Happy Endstadium. Jan Off

Happy Endstadium - Jan Off


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sich abrupt umwandte und erhobenen Hauptes das Zimmer verließ.

      Kleingeld folgte ihr, ohne Jan oder mich eines Grußworts für würdig zu befinden.

      Ich trank in einem Zug mein restliches Bier aus, entnahm dem Kühlschrank zwei neue und ließ mich Jan gegenüber auf einen Stuhl fallen.

      Nachdem wir beide eine Weile auf die Türöffnung gestarrt und schweigend an unseren Flaschen genuckelt hatten, durchbrach Jan die Stille schließlich mit genau der Frage, mit der zu rechnen gewesen war.

      »Sag mal, was ist eigentlich los mit dir?« Sein Gesicht trug einen Ausdruck, wie er normalerweise Menschen zu eigen ist, die in Therapieeinrichtungen arbeiten.

      »Keine Ahnung«, stöhnte ich leise, während ich mir eine Zigarette aus der Packung fingerte. »Ist wohl einfach nicht mein Tag heute. Dieser Anfängerfehler vorhin hat mich völlig aus der Spur gebracht.«

      »Versteh ich ja. Aber das kann doch nicht der Grund dafür sein, hier mal eben den großen Rundumschlag zu führen.«

      »Nein«, sagte ich, »das liegt wohl eher an was anderem.«

      Jan hakte zum Glück nicht weiter nach, setzte allerdings ein wissendes Lächeln auf. Dann sagte er: »Du solltest morgen auf jeden Fall noch mal mit Julia sprechen. Und mit Kleingeld besser auch.«

      Ja, das sollte ich wohl. Sonst hatte es sich bald erledigt mit aufregenden Begegnungen im Badezimmer.

      »Wie frei willst Du sein?«

      [Howard Carpendale]

      In Anbetracht des Bußgangs, der mir bevorstand, hatte ich es unterlassen, mir einen Rausch anzutrinken. Die Vorstellung, Julia mit einem mittelschweren Kater gegenüberzutreten, war nicht gerade stimulierend gewesen. Zwei Bier mit Jan, zwei weitere in meinem Zimmer, dann hatte ich brav das Licht gelöscht. Das Ergebnis dieser klugen, dieser zumindest theoretisch klugen Maßnahme: ein halbgarer Promille-Level, der mich nicht schlafen ließ. Stunde um Stunde wälzte ich mich von einer Seite auf die andere, während meine Gedanken mal zu den Ereignissen des vergangenen Abends wanderten, mal Sätze formulierten, die Julia milde zu stimmen vermochten, mal die Antwort auf die Frage abwogen, ob ich nicht vielleicht doch noch ein Bier …

      Es musste fünf oder sechs geworden sein, bevor sich die Notbeleuchtung in meinem Kopf endlich abgeschaltet hatte.

      Entsprechend spät war es, als ich erwachte. Längst war die Phase des Tages angebrochen, in der man sich in einer anständigen deutschen Firma mit Mahlzeit zu begrüßen pflegt. Rasch befriedigte ich mein Verlangen nach Nikotin, dann zog ich mich an. Die Idee, mir eine weitere Kippe und damit eine Gnadenfrist zu genehmigen, verschwand genauso schnell, wie sie gekommen war. Der Wunsch, die lästige Angelegenheit hinter mich zu bringen, war stärker. Und so nahm ich all meinen Mut zusammen und trat hinaus auf den Flur.

      Der Rest der Wohnung empfing mich mit einer ungewohnten Stille – weder war Musik zu hören, noch Stimmengewirr, noch das enervierende Geräusch unserer für gewöhnlich in der Heavy Rotation vor sich hin rumpelnden und pfeifenden Vorkriegswaschmaschine. Offenbar war der Rest der Rasselbande ausgeflogen. Einem ersten Moment der Erleichterung folgte die Erkenntnis, dass ich die Ungewissheit und dieses flaue Gefühl, das eben jener Ungewissheit wie ein liebeskranker Sonderschüler hinterherdackelte, nun noch länger, ja, möglicherweise stundenlang mit mir herumzutragen hatte.

      Als ich auf dem Weg zum Bad an Julias Zimmer vorbeikam, meinte ich hinter ihrer Tür allerdings ein Geräusch zu vernehmen. Ich presste mein Ohr ans Holz, und tatsächlich: Da war ein leises Klirren, so, als würde jemand mit Gläsern hantieren. Sie war also doch zu Hause! Das flaue Gefühl gewann an Größe. Nun gab es keinen Aufschub mehr. Oder vielleicht doch? War es nicht wesentlich cleverer, eine unverfängliche Gesprächssituation herbeizuführen? Sich beispielsweise in die Küche zu setzen und dort auf Julia zu warten? Ich könnte Brötchen holen und Kaffee kochen … Ohnehin hatte ich mich zuallererst einmal in einen halbwegs präsentablen Zustand zu versetzen, mir also wenigstens eine Berberdusche angedeihen zu lassen.

