Happy Endstadium. Jan Off

Happy Endstadium - Jan Off


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du eingefahren bist.«

      Noch bevor ich ein Wort der Entschuldigung hervorbringen konnte, hatte sich Julia erhoben und vor mir aufgebaut.

      »Gibt es irgendeine Erklärung dafür, dass du hier mit einer derartigen Verspätung antanzt?«, fragte sie, und dabei lag nichts in ihrem Blick, was auch nur ein Minimum an Trost versprach.

      »Ich brauchte einfach ’ne Weile, um die Pleite mit dieser verkackten Dose zu verdauen«, sagte ich, was zwar der Wahrheit entsprach, aber in diesem Moment so kläglich klang wie die Ausrede eines Erstklässlers, der absichtlich auf dem Schulweg getrödelt hatte.

      »Ach, weil also irgendwas nicht so läuft, wie du das gerne hättest, meinst du, du kannst mal eben komplett auf die Gruppe scheißen«, ätzte Julia.

      Während mir die Empörung, die ihre Pupillen versprühten, einen Flammenteppich auf die Wangen legte, kristallisierten sich aus dem Gedankenbrei in meinem Kopf zwei Wünsche heraus – beide gleichermaßen dem Verlangen entsprungen, aus der defensiven Position, in der mich befand, zurück in die Vorwärtsbewegung zu kommen: Julia, ohne dass sie dabei ihre Vorhaltungen unterbrach, auf dem Küchentisch zu vögeln oder mir einen Schluck Bier die Kehle hinabrinnen zu lassen.

      Da letzteres deutlich leichter zu haben war, schob ich mich an meiner Anklägerin vorbei und öffnete die Kühlschranktür.

      »Ja, und jetzt natürlich erst mal schön einen saufen, auf den Erfolg«, höhnte Julia hinter meinem Rücken, noch bevor ich den Kronkorken von der Flasche hatte.

      »Komm, entspann dich ’n bisschen«, intervenierte Jan. »Gegen ein Feierabendbier ist doch nun wirklich nichts einzuwenden.«

      »Für mich ’ne Mate, bitte«, ließ sich Kleingeld vernehmen.

      Ich erfüllte ihm sein Begehr.

      Aber Julia war noch nicht fertig: »Von mir aus kann sich jeder ’n Trip einklinken und mit ’ner Flasche Wodka nachspülen. Aber erst, nachdem wir die Aktion besprochen haben. Und das gilt natürlich besonders dann, wenn einige Dinge grob schiefgelaufen sind.«

      Das Zielfernrohr ihrer rechtschaffenen Verärgerung richtete sich erneut auf mich: »Hast du diese Sprühdose eigentlich mal auf ihre Funktionsfähigkeit geprüft, bevor du sie eingesteckt hast?«

      »Ja, hab ich. Und sie hat ja auch funktioniert. Wenigstens am Anfang …«

      »Aber daran, dir ’ne Ersatzdose mitzunehmen, hast du nicht zufällig gedacht, oder?!«

      Ich blieb ihr die müßige Antwort schuldig und nahm stattdessen einen ausgiebigen Schluck Holsten Edel.

      Das machte sie richtig wütend.

      »Dir ist das alles scheißegal, ne?! Herrgott, wenn die Bullen nicht schon aus ihrem Misthaufen gekrochen wären, würde ich dich am liebsten noch mal losschicken, damit du diese Versagernummer zu Ende bringst.«

      Jetzt war es an mir, einen aufgebrachten Ton anzuschlagen. Verehrung hin oder her, allein aus strategischen Gründen war ich gut beraten, mich nicht völlig zum Honk machen zu lassen. Angriffsmöglichkeiten boten sich reichlich. Ich wählte die erste, die mir durch den Kopf schoss.

      »Klar, die Botschaft ist ja bei so ’nem krassen Kommandounternehmen auch immer das Allerwichtigste. Nicht, dass die werktätigen Massen am Ende den Tag noch ohne die weisen Worte der Revolution beginnen müssen. Vielleicht machst du dir besser mal klar, dass ich da sonst was an die Mauer hätte schreiben können. Der Sinn unserer Großtat hätte sich trotzdem nicht vermitteln lassen. Für die meisten Leute ist das nichts weiter als die Beschädigung fremden Eigentums. Und zwar aus reiner Zerstörungswut oder jugendlichem Leichtsinn, oder noch schlimmer: aus purem Neid. Selbst ich könnte nicht mal eben erklär’n, inwiefern zwei kaputte Scheiben und ein verklebtes Schloss in der Lage wären, dem System zu schaden.«

      Verdammt, mit der letzten Bemerkung war ich deutlich zu weit gegangen. Um das zu erkennen, hätte es den vernichtenden Blick aus Julias Augen gar nicht gebraucht. Zum Glück kam ihr Kleingeld mit einer Antwort zuvor.

