Von der Seele. Carl Ludwig Schleich
Schiebegeröll und erratischen Blöcken plötzlich auf einer einsamen Wanderung vor eine große Gefahr gestellt: ein Ungetüm, wie er solches noch nie gesehen, streckt plötzlich, einen fauchenden Rachen aufsperrend, sein schreckliches Haupt aus dem Gebüsch. Was wird unser Urmensch tun? In jähem Schreck reißt auch er den Mund auf, so weit es gehen will, tut einen tiefen Atemzug und verharrt starr erwartend eine Weile in Inspiration. Das kann man noch heute bei jedem sehen, dem ein furchtbarer Schreck in die Glieder fährt. Das ist auch ganz verständlich. Denn wenn sich ein Mensch überhaupt wehren will, braucht er Muskelkraft, dazu aber vor allem Sauerstoff; denn bei jeder Muskelaktion ist Sauerstoffverbrauch en masse nötig. Er lädt also mit dieser tiefen Inspiration gleichsam seine Muskelzentren zu noch nicht näher erkennbarer Aktion. Nun trete aber bei unserem Urahnen blitzschnell ein Wechsel in der bedrohlichen Situation ein: das launische Ungetüm hat vielleicht keinen Hunger, es besinnt sich; ein Löwe, ein Riesenbär trollt lustig um die Ecke. Nun ist die Gefahr vorbei. Ein jäher Wechsel von Lebensbedrohung in der Idee und plötzlicher Lebensbejahung, d.h. Abzug der Gefahr, prallen ihm fast gleichzeitig in seinem Gehirn aufeinander, und zwei Assoziationen entgegengesetzter Art treffen sich in seiner Seele: idealer drohender Tod, reelles wahrhaftiges Lebensgefühl. Unter freudigster Gemütsverfassung entlädt er, gleichsam spottend der Gefahr, stoßweise seinen nun überflüssig aufgespeicherten Sauerstoff. Unter Jubelempfindungen entweicht stoßweise die überschüssige Lebenskraft. Noch heute wird jeder bemerken, daß nach plötzlich überstandener Lebensgefahr oder Gemütsbedrückung eine Neigung zu fast hysterischen Heiterkeitsausbrüchen eintritt. Das Gefühl, einem Unglück entronnen zu sein, sein Leben bejaht zu fühlen, wo es eben noch auf das Dringlichste verneint erschien, erzeugt eine halb automatische Heiterkeit, die sehr verwandt ist dem, was wir humoristische Stimmung nennen. Dabei beachte man die Tatsache, daß Tränen leicht fließen können, wo eben noch im Moment der Gefahr die stockende Zirkulation bei tiefster Einatmung die Tränendrüse unabweislich strotzend füllen mußte, und daß ihr Gebrauch sicher in Aussicht stand, wenn das Messer dem Lebensfaden so ganz nahe kam, falls man Zeit genug gehabt hätte, noch über den jähen Scherenschnitt der Parzen zu klagen. Man holt in der Freude nach, was der Kummer vorbereitet hat. Auch die Träne, dieser tauende Reif aus Edens Blütenkelchen, hat trotz ihrer Poesie ihre ganz materielle und physische Entstehungsursache. Freude und Leid sind wechselnd die Schleusenwächter am Strom der Tränen, und in der Begleiterscheinung des Tränenflusses bei Humorstimmung sehen wir einen zwingenden Beweis für den Ursprung des Lachens in einem plötzlichen Kontrast von Lebensbejahung und Lebensverneinung. Wir werden gleich sehen, in welcher Weise diese beiden Salpetermischungen für die Explosionswirkungen des Humors in jeder Form des Lachens noch heute auffindbar sind. Zunächst soll noch auf eine Beziehung hingewiesen werden, die außer dem plötzlichen Abzug einer Gefahr noch andere rein physische Vorgänge zur Erregung von Heiterkeitausbrüchen haben. Bei der plötzlichen Bedrohung und fast gleichzeitigen Errettung des Lebens liegt es ja erfahrungsgemäß auf der Hand, daß dieser Vorgang eine Disposition zu freudigen, muskulär-rhythmischen Lebensbetätigungen im Gefolge hat. Munter, wie ein spielendes Reh, hüpft ein Knabe davon, den schon das Rad des Wagens streifte; man kann ihn kurz nachher erst recht pfeifend, trällernd, tänzelnd finden. Wenn beim Übergießen mit kaltem Wasser, bei kalten Duschen, eine plötzliche tiefe Inspiration erzwungen ist, so habe ich bei mir stets unmittelbar danach eine fast unüberwindliche Neigung zum Lachen bemerken können und habe dem Triebe nie gewehrt,—gewiß ein trefflicher Beweis für die Verwandtschaft von physischem Schreck, seelischem Wohlgefühl und Lachen, für die Verwandtschaft tiefer, lebenfördernder Inspiration und Entladung der Atmung durch das Zwerchfell.
