christi Geburt, die einmal über dasselbe Thema gestolpert sind, herzuzählen, um endlich zu einem eigenen Körnchen Wahrheit zu kommen, das ich in den literarischen Riesenscheffel hineinzuwerfen entschlossen bin.
Die meisten bisherigen Arbeiten über den Humor, diese "lachende Träne", über das "umgekehrt Erhabene" (Jean Paul), über die "realästhetische Gestalt des Metaphysischen" (Bahnsen), über die "Kontrastempfindung" (Kant) usw. scheinen mir an dem kardinalen Fehler zu leiden, das Psychische bei dieser Form der Gemütsverfassung vor dem rein physischen Akt der Humorsäußerung, in Summa dem Lachen in allen Formen, unberechtigt weit und vorschnell in den Vordergrund geschoben zu haben. Was uns zunächst nottut, ist eine genügende, rein physiologisch-funktionelle Definition der Vorgänge im Gehirn und im Muskelapparat, die eine humoristische Stimmung hervorrufen und begleiten. Eine rein mechanische Betrachtungsweise der materiellen Vorgänge im Seelenorgan gibt erst eine einigermaßen sichere Basis, von der aus auch das rein Seelische im Humor überschaut werden kann. Ich will daher mit einer Analyse der allgemein üblichen Ausdrucksform humoristischer Zustände beginnen, dem Gelächter. Erst nach einer Darstellung vom Wesen des Lachens in allen seinen offenen und versteckten Arten kann es möglich sein, auf das in der Seele einen Rückschluß zu machen, was diese besondere Form unserer bebenden Atmungs- und Zwerchfellstätigkeit veranlaßt.
Nach der trockenen und kategorischen Ausdrucksweise der Physiologie ist das Lachen eine automatische, direkt nicht dem Willen unterliegende, rhythmische Muskelaktion im Gebiet der Atmungstätigkeit, begleitet von gewissen mimischen Funktionen der Gesichtsmuskeln und besonderen Gemütszuständen. In der Tat: das herzhafte, reine, typische Gelächter ist durchaus unwillkürlich und nur schwer durch Willenstätigkeit zu hemmen, wie unsere Erfahrungen noch von der Schulbank her beweisen: "Zu lachen ist am schönsten, wenn man es nicht darf." Da kommt es zu ganz explosiven, gewaltsamen Ausbrüchen des Vulkanes über unserm Zwerchfell, deren Unwillkürlichkeit etwas Verblüffendes, Elementares, Unhemmbares an sich trägt. Es ist also eine affektive, von dem Willen unabhängige, von dem jeweiligen Gemütszustande erzwungene, rhythmisch-muskuläre Handlung, wie sie ähnliche unter weniger erfreulichen Umständen die Ohrfeige, der Dolchstoß, der Faustschlag, oder aber das Gähnen, das Niesen, das Husten sind. Das Zentralorgan erleidet etwas, das, wie wir sehen werden, in einer besonderen Spannung von Vorstellungen besteht, deren Umsatz in unhemmbare Muskeltätigkeit ebenso vor sich geht, wie die Tabaksprise in der Nasenschleimhaut zu einer allmählich zentral ausgelösten Reizhöhe führt, d.h. die Nase kitzelt, bis ein Orkanstoß der Ausatmung unwillkürlich sich erhebt, mit dem Zweck, die lästigen Naseneindringlinge an die Luft zu setzen. So gibt uns der Humorist gleichsam eine geistige Prise, die durch eine Lachsalve ausgeniest werden muß. Gute Erziehung und große Energie vermögen zwar hier und da diesen psychischen Nieseffekt zu unterdrücken, aber die Seele ist verschnupft, wenn sie von ihrem angestammten Naturrecht, sich herzlich auszulachen, keinen Gebrauch machen kann. Ist so die gewöhnlichste Form des Lachens eine passive, so werden wir auch gleich Modifikationen kennen lernen, bei denen das Lachen einen direkt aktiven, aufreizenden, provozierenden Charakter, wie im höhnischen Angriff, gewinnt. Betrachten wir zunächst eine Person, die unwillkürlich lachen muß. Was tut sie?
Unter Nackenstellung des Kopfes, bei geöffneten Nüstern, breiter Mundstellung, zugekniffenen Augen und unter Inanspruchnahme sämtlicher Atmungsmuskeln, auch der auxillären, der sogenannten Reservemuskeln für besonders ausgiebige Atmung, vollzieht sich an ihr schnell hintereinander: erst eine tiefe Einatmung, eine unwillkürliche sogenannte Inspiration, dann verharrt sie einen kurzen Augenblick auf der Höhe dieser Funktion, d.h. gleichsam erwartungsvoll hält der Betreffende mit der Atmung inne; diese setzt für eine Sekunde aus (wobei weder aus- noch eingeatmet wird), etwa wie der Sänger, der vor dem Einsatz seine Lungen voll Luft gepumpt hat, wartet, bis er den Strom durch den Kehlkopf passieren läßt. Hat dieser Zustand der Vollbereitschaft der Lungen zur Entladung eine kurze Zeit gewährt, so schließen sich die Stimmbänder krampfhaft zu, und nun folgen unter rhythmischen Zwerchfellszuckungen periodische Sprengungen der Stimmritze, wobei die beiden festgeschlossenen Stimmbänder durch die Blasebalgstöße, die das Zwerchfell auf die gefüllten Lungen