      »Mann, auf das System ist geschissen. Erst mal müssen wir unsern Kiez sauber halten.«

      Kiez? Hatte Kleingeld tatsächlich Kiez gesagt? Nach meinem Dafürhalten das Unwort des Jahrhunderts. Alle, die auch nur eine Tätowierung am Leib trugen oder sich ein Stück Metall ins Gesicht hatten schrauben lassen, wohnten plötzlich im oder noch schlimmer: auffem Kiez. Und wenn sie doch mal einen Stadtteil behausten, der sich dieser Zuschreibung erfolgreich erwehrte, dann wollten sie wenigstens in ihrer Freizeit durch oder über den Kiez ziehen und dabei Getränke konsumieren, denen die Werbeindustrie das Gütesiegel Schlüpferstürmer der Subkultur verliehen hatte – Astra beispielsweise oder Fritz-Kola oder Sterni. Und natürlich musste der Kiez stets verteidigt werden, gegen Schwaben oder Touris oder Investoren oder wen auch immer. Fehlte nur noch ein entsprechender Aufnäher, vielleicht mit dem Aufdruck Ich bin stolz, ein Kiezbewohner zu sein.

      Bei einem derart schwachen Aufschlag war es ein Leichtes, den Ball knapp hinters Netz zurückzuspielen: »Ach, wir entscheiden jetzt also, wer sich hier ansiedeln darf und wer nicht?!«

      »Nee, das vielleicht nicht … Aber wir sollten wenigstens dafür sorgen, dass sich die Scheiß-Yuppies hier nicht noch breiter machen, als sie’s ohnehin schon getan haben.« Kleingeld war wirklich ein Geschenk des Himmels.

      »Na, klar, die Yuppies«, höhnte ich mit süßlicher Stimme. »Die sind natürlich an allem schuld.« Den Zusatz vielleicht sind sie sogar unser Unglück konnte ich mir gerade noch verkneifen. Stattdessen sagte ich: »Und wer legt das fest, wer Yuppie ist und wer nicht? Du? Oder ich? Oder das Komitee zur Reinhaltung des Stadtteils? Und wenn die so ’nen fiesen Yuppie ausgemacht haben, darf der das Viertel dann nicht mehr betreten? Oder nur noch tagsüber? Vielleicht mit Passierschein? Oder steckt man so einen nicht besser gleich ins Umerziehungslager beziehungsweise ins Latte-macchiato-Ghetto? Alter, es ist doch völlig aberwitzig zu glauben, das Glück dieses Planeten hinge vom Verschwinden einer bestimmten Bevölkerungsschicht ab, mal ganz davon abgesehen, dass die Gruppe, über die wir hier sprechen, noch nicht mal klar zu definieren ist.«

      Kleingeld starrte mich über seine Mate-Flasche hinweg feindselig an, blieb aber, wie ich es erwartet hatte, vollkommen still.

      Es war Jan, der die Antwort übernahm: »Es geht doch überhaupt nicht um Yuppies, oder wenn, dann nur vordergründig. Es geht darum, dass hier seit Jahren die Mieten explodier’n, dass alteingesessene Bewohner verdrängt und aus ihren sozialen Bindungen gerissen werden und dass wir dem irgendwas entgegensetzen müssen.«

      Damit hatte er natürlich Recht. Trotzdem wollte oder konnte ich jetzt nicht einfach klein beigeben. Außerdem stellte sich immer noch die Frage, ob der Angriff auf ein Bekleidungsgeschäft tatsächlich ein probates Mittel war, um den Prozess, von dem Jan gesprochen hatte, aufzuhalten.

      »Und du meinst, mit ein paar eingeschmissenen Schaufenstern lässt sich der Zuzug von unliebsamen Personengruppen stoppen?«

      »Na, klar, das schreckt ab. Die Versicherungsprämien steigen und die Angst auch. Davon ab: Wir sind ja gar nicht gegen Veränderungen, auch nicht gegen den Zuzug von Reichen oder Yuppies oder wie auch immer du die Leute nennen willst, die sich hier ’ne Eigentumswohnung klarmachen. Nur: Die Mischung muss stimmen. Aber wieso erklär ich dir das eigentlich?! Du weißt das doch alles selbst.«

      »Ja, klar«, gab ich zögerlich zu. »Und trotzdem bin ich mir nicht sicher, ob unsere Methode die richtige ist. Das System als Ganzes ist der Fehler. Ist es da nicht kontraproduktiv, den Fokus auf seine einzelnen Teile zu legen?«

      Die Replik kam augenblicklich. Und zwar von Julia: »Für jemanden, der vor zwei Tagen noch Ulrike Meinhof zitiert hat, hast du ’ne Menge gequirlter Scheiße im Kopf. Aber hey, sobald du herausgefunden hast, wie das System beseitigt werden kann, ohne seine Einzelteile anzugreifen, kannst du uns dazu ja mal ’n erhellendes Referat halten. Aber vielleicht übst du vorher noch ’n bisschen sprühen.«

      Treffer! Versenkt! Ich sah hilfesuchend zu Jan, aber der ignorierte meinen


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