Wer die ängstlichen Börsenleute im Anprall brandender Wogen im Seebade beobachtet hat, sah auch gewiß, wie ich, ihre Ausbrüche zappelnder, hüpfender und kullernder Heiterkeit. Auch beim Kitzeln ist ein unwillkürlicher Zusammenhang von peripherischem Reiz, tiefer Inspiration und exspiratorischen Atemstößen zu bemerken. Ganz junge Kinder kann man nicht kitzeln, dazu gehört schon eine gewisse Ausbildung des Bewußtseins, das erkennen läßt, daß die lebensfreundliche, mehr zärtliche, neckende Berührung im Kontrast zu der starken, das Atmungszentrum reizenden Wirkung steht. Man beachte auch, daß man das Kitzeln leichter aushalten kann, wenn man die Atmung gewaltsam unterdrückt. Daraus geht hervor, daß das Atmungszentrum, also das eigentliche Lebenszentrum, als eine Art von Lachzentrum funktionieren kann, daß es also sowohl peripher von der Haut aus, wie beim Duschen und Kitzeln, als auch zentral vom Gehirn aus, wie beim Witz, erregt werden kann. Für unsere Auffassung von dem Ursprung des Lachens aus einem Kontrast von Lebensbedrohung und Lebensbejahung ist es interessant, zu erfahren, daß der scharf umschriebene Punkt am Zentralorgan, der, von einem Nadelstich getroffen, das Leben aufhebt, von der Wissenschaft noeud vital, Lebensknotenpunkt, genannt wird und daß wir hier auch die Fäden finden, die zur Erregung des muskulären Ausgleiches für die Zwerchfellerschütterung die elektrischen Ströme senden. Hier finden wir eine anatomische Bestätigung der Beziehung des Lachens zur Lebensbejahung und -verneinung.
Nun gibt es noch Lachformen, die an sich mit dem Humorgefühl ganz und gar nichts zu tun haben. Es sind jene Lachstöße, die im Bellen und Brüllen der Tiere ihr physiologisches Vorbild haben; sie bedeuten eine willkürliche Tätigkeit, welche die Feindschaft herausfordert: das höhnische, kränkende, verletzende Lachen oder die Andeutung davon: das Lächeln. Das ironische, kritisierende, erhabene Lachen werde ich bei den besonderen Formen des Humors definieren: denn Satire, Witz, Ironie, Spott, Hohn sind nur vom Temperamente gebrochene Formen des Humors. Bei vielen dieser Lacharten ist ein Überlegenheitsgefühl maßgebend, d.h. die Lebensverneinung oder -minderung gilt für andere, für den Lacher nur das Gefühl eines höheren, überlegenen Standpunktes. Das Grinsen und Greinen ist eine Kombination von Ohnmachtsgefühl und Feindseligkeit und das schadenfrohe Lachen die Wirkung der Überzeugung eigener Unversehrtheit bei fremdem Unglück, von dem wir aber die unbestimmte sympathische Empfindung haben, wir konnten ebensogut in die Falle gehen. Wir identifizieren uns in der Idee mit dem Leidenden, nehmen aber den Kontrast von unserem realen Unberührtheitsgefühl her.
Ich gehe einen Schritt weiter und will die Beziehungen der Zwerchfellsentladungen zur Mimik und Rhythmik einer kurzen Betrachtung unterziehen.
Daß das Atmungszentrum an sich mit dem Gesichtsausdruck verwandtschaftliche, koordinierte Berührungen hat, ist eine allbekannte Tatsache. Bei der Dyspnoe, dem Atmungshunger, ist der Ausdruck des Gesichtes ein so typischer, daß man diesen Krankheitszustand erkennen kann, ohne die Atmungstätigkeit direkt zu beobachten. Wichtig für die Theorie des Lachens ist auch, daß bei der Atemnot, also wieder einer Lebensbedrohung, ganz dieselben mimischen und Atmungsmuskeln in Aktion sind wie beim Lachen. Aus dieser Beteiligung der mimischen Muskeln beim Lachen ist die Ansteckungstendenz des Lachens erklärlich. Alle rhythmisch muskulären, d.h. gleichmäßig und oft wiederholten Muskeltätigkeiten haben etwas stark die Nachahmung Herausforderndes: das Gähnen, das Lachen, das Tanzen, Marschieren, Singen, die Kampfbewegungen,—sie alle sind ansteckend, d.h. sie reizen zur Entfaltung gleicher Bewegungen, und zugleich sind wir geneigt, daraus eine heitere, humoristische Lebensstimmung zu entnehmen. Der Mensch ist brutal genug, sich selbst der Komik krankhaft rhythmischer Zuckungen nicht zu entziehen. Der Veitstanz, der Gang der Rückenmärker, die Epilepsie können Formen annehmen, die manche unwillkürlich zu schuldlosem Lachen zwingen, ebenso wie einige solcher Krankheiten direkt ansteckend wirken können. Die rhythmische Muskelaktion ist am zwingendsten Heiterkeit und Nachahmung erregend bei den Rhythmen der Musik. Der Rhythmus an sich hat also eine suggestive Kraft, gleichartige Spannungen im Gehirn auch des andern zu erregen. Wir Menschen nehmen an, daß der springende Fisch, die hüpfende Bachstelze, der tänzelnde Araberhengst in heiterer Gemütsverfassung sich befinden, obwohl wir es nicht beweisen können; es stimmt uns aber gleichmäßige Rhythmik auf starke Lebensbejahung. Das ist das Heitere in der Kunst; denn alle Kunst ist Rhythmus: Rhythmus die schönen Linien, Rhythmus die Schwingungszahl der Töne und Farben, Rhythmus jegliche Harmonie und arhythmisch jede bleibende Disharmonie, weil ohne Maß und Regelmäßigkeit. Darum ist auch in der Musik vor allem etwas der Lebensbetätigung, der Lust, dem Humor Verwandtes, und zwar ist nur bei schärfster Ausprägung schnellerer Rhythmen eine humoristische Musik denkbar, also Tanz, Marsch, Scherzo, Capriccio, Sarabande, Gigue. Ein humoristisches Adagio ist schwer denkbar. Darum ist bei den größten musikalischen Rhythmikern, Haydn, Mozart, Mendelssohn, Schubert, Loewe, auch die Heiterkeit und die Freude zu Hause, während bei den großen Reflektierern, den Grüblern