Happy Endstadium. Jan Off

Happy Endstadium - Jan Off


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      JAN OFF

      HAPPY ENDSTADIUM

      ROMAN

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      Jan Off wurde 1967 im finnischen Tohmajärvi geboren. Seit seiner Übersiedlung in die BRD Ende der 1980er behauste er zahllose Groß- und Kleinstädte in Ost und West, was ihm die Möglichkeit verschaffte, das Treiben der Radikalen Linken unter zum Teil völlig konträren Bedingungen zu studieren. Zurzeit lebt Off in Hamburg, wo er seinen Beitrag zur Gentrifizierung leistet, indem er täglich zwei Mastino-Mischlinge ausführt, deren grimmiges Äußeres noch jedem, der dem Pärchen begegnet ist, ein urbanes Lebensgefühl zu vermitteln wusste.

       www.jan-off.org

      © Ventil Verlag UG (haftungsbeschränkt) & Co. KG, Mainz 2012

      Alle Rechte vorbehalten.

      print-ISBN 978-3-931555-36-8

      e-ISBN 978-3-95575-604-3

      Cover: Oliver Schmitt unter Verwendung eines Fotos von Lucja Romanowska

      Ventil Verlag

      Boppstraße 25, 55118 Mainz

       www.ventil-verlag.de

      »Optimale Kraftverteilung auf wechselndem Untergrund.«

      BMW xDRIVE

      Für Lucja

      Miłość wszystko zwyciȩża

      Inhalt

       »Tränen machen stark«

       »Funkelperlenaugen«

       »Samba si! Arbeit no!«

       »Wie frei willst Du sein?«

       »Immer wieder kommt ein neuer Frühling«

       »Flieg nicht so hoch, mein kleiner Freund«

       »Hamburg im Dreivierteltakt«

       »Dämonen und Wunder«

       »Orange trägt nur die Müllabfuhr«

       »Ich wär’ so gern wie Du«

       »Beiß nicht gleich in jeden Apfel«

       »Adios, Amor«

       »Blinde Fenster«

       »Das Glück hat viele Namen«

       »Spuren einer Nacht«

       »Feuer am Horizont«

       »Risikofaktor 1:X«

       »Abschied ist ein scharfes Schwert«

      »Tränen machen stark«

      [Kristina Bach]

      Der Schlag kommt so unerwartet wie eine Erektion nach zwanzig Jahren Opium-Konsum. Er trifft mit Wucht auf mein linkes Ohr und bringt mein Trommelfell zum Vibrieren – ein Gefühl, als wäre ein Vogelschreck in meinen Gehörgängen gezündet worden. Reflexartig betaste ich die pochende Stelle und fühle Blut an den Fingerspitzen. Hoffentlich ist da nichts Entscheidendes kaputtgegangen.

      Der Bulle schickt ein Lachen in den Raum. Es klingt aus tiefster Seele ehrlich.

      »Da hat sich wohl jemand beim Versuch, sich der Verhaftung zu widersetzen, ein kleines Wehwehchen zugezogen.«

      Dem Reiz, diese Bemerkung mit einer wohlgesetzten Beleidigung zu quittieren, ist nur schwer zu widerstehen. Nicht zuletzt, weil das Äußere meines Peinigers genügend Angriffsflächen böte. Er besitzt nicht nur eine echte Feuermelderfresse mit feisten, fleischigen Bäckchen und dem dazugehörigen Dreifachkinn, sondern auch ein Paar imposanter Biertitten, die von seinem eng am Körper liegenden Kunstfaser-Shirt auf eine Art und Weise betont werden, als ob er die Schläuche gern mal textilfrei und vor einem größeren Publikum präsentieren würde.

      Alles andere als einfach, den Büttel nicht mit diesen Beobachtungen zu konfrontieren, zumal das Bedürfnis, die Sprachwerkzeuge zu benutzen, nach der Stille der Zelle ohnehin riesengroß ist. Aber genau das wollen sie ja – dass ich spreche, mich mal richtig ausspreche, mir die vermeintlichen Sünden von der Seele rede. Und so bin ich gut beraten, mich im Schweigen zu üben. Anna und Arthur halten das Maul! – keine Ahnung, wie oft mir diese fünf Worte in den letzten Jahren in Schriftform begegnet sind. Mit einem Mal jedenfalls hat die abgedroschene Parole mächtig an Aktualität gewonnen, geistert mir durchs Hirn wie eine unablässig wiederholte Regieanweisung.

      Einen Satz allerdings darf ich sagen.

      »Mir steht das Recht auf einen Anruf zu.«

      »Ja und?« Im Blick des Bullen: gespielte Verblüffung.

      Wider besseres Wissen wiederhole ich mein Anliegen: »Ich habe das Recht, zu telefonier’n.«

      Der Staatsdiener stützt sich mit beiden Händen auf die Tischplatte, bringt sein Gesicht ganz dicht an das meine heran. Sein Atem verströmt etwas Medikamentöses. Vielleicht hat er eine Zahnbehandlung hinter sich oder er besorgt es sich hin und wieder mit einem Asthmaspray.

      »Du willst also das Telefon benutzen?! Einen Anwalt anrufen oder etwas in der Richtung?!«

      Ich spare mir das Nicken.

      »Kannst du haben.« Er lächelt süffisant, bevor er fortfährt. »Ich hol dir das Telefon und dann schieb ich’s dir so tief in den Arsch, dass die Scheiße, die du verzapft hast, deinen Affenschädel flutet. Kannst deinem Anwalt ja dann einfach ein kurzes SOS furzen.« Er lacht, als ob er den Zwerchfellschüttler des Jahrhunderts kreiert hätte.

      Als er sich wieder eingekriegt hat, federt er zurück in die Senkrechte und beginnt auf und ab zu tigern, ohne mich dabei allerdings aus den Augen zu lassen.

      »Du meinst tatsächlich, du könntest hier was einfordern, du Traumtänzer?! Willst dir einen auf deine demokratischen Rechte abwichsen?! Willkommen in der Wirklichkeit 2.0, Abschaum. Wenn’s drauf ankommt, und in diesem Fall kommt es drauf an, dürfen wir alles. Alles, hörst du. Glaubst du, da draußen existiert auch nur eine Menschenseele, die dir und deinen verkommenen Freunden eine Träne nachweinen würde?! Ich wette, wenn die Leute wüssten, was ihr vorhattet, und wir euch jetzt raus ließen, würde es keine Viertelstunde dauern, bis man euch alle am nächstbesten Laternenmast aufgeknüpft hätte.« Er hat sich in Rage geredet und legt eine kurze Pause ein, um sich den Schweiß von dem rot glänzenden Stück Pavianarsch zu wischen,


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