Happy Endstadium. Jan Off

Happy Endstadium - Jan Off


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ich verstehe. Und was machen wir, nachdem ich den hoffentlich harnsäurereichen Inhalt meiner Blase diesen Latexhüllen überantwortet habe?«

      »Das erfährst du später. Wäre nur gut, wenn die Kondome nicht gleich bei der ersten Berührung platzen würden. Drittel Tennisballgröße reicht in etwa. Meinst du, du schaffst das innerhalb der nächsten zwei Stunden?«

      »Ich werde mich auf nichts anderes konzentrieren, Genossin Waffentechniker.«

      Und so stand ich kurze Zeit später vor der Kloschüssel – den ersten Präser etwa einen halben Zentimeter über die Spitze meines Schwanzes gezogen – und übte mich im Unterbrechen meines Harnflusses. Das gelang zuerst auch ganz gut. Als es dann aber ans Zuknoten ging – eine Tätigkeit, die mir schon als Kind das Spielen mit Ballons verleidet hatte –, ließ meine Selbstbeherrschung gewaltig nach. Schließlich sah ich mich gar genötigt, das Gefummel mit der glitschigen Hülle zu unterbrechen und mich dem (im wahrsten Sinne des Wortes) brennenden Verlangen meines Leibes vollständig zu unterwerfen. Nun konnte ich zwar das erste Kondom, das ich immer noch in der Linken hielt, in aller Ruhe mit einem hübschen Doppelknoten versehen, verfügte aber über keinerlei Möglichkeiten mehr, diesem ersten Erfolgserlebnis weitere folgen zu lassen. Ich war das Manöver deutlich zu euphorisch angegangen.

      Jetzt waren Forschergeist und vor allem Bedacht gefragt. Der nächste Versuch musste gelingen. Als Erstes ging ich in die Küche und setzte eine Kanne Kaffee auf. Zusätzlich entnahm ich dem Kühlschrank einen halben Liter Pepsi.

      Während ich beiden Getränken abwechselnd zu Leibe rückte, dachte ich angestrengt nach. Ich brauchte unbedingt ein paar Hilfsmittel, in jedem Fall einen Trichter. Kurz kam mir der Filter der Kaffeemaschine in den Sinn, aber selbst der größte revolutionäre Eifer sollte Grenzen kennen. Nein, es musste noch etwas anderes geben. Sorgfältig sah ich mich um, scannte die Schränke und Regale, die Ablage und den Boden … und dann hatte ich es: Natürlich! Unser Leergut!

      Schnell hatte ich zwei leere Plastikflaschen aus der Sammlung gefischt. Der einen säbelte ich unter Zuhilfenahme eines Brotmessers den Boden ab, die andere beließ ich, wie sie war. Ja, so würde es gehen. Zufrieden setzte ich mich an den Tisch und steckte mir eine Zigarette an. Nun hieß es weiter trinken und abwarten.

      Als ich mich nach etwa einer Stunde in der Lage sah, den zweiten Versuch in Angriff zu nehmen, gestaltete sich der Vorgang so glatt, als ob ich ein Leben lang darauf hintrainiert hätte. Ich agierte wie eine Laborfachkraft, die sich auf dem Gebiet der Natursektfabrikation bereits ein beachtliches Renommee erworben hat, füllte in aller Ruhe zuerst die unbeschädigte Flasche, um hernach die gewünschte Menge durch den improvisierten Filter laufen zu lassen, über dessen Ende ich vorher eins der Präservative gestreift hatte.

      Nachdem die Packung, die mir Julia in die Hand gedrückt hatte, dergestalt verarbeitet war, verfügte ich über vier vorschriftsmäßig verschlossene Ballons, die in etwa der gewünschten Größe entsprachen (nur das Exemplar aus der ersten Versuchsreihe war ein wenig praller geraten). Zusätzlicher Pluspunkt: Ich hatte noch nicht mal wirklich herumgesaut. Nichtsdestotrotz spülte ich die Urin-Castoren noch einmal mit Wasser ab, bevor ich sie vorsichtig in eine Plastiktüte gleiten ließ.

      Etwas unangenehm war es mir schon, als ich mit der unappetitliche Fracht kurz darauf in Julias Zimmer trat.

      Julia dagegen schien völlig frei von derartigem Erziehungsballast.

      »Und?«, fragte sie erwartungsvoll.