      Ich hatte meinen Gehwerkzeugen gerade den Befehl erteilt, wieder Fahrt aufzunehmen, als in erschreckend geringer Entfernung plötzlich Julias Stimme erklang.

      »Warte, ich hol ’ne neue«, sagte sie.

      Dann wurde auch schon die Tür aufgerissen, und ich hatte alle Mühe, den entscheidenden Schritt zur Seite zu machen, um nicht umgerannt zu werden. Julia, die sich gezwungen sah, ihrerseits auszuweichen, stieß einen ärgerlichen Laut aus und blieb abrupt stehen. Zwischen ihren Augenbrauen bildete sich eine Falte, die nichts Gutes verhieß.

      »Ich wollte gerade zu dir«, sagte ich schnell, bevor ihr noch der Gedanke kam, ich könne an der Pforte zu ihrem Privatgemach gelauscht haben. Verdammt, ich hatte mir noch nicht mal die Zähne geputzt!

      »Ja?«

      »Ich wollte … also wegen gestern …«, setzte ich an, verlor den Faden aber gleich wieder, als mir Julias Aufzug bewusst wurde.

      Sie trug nichts als Slip und T-Shirt und hielt eine leere Sektflasche in der Linken. Und dann gab sie, während ich dieses Bild noch einzuordnen versuchte, plötzlich den Blick auf ihr Bett frei. Und in diesem Bett saß, den freien Oberkörper an die Wand gelehnt, ein Sektglas in der Hand … Lasse!

      Aber das konnte nicht sein. Lasse stand doch auf Männer. Zumindest hatte Jan das erwähnt. Und der kannte Lasse schließlich schon länger. Oder war Lasse vielleicht bi?

      »Ja?«, sagte Julia wieder.

      Ich war nicht der Lage, meine Verwirrung zu verbergen: »Sollte Lasse nicht im Krankenhaus sein?«

      »Ah, du wolltest mit mir über die nachlassende Arbeitsmoral im Gesundheitswesen sprechen«, gab Julia belustigt zurück. Und dann etwas weniger sarkastisch: »Lasse macht blau.«

      Der Simulant prostete mir fröhlich zu: »Gastritis.«

      »Ach so … ja, das ist natürlich, äh …« Ich wandte mich wieder an Julia: »Eigentlich wollte ich mich bei dir wegen gestern Abend entschuldigen. Ich habe mich da irgendwie in Rage geredet. Warum, kann ich gar nicht sagen. Was ich aber sagen kann, ist, dass so etwas nie wieder vorkommen wird. Nie wieder. Versprochen!«

      »Deine Versprechungen kannst du dir erst mal sonst wohin schieben«, entgegnete Julia, sah dabei aber längst nicht so verstimmt aus, wie es ihre Worte hätten vermuten lassen. »Es geht doch hier einzig und allein um die Frage, ob du hinter dem stehst, was wir wollen. Falls ja, müssen wir über gestern Abend kein Wort mehr verlieren. Falls nein, sollten wir besser getrennte Wege geh’n. Denn eins brauchen wir ganz bestimmt nicht, und das ist Unentschlossenheit.« Damit ließ sie mich stehen, um endlich die leere Flasche gegen eine volle auszutauschen, die sie dann gleich gemeinsam mit Lasse …

      »Hey, ich bin entschlossen!«, rief ich ihr hinterher, während ich wie ein Drogenopfer auf ihre sich wiegenden Hinterbacken starrte. Und dann, mehr zu mir selbst: »Ich bin fest entschlossen.«

      Nachdem Julia in der Küche verschwunden war, begab ich mich ins Bad, klappte die Klobrille hoch und entleerte meine Blase im Stehen – ein Vergnügen, das ich mir schon lange nicht mehr gegönnt hatte.

      Als ich danach erneut an Julias Zimmer vorbeikam, war die Tür wieder verschlossen. Von drinnen waren Musik und unangenehm vertrauliches Gekicher zu hören. Ich zog mir die Jacke an und schlüpfte in meine Adidas Allround. Ich brauchte frische Luft.

      Ich besorgte mir beim Bäcker einen Kaffee, ließ mich auf einer der Bänke nieder, die den – heute wohltuend unbelebten – Kinderspielplatz säumten, und überdachte meine Lage: Jan hatte ich, was die Teilnehmerliste für den großen Hahnenkampf betraf, natürlich von Anfang an auf dem Zettel gehabt. Schließlich war er aus demselben Grund in die WG gezogen wie ich. Auch Kleingeld war zweifelsohne in Julia vernarrt. Allerdings gestand ich ihm aufgrund seines Äußeren eher geringe Chancen auf den Turniersieg zu. Er war nicht nur mit einer Figur gestraft, die sich zuallererst durch einen gewaltigen Schmerbauch auszeichnete, der von den Stelzen eines Bulimikers getragen wurde,


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