Geschichte der Englischen Sprache und Literatur. Ottomar Behnsch
Während der langen zeit zwischen dem entstehen der dichtungen und ihrer aufzeichnung durch die schrift, wurden sie ganz allein dem gedächtniss anvertraut und so erhalten. Jetzt, wo die schrift an die stelle des gedächtnisses getreten ist, mag man sich über die kraft und empfänglichkeit des letzteren ungemein wundern. Der aufzeichner von Wilfred’s lebensbeschreibung, Eddius (vita Wilfred. in Gale’s Historiae Britanniae scriptores XV. fol. Oxon. 1691. Seite 52. 53), erwähnt, dass Wilfred als jüngling, während seines aufenthaltes im kloster Lindisfarne, zuerst das psalmbuch nach dem lateinischen texte von Hieronymus, und dann das ganze noch einmal nach dem römischen text (more Romanorum juxta quintam editionem) auswendig gelernt habe. Aus William von Malmsbury (p. 77. Ausg. 1601) geht hervor, dass noch zu seiner zeit im 12. jahrhundert, als die angelsächsische literatur schon im verfall war, viele lieder aus alter zeit im munde des volkes lebten. Die wesentliche folge dieser überlieferung von mund zu mund war, dass die ursprüngliche form der gedichte sich im laufe der zeit änderte. Wenn die späteren sänger sie vortrugen, so geschah es natürlich in der sprache, die sie sprachen und ihre zuhörer am besten verstanden; daher kommt es, dass die handschriften, welche sie enthalten, in dem herrschenden westsächsischen dialekte ihrer zeit abgefasst sind, so dass man eigentlich nicht im stande ist, die allmälige veränderung der lebendigen sprache bis zu ihrer erstarrung in der schrift stufenweise zu verfolgen. Ja selbst die ursprüngliche gestalt des inhalts der gesänge konnte durch auslassungen, zusätze und kleine dem orte und der zeit angepasste veränderungen wechseln, wie sich dies in der that namentlich an Caedmon nachweisen lässt.
Noch zu Alfred’s zeit mochte das gedächtniss das hauptmittel der überlieferung der alten gesänge sein. Er selbst wurde schon im frühen alter angehalten, die dichterischen erzeugnisse seines volkes auswendig zu lernen (Saxonica poemata diu noctuque solers auditor relatu aliorum sæpissime audiens docibilis memoriter retinebat. Asser, vita Aelfr. ed. M. Parker p. 7). Von dem zehnten jahrhundert bis in das zwölfte hinab erfolgten die meisten aufzeichnungen, wie die vielen aus dieser zeit herrührenden handschriften beweisen. Eine sichere nachricht über solche aufzeichnungen findet sich in dem buche de Gestis Herwardi Saxonis (in einem manuscripte des zwölften jahrhunderts), desselben Hereward, welcher mit seinen gefährten in den sümpfen von Ely den scharen Wilhelm’s des eroberers lange zeit trotzte. Der anonyme verfasser des buches erzählt in seiner vorrede, dass er als quelle das werk von Hereward’s priester Leofric, editum a Lefrico diacono eiusdem ad Brun presbitero, benützt habe und fährt dann fort: „Huius enim memorati presbiteri erat studium, omnes actus gigantum et bellatorum ex fabulis antiquorum, aut ex fideli relatione, ad edificationem audientium congregare, et ob memoriam Angliæ literis commendare.“ Leofric mochte der Scop Hereward’s sein und den muth der sächsischen kämpfer durch schilderung der heldenthaten ihrer vorväter kräftigen.56
Der poetische ausdruck der alten gesänge beruht auf dem parallelismus der gedanken, häufigen metaphern und paraphrasen, besonders aber auf der natürlichen lebendigkeit der schilderung. Die poetische figur des gleichnisses kommt sehr selten vor. Im ganzen Beowulf findet sich nur fünfmal eine vergleichung in höchst einfacher form: eines schiffes mit einem vogel, der augen Grendel’s mit feuer, seiner nägel mit stahl, des lichtes in Grendel’s wohnung mit dem sonnenlichte, und des schmelzens eines schwerdtes mit dem des eises. Sylbenmass giebt es in den angelsächsischen gedichten nicht, binnen- wie end-reim nur selten.57 Beide werden durch eine gewöhnlich doppelte hebung und senkung der stimme in je zwei durch alliteration verbundenen hemistichen ersetzt, welche von den englischen herausgebern angelsächsischer poesie in der regel getrennt als besondere verse, von den deutschen meist in einen vers zusammen gedruckt werden. In den handschriften sind die gedichte ununterbrochen gleich prosa geschrieben, jedoch sind die hemistichen meist durch punkte geschieden, was besonders bei langen versen für die verstheilung der Engländer spricht.58 Die alliteration in ihrer regelmässigen form verlangt, dass in dem ersten hemistich die beiden tonwörter mit demselben buchstaben beginnen, welcher dann wiederum der anfangsbuchstabe des ersten tonwortes im zweiten hemistich sein soll. Jedoch finden sich viele abweichungen von dieser regel, welche auch durch spätere interpolationen und durch die ungenauigkeit der abschreiber verletzt worden sein mag. Die alliteration begünstigte, wie in späteren zeiten der reim, die bewahrung der gedichte im gedächtnisse. Man kann dieses daraus entnehmen, dass man sie auch in den predigten benutzte, um dem volke das behalten derselben zu erleichtern. (Vergl. Thorpe’s analecta Anglo-Saxonica seite 74, und Leo’s angelsächsische sprachproben seite 23.)