      »Erledigt.«

      »Wunderbar, dann können wir ja loslegen. Zieh dich möglichst schick an. Wir geh’n shoppen.«

      Schick anziehen? Heute war offenbar der Tag der persönlichen Herausforderungen. Ich kämpfte mich durch meine Garderobe, die zu einem nicht geringen Teil noch immer in Umzugskisten lagerte. Nach diversen Anproben entschied ich mich schließlich für ein schlichtes schwarzes Poloshirt und die einzige Blue Jeans, die ich besaß. Danach brachte ich meine Frisur in Form und ließ ausgiebig Deo an meine Achseln. Was Jacke und Schuhwerk betraf, hatte ich leider nicht allzu viel Auswahl. Also zog ich das an, was ich bei dem vorherrschenden Wetter täglich zu tragen pflegte: Meine guten Allround und das Carhartt Brooks Jacket (Nylon lined). Immerhin war beides frei von größeren Verunreinigungen. Ein abschließender Blick in den Spiegel ließ mich folgendes Fazit ziehen: Richtig schick sah ich nicht aus. Passabel traf es wohl eher (um mal die Ausdrucksweise meine Mutter zu bemühen). Aber wenn Julia mich nicht gerade zu den teuersten Adressen der Stadt schleppen wollte, sollte es reichen.

      Ihr Anblick ließ allerdings darauf schließen, dass es genau dort hingehen sollte: kniehohe Stiefel, Strumpfhose, halblanger Rock, Steppjacke mit Kunstpelzbesatz, überdimensionierte Handtasche – alles in diesem Stil, der trotz des Verzichts auf allzu offensichtlichen Luxus nicht verhehlen will, dass er für ein Leben ohne finanzielle Sorgen steht. Wenn ich Julia nicht gekannt hätte, hätte ich sie ohne zu Zögern für die Hauseigentümerin gehalten, die mal eben von der Elbchaussee herübergekommen war, um eine Inspektion ihres Besitzstands vorzunehmen. Der Sonnenbrille, die Julias penibel zum Pferdeschwanz gebundenes Haar zierte, hätte es gar nicht mehr bedurft.

      »Wow!«, entfuhr es mir in einem Ausbruch unkontrollierter Begeisterung.

      Julia verdrehte die Augen.

      »Spar dir deine sexistische Einzellerscheiße. Und bevor du fragst: Nein, die Klamotten sind nicht bezahlt. Die gab’s umsonst von der Frauenbefreiungsfront, um Typen wie dich zu paralysieren, ohne dafür Munition zu vergeuden.«

      Ich hielt es für geboten, das Thema zu wechseln.

      »Hast du die Kondome?«

      Julia ließ mich einen Blick in ihre Tasche werfen.

      Ich erkannte die Tüte, die ich mir gegriffen hatte, entdeckte daneben aber noch mindestens zwei weitere Plastebeutel. Hatten die anderen etwa auch …?

      »Haben die anderen etwa auch …?«

      »Aber sicher.«

      Nachdem wir eine Weile durchs Viertel geschlendert waren, hakte sich Julia bei mir ein. Dann ging es in den ersten Laden, eine Klitsche namens Rarer Stoff, die sich auf sündhaft teure Designermode spezialisiert hatte. Für mich hätte der Film in diesem Moment ruhig an Geschwindigkeit verlieren können. Denn war das nicht eine dieser Szenen, die sich das von Geldsorgen und Figurproblemen gebeutelte Publikum stets so sehnlich herbeiwünscht: Ein junges, sorgloses Paar, das da voller Lebensfreude ein exklusives Geschäft betrat, um die werktätigen Massen am ererbten Vermögen teilhaben zu lassen, ohne auf den Cent zu achten? Sicher, neben der blonden Schönheitskönigin fiel der männliche Teil des Duos deutlich ab, aber die MasterCard Platinum, die er gleich zücken würde, wog seine optischen Unzulänglichkeiten mehr als auf …

      Julia ließ mich los und begann mit einer bemerkenswerten Mischung aus Neugier und Überdruss an den wenigen im Raum verteilten Kostbarkeiten vorbeizuschlendern, während ich Ulrike halten durfte, der heute ausnahmsweise an der Leine geführt wurde.

      Da wir aktuell die einzige Kundschaft darstellen, war es nur natürlich, dass sich die Inhaberin, eine zierliche Mittfünfzigerin im nadelgestreiften Hosenanzug, verpflichtet fühlte, ein wenig Smalltalk zu betreiben.

      Sie ging in die Hocke und begann, Ulrikes Quadratschädel zu tätscheln.

      »Wie heißt er denn?«

      »Ulrich«, log ich, während ich aus dem Augenwinkel registrierte, dass Julia mit einem Fetzen über dem Arm in der Umkleidekabine verschwand.

      »Schönes Tier. Rottweiler-Labrador, oder? Ich hatte auch mal auch so einen. Ist in Spanien leider von der Guardia Civil erschossen worden, als er einen Mountainbiker vom Rad geholt hat.«

      Sie sah mit einem wehmütigen Lächeln zu mir auf, gönnte mir einen Blick in ihr sonnengebräuntes, von Lachfalten durchzogenes Gesicht, das den Eindruck vermittelte, sie hätte ihr halbes Leben auf Segelbooten verbracht.

      Verdammt, die Dame schien ausgesprochen nett zu sein. Zum Glück unterbrach Julia unseren Plausch.

      »Liebling, kannst du mir mal helfen, bitte?«


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