Happy Endstadium. Jan Off

Happy Endstadium - Jan Off


Скачать книгу
altersschwachen, aber geräumigen Fiat Ducato, mit dem sich das Überführen problemlos bewältigen ließ.

      Wie klug mein Schachzug gewesen war, zeigte sich keine vierundzwanzig Stunden später.

      Nachdem Jan und ich die Einzelteile meiner Schlafstatt mit Kleingelds Hilfe in den dritten Stock gewuchtet hatten, war es mir geboten erschienen, zwei Kästen Bier springen zu lassen. Infolge dieser kleinen Feier schlief ich tief und traumlos, und als ich erwachte, schien bereits die Mittagssonne in mein neues, recht geräumiges Altbauzimmer. Während ich meine Lunge mit Nikotin, Teer und Kondensat verarztete, befühlte ich mein Gesicht und befand die Stoppeln auf meinen Wangen für deutlich zu lang. Also durchwühlte ich die über den Raum verteilten Umzugskisten, bis ich mein Rasierzeug gefunden hatte, und schlappte ins Bad.

      Ich setzte die Klinge gerade zum zweiten oder dritten Mal an, als Julia durch die Tür schlüpfte. Da kein Schlüssel im Schloss steckte, hatte ich mich außerstande gesehen, für die notwendige Intimsphäre zu sorgen.

      Für Julia besaß dieser Umstand offenbar keinerlei Bedeutung. Sie lachte mich unverkrampft an. »Und? Was Schönes geträumt?«

      Ich war einigermaßen perplex ob dieser Frage. Nicht zuletzt, weil sie so gar nicht in das Bild passen wollte, das ich mir von Julia gemacht hatte.

      Meine offenkundige Verwirrung veranlasste sie, eine Erklärung nachzuschieben: »Es heißt doch, dass alles, was dir in der ersten Nacht im Traum begegnet, in Erfüllung geht.«

      Das war mir neu.

      »Wusste ich gar nicht«, sagte ich denn auch, während mir zeitgleich die Tatsache ins Bewusstsein stieg, dass ich außer einer undurchdringlichen Schwärze überhaupt nichts im Traum zu Gesicht bekommen hatte. Wenn das meine Zukunft darstellen sollte, dann vielen Dank.

      Meine nähere Zukunft allerdings sah alles andere als düster aus. Während ich nämlich mit meiner Rasur fortfuhr, begann Julia sich aus dem olivenfarbenen Tanktop und der schwarzen Jogginghose zu schälen, die ihr als Schlafgarderobe dienten. Dass ich sie dabei im Spiegel beobachten konnte, schien sie kein bisschen zu stören.

      Zwar hatte ich aufgrund meiner Position keine vollständige Sicht auf das Jahrhundertereignis. Aber dieses Paar formvollendeter mittelgroßer Brüste, das da hin und wieder hinter der verschwommenen Totenmaske aus bläulich-weißem Rasierschaum hervorblitzte, genügte vollkommen, meine Hormone den Ententanz proben zu lassen. Um den Zauber nicht zu zerstören, wagte ich es nicht, meinen Stand auch nur um einen Millimeter zu verändern. Stattdessen fuhrwerkte ich mit der Klinge sinnentleert in meinem Gesicht herum wie ein Sehbehinderter, der das Fell eines Mammuts zu gerben hat. Hatte ich zwei Tage zuvor noch geglaubt, mein Mobiltelefon würde eine hypnotische Kraft auf mich ausüben, merkte ich nun, was Hypnose wirklich bedeutete. Julias Anblick hielt mich gefangen, als ob mir gleich ein ganzer Stamm von Schlangenbeschwörern die Flötentöne blasen würde.

      Der magische Moment endete abrupt, als Julia hinter mir vorbeiging, um in die Duschkabine zu steigen.

      »Ich fürchte, du hast dich geschnitten«, sagte sie.

      »Was?« Ich fokussierte den Blick, bis mein Gesicht wieder klar zu erkennen war, und entdeckte zwei Blutspuren, die gerade dabei waren, an der Spitze meines Kinns zu einer historischen Vereinigung anzusetzen.

      Später in meinem Zimmer kam ich nicht daran vorbei, Hand an mich zu legen. Während ich die harmlose Szene aus dem Bad auf vielfältigste Weise ausufern ließ, hörte ich aus dem Off meines Gehirnkästchens ohne Unterlass eine Stimme zu mir sprechen, die mich davon unterrichtete, dass es Julia wohl eher nicht gefallen würde, als Masturbationsvorlage benutzt zu werden. Trotzdem gelang es mir, in Rekordgeschwindigkeit abzuspritzen. Nur gut, dass sich meine Tür abschließen ließ.