Beowulf. Das wahrscheinlich älteste denkmal der angelsächsischen vorzeit ist das epos Beowulf, welches der Däne G. J. Thorkelin von dem einzigen, noch dazu im jahre 1731 bei dem feuer im brittischen museum beschädigten manuscripte (Cotton. Vitellius A. 15) 1815 zu Kopenhagen zum ersten male und zwar sehr fehlerhaft herausgab.59
Die handschrift scheint aus dem zehnten jahrhundert zu stammen, bis wohin also das gedicht den mündlichen änderungen der sänger und den irrthümern der abschreiber unterworfen gewesen ist. Obgleich der geschichtliche stoff (aus der mitte des fünften jahrhunderts) und dessen behandlungsweise ersichtlich weit älter sind und in ihren grundlagen von den Angeln aus ihrer alten heimath nach England gebracht worden sein mögen, so hat doch dieses epos im laufe der zeit mannigfache umgestaltungen erlitten, namentlich scheint jede erwähnung der alten gottheiten der Angeln von den späteren christlichen Barden absichtlich in dem gedichte vertilgt worden zu sein. Das epos ist mehr mythus als heldensage, indem es von dem kampfe Beowulf’s zu Heorot, dem schlosse des dänenkönigs Hrothgar, mit zwei mächtigen wassergeistern, Grendel und dessen mutter, seinem hauptinhalte nach handelt und zum schluss den tod Beowulf’s bei der besiegung eines schätze bewachenden drachen und sein begräbniss schildert.
Als der todtwunde Beowulf sein ende herannahen fühlt, befiehlt er sein mal zu errichten (Kemble XXXVIII. v. 5598):
Ne mæg ic her leng wesan; hatað heaðo-mære hlæw ge wyrcean, beorhtne æfter bæle, æt brimes nosan; se scel to gemyndum minum leodum heah hlifian on Hrones næsse; þæt hit sæ-liðend syððan hatan Biowulfes biorh, ða ðe Brentingas ofer floda genipu feorran drifað. | Nicht mag ich hier lang bleiben; heisset die kriegsberühmten ein mal aufrichten, glänzend nach dem leichenbrande an des (see) randes nase, welches soll zum gedenken meinen leuten hoch emporragen auf Hronesnæs; dass es die seefahrer seitdem heissen Beowulf’s berg, wann die Brentinge über der fluth dunkel weithin treiben. |
Und so wie Beowulf sein grabmal wünschte, so wird es von den seinigen hoch an der küste aufgeführt (XLIII. v. 6268):
Him ða gegiredan Geata leode ad on eorðan, unwaclicne, helm-behongen, hilde-bordum, beorhtum byrnum, swa he bena wæs: alegdon ða to-middes mærne þeoden haeleð hiofende, hlaford leofne; ongunnon þa on beorge bæl-fyra mæst wigend weccan: wu[du-r]ec astah sweart of swic-ðole, swogende [g]let [woþe] bewunden, wind-blond gelæg oð þæt he ða ban-hus gebrocen hæfd[e], hat on hreðre; higum unrote mod-ceare mændon mon-dryhtnes [cwealm]. | Ihm dann bereiteten die Geatenmänner einen scheiterhaufen auf erden einen mächtigen, helmbehangenen, mit kriegsschilden, glänzenden panzern, wie er gewünscht hatte: es legten dann zu mitten den berühmten führer die trauernden helden, den geliebten herrn; begannen dann auf dem berge den mächtigsten leichenbrand wetteifernd zu wecken: der holzrauch stieg auf, schwarz vom holzverzehrer, rauschende gluth, mit wehklagen umwunden, windwirbel lag (darauf), bis dass er das beinhaus gebrochen hatte, heiss auf der brust; in den seelen bekümmert, im gemüth besorgt betrauerten (sie) des mannherrn tod. |
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