      »Samba si! Arbeit no!«

      [Roberto Blanco]

      Noch am selben Abend sollte ich erfahren, warum Julia sich während des allerersten Gesprächs, das wir in diesem unserem Leben miteinander geführt hatten, so augenfällig für den Grad der meinem Leib innewohnenden Leistungsfähigkeit interessiert hatte.

      Ich war gerade mit einer Packung Katenrauchschinken vom Billigdiscounter zurückgekehrt, die ich heimlich in meinem Zimmer zu verdrücken gedachte, als ich Kleingeld im Flur begegnete.

      »Gut, dass ich dich sehe«, sagte er. »Wir zieh’n nachher was durch. Kurze Besprechung in der Küche gegen zehn. Du bist doch dabei, oder?«

      Weil ich bei dem Begriff Durchziehen im ersten Moment an Rauschgift dachte und nicht recht verstand, warum vor dem gemeinsamen Genuss eines Pfeifchens noch eine Besprechung abgehalten werden musste, schwieg ich irritiert.

      Kleingeld schien das als Missfallensbekundung zu deuten.

      »Keine Sorge, ist nichts Großes. Nur ’n bisschen Sachbeschädigung«, erklärte er.

      Nun verstand ich, was er meinte, und beeilte mich, meine Zustimmung zu bekunden. Denn gewiss würde auch Julia bei der Unterredung und der sich anschließenden Straftat zugegen sein.

      »Wunderbar.« Kleingeld wollte schon an mir vorbei, hielt dann aber noch einmal inne: »Was hast’n da in der Tüte?«

      »Backpflaumen und Sojakeimlinge«, log ich.

      »Ja … dann mal guten Hunger, ne.« Er sah mich gleichermaßen bewundernd wie angeekelt an.

      »Haben alle ihre Handys aus?«, fragte Julia, nachdem ich neben Jan am Küchentisch Platz genommen hatte. Julia und Kleingeld saßen uns gegenüber.

      Ich zog mein Telefon aus der Hosentasche und schaltete es pflichtschuldig aus. Um von meiner Nachlässigkeit abzulenken, erkundigte ich mich nach Lasse.

      »Der hat Frühschicht«, sagte Kleingeld und griff nach einer halbvollen Flasche Club-Mate.

      Lasse, soviel hatte ich bereits mitbekommen, arbeitete als Krankenpfleger und musste nicht selten schon um fünf Uhr morgens aus dem Haus. Kleingeld lebte offiziell von der Fürsorge, in erster Linie aber von seinem gottgegebenen Talent, Menschen auf der Straße anzuschnorren. Julia und Jan, die beide studierten, bezogen Bafög und jobbten nebenbei.

      »Also gut«, begann Julia den offiziellen Teil des Abends, »heute nehmen wir uns diese Edelboutique in der Morbus Hansen vor. Kleingeld macht die Tür, Jan und ich kümmern uns um die Schaufenster. Und du«, sie sah mich eindringlich an, »schnappst dir ’ne Sprühdose und übernimmst die Öffentlichkeitsarbeit. Jemand ’ne Frage dazu?«

      Wie Kleingeld und Jan hätte auch ich jetzt gern den Kopf geschüttelt. Aber das konnte ich nicht, denn ich hatte eine Frage, und zwar eine essentielle. Also hob ich die Hand und sagte: »Ja, ich.«

      Julia wischte sich eine Strähne aus dem Gesicht und fixierte mich erneut mit ihren Huskyaugen.

      Das Anliegen, das ich vorbringen wollte, war mir unangenehm genug. Nun hatte ich zusätzlich noch damit zu kämpfen, mich nicht in diesem Blick zu verlieren. Aber natürlich verlor ich mich. Und zwar dergestalt, dass ich, hätte man mich zwischen siebzigtausend entfesselte Fußballanhänger gesteckt und mir ein Mikrofon in die Hand gedrückt, ohne zu zögern um Julias Hand angehalten hätte. Stattdessen hörte ich mich nach einer endlos erscheinenden Pause Folgendes stammeln: »Also … ich würde gern wissen, was ich da … äh, was ich schreiben … also da hinsprühen soll … an diese Boutique.«

      Julia prustete los. Und auch die anderen konnten sich ein spöttisches Kichern nicht verkneifen.

      Kleingeld war der Erste, der sich wieder in der Gewalt hatte.

      »Na, was schon?! Irgendwas, das den Arschlöchern zeigt, was wir von ihnen halten, natürlich.«

      »Ich hatte nur überlegt, ob ich vielleicht irgendwas Spezielles …«, versuchte ich, meine Würde wenigstens im Ansatz wieder herzustellen.

      Niemand reagierte darauf.

      Vielmehr sagte Julia: »Schön, dann ist das auch geklärt. Also weiter: Um Viertel nach eins


Скачать